als Kaufmann für Havero Trading Co. Ltd., die
holländische Tochter der IG Farben, in Bombay.
Seit 1936 war er NSDAP-Landesgruppenleiter
für Britisch-Indien, Ceylon, Burma und Mala¬
ya“, erfahren wir im Anhang. Zwei bekannte
Lagerbewohner, die Mitglieder der offiziellen
deutschen Himalaya-Expedition Heinrich Har¬
rer und Peter Aufschnaiter, verortet der Autor
in Wing II, dem Lagerflügel, der von Anfang an
von loyalen Nationalsozialisten bewohnt war. Er
äußert sich — im Gegensatz zu tradierten münd¬
lichen Erinnerungen — im Buch nicht explizit
zu Heinrich Harrer, zur Zeit der Niederschrift
des Manuskripts eine österreichische Ikone.
Fritz Kolb führt aber deutliche Hinweise für
mögliche Motive der späten Flucht Harrers und
Aufschnaiters nach Tibet an: „Wer um die Zeit
dann noch floh, mochte Grund haben, dem
Rücktransport in die Heimat lieber entgehen zu
wollen. ... Zur Zeit der deutschen Siege hatte
der eine oder andere vielleicht etwas mehr über
seine Heldentaten gegen Juden und ihre Syna¬
gogen erzählt, als ihm jetzt lieb sein konnte.“
Des Öfteren - so lesen wir im Anhang — muss¬
ten sich die Herausgeberin, der Herausgeber
bei der Editierung einer Quelle der frühen
1980er-Jahre auch der vorrangigen Krücke un¬
serer Zeit bedienen, die zwar zahlreiche, vom
Nationalsozialismus kreierte oder diskreditier¬
te Begriffe nach wie vor verwendet, aber zur
besseren Verdaubarkeit in Anführungszeichen
setzt. Zur Zeit der Niederschrift war zudem der
zeitgeschichtliche Fokus weder auf die „braune“
Vergangenheit Österreichs noch auf die Ver¬
brechen der Wehrmacht gerichtet, die unter
anderem Millionen sowjetische Kriegsgefangene
dem Tod preisgegeben hatte. Um seine eigene
Gefangenschaft in Perspektive zu setzen, verweist
Fritz Kolb im Buch auf die Vernichtungslager,
die Ermordung politischer Gegner, aber auch auf
Der Dichter, Essayist und Briefautor Michael
Guttenbrunner galt als Außenseiter und war den
Lakaien und Funktionären des Literatur- und
Kulturbetriebs ein irritierender und unbeque¬
mer Geist. Er trug das Herz auf der Zunge und
pflegte Schluderei in Wort und Bild und Bau¬
werk verlässlich zu kritisieren. Zehn Jahre nach
seinem allzu frühen Tod - er fehlt uns und er
fehlt vor allem dort, wo sie es nicht merken, dass
er fehlt - erschienen nun „im Auftrag des Ro¬
bert Musil-Instituts der Universität Klagenfurt“
Texte des Theodor Kramer-Preistragers 2004 aus
dem Nachlass, herausgegeben und kommentiert
von der Autorin und Kunsthistorikerin Angelica
Baumer, der Tochter des Malers Eduard Baumer,
mit dem Guttenbrunner befreundet war.
Nichts anderes, so Guttenbrunner, als eine
Selbstbestimmung in Freiheit sei Voraussetzung
fiir das kiinstlerische und geistige Tun. Nieman¬
dem verpflichtet zu sein als dem „selbstbestimm¬
ten Auftrag“ — nur so könne Kunst entstehen,
die Opfer der Täterseite: „In denselben Jahren
... betrieben Deutsche die Vernichtungslager
von Auschwitz und Bergen-Belsen; starben in
russischen Gefangenenlagern vier von zehn Ge¬
fangenen an Kälte, Hunger, Krankheiten; wusste
man nicht zu verhindern, dass Hitlergegner in
kanadischer Gefangenschaft von SS-Leuten
aufgehängt wurden; brachten angelsächsische
Flieger zehntausende Zivilisten um. Jeder ein
Glücklicher, der damals in Purandhar leben
durfte. Bin ich überhaupt berechtigt, für die
Beschreibung eines solchen Lagers Drucker¬
schwärze zu beanspruchen? Nicht, wenn ich
anklagen oder auch nur klagen wollte. Das ist
bekanntlich nicht meine Absicht. Ich zeige
Menschen in Internierungslagern. Das ist alles.“
Die Rückkehr aus dem unfreiwilligen Exil
war eine österreichische, sie erfolgte spät und
mit Hindernissen.'’ Aber Resignation war nicht
in seinem Wesen, sagte Helga Kromp-Kolb bei
der Buchpräsentation. Er hatte den Glauben an
das Land und die Menschen nicht verloren und
wollte beim Wiederaufbau helfen. „Ich wünsche
mir oft, dass er da wäre. ... Ich glaube, er würde
wieder bei der Jugend anfangen ... [Flür eine
bessere Welt lohnt es sich allemal zu kämpfen.“
Helene Belndorfer
Fritz Kolb: Leben in der Retorte. Als österreichi¬
scher Alpinist in indischen Internierungslagern.
Hg. von Margit Franz und Karl Wimmler. Mit
einem Geleitwort von Bundespräsident Dr. Heinz
Fischer. Graz: CLIO 2014. 280 5. € 18,¬
1 Karl Popper, Vorwort, in: Fritz Kolb, Es kam ganz
anders. Betrachtungen eines alt gewordenen Sozialisten,
Wien 1981, 7.
2 Zygmunt Bauman, Das Jahrhundert der Lager?,
in: Mihran Dabag, Kristin Platt (Hg.), Genozid und
Moderne (Bd. 1 Strukturen kollektiver Gewalt im 20.
Jahrhundert), Opladen 1998, 81-99.
3 Margit Franz gab 2014 gemeinsam mit Heimo Halb¬
rainer ein 699-Seiten-Werk zum Exil in der Region he¬
raus: Margit Franz, Heimo Halbrainer (Hg.), Going
East — Going South. Osterreichisches Exil in Asien und
Afrika, Graz 2014.
4 Karl Wimmler, Das Gegenwärtige des Vergessenen,
Wien-Klagenfurt 2014.
5 Das Buch wurde erstmals am 28. November 2014 im
Bildungszentrum der Osterreichischen Kinderfreunde
in Wien vorgestellt.
6 Vgl. Günther Windhager: Vom Journalisten zum
islamischen Denker und pakistanischen Diplomaten.
Muhammad Asad (geb. Leopold Weiss) in Indien und
Pakistan 1932 — 1952). In: Franz, Halbrainer (Ag.):
Going East — Going South, 433-474. 2008 wurde in
Wien mit dem Muhammad-Asad-Platz die erste, nach
einem Muslim benannte öffentliche Verkehrsfläche vor
der UNO-City eröffnet.
7 Als Botschafter der DDR kehrte Herbert Fischer in
den 1950er Jahren nach Indien zurück. Fritz Kolb war
1960-63 österreichischer Botschafter in Pakistan.
8 Brief vom 14. Dezember 1941 von Fritz an Martha
Kolb. Seine Briefe, die seine Frau alle aufbewahrt hatte,
bildeten eine wichtige Quelle der Erinnerung für Fritz
Kolb.
9 Franz X. Eder: Kultur der Begierde. Eine Geschichte
der Sexualität. München 2002, 188.
10 Heinrich Harrer soll sich im Lager wiederholt gebrüs¬
tet haben, in der Reichspogromnacht 1938 die Grazer
Synagoge angezündet zu haben. Vgl. Rainer Amstädter:
Der schmale Grat der Erinnerung. Zwischen Hitler und
Himalaya: Die Gedächtnislücken des jüngst verstorbenen
Bergsteigeridols Heinrich Harrer. In: DATUM. Zeichen
der Zeit, 1/2006, online http://www.datum.at/artikel/
der-schmale-grat-der-erinnerung/ (12. Marz 2015).
11 Kolb: Es kam ganz anders, 78. Die Riickkehr erfolgte
1948. Laut Autobiographie hatte der Parteifreund Oscar
Pollak ein Veto gegen die frühe Heimkehr eingelegt.
und so sah er auch, das „Geschwätz der Zeit“
verachtend, sein Denken und Schreiben. In
seinem Essay „Kunst: Selbstbestimmung und
Auftrag“, in dem er aus den divergierenden aber
auch immer wieder sich kreuzenden Strängen
abendländischen Kunstgeschichte einige maßge¬
bende Gedanken entwickelt, um seine Position
zur Kunst der Gegenwart zu definieren, heißt
es: „Der Künstler ist ein Kind seiner Zeit wie
alle anderen, ein Produkt seiner Umwelt, wie
die anderen auch, und will man ihn verstehen,
so muss man seine Zeit und das Land, in dem er
lebt, betrachten. (...) Der Künstler ist aber nicht
ein bloßer Säugling seiner Zeit, und nicht ihr
Schoßkind, und nicht ihr Schmarotzer; er ist
vor allem kein Konformist, sondern wie jeder
Mensch und Revolutionär zum Widerspruch
und Widerstand geschaffen und zur Askese. Er
beauftragt sich selbst. Und wenn sein Talent
ihn befähigt, die Zeit in Bildern zu begleiten, so
ermächtigt ihn sein Genie, eine ganz andere Welt
und Zeit, als die gegenwärtige, anzuschauen und
zu gestalten. Er eilt der Zeit voraus, er tritt hinter
sie zurück, er vertreibt sie, er vertreibt sie nicht —
die immer darauf aus ist ihn zu vertreiben — die
immer da — weiterexistiert.“
Jene Künstler, die Guttenbrunnerz, fasziniert
von den Querverbindungen zwischen den Küns¬
ten, mit Neugierde sowie leidenschaftlicher
Kritik und Empathie begleitete, waren in etwa
in seinem Alter, manche um eine Generation
älter, wie Arnold Clementschitsch, oder um
eine halbe Generation jünger, wie der Architekt
Fritz Kurrent. Guttenbrunner hat als Jüngling
in Wien die Höhere Graphische Bundes-Lehr¬
und Versuchsanstalt besucht — wie lange geht
aus den Biographien nicht exakt hervor —, daher
istanzunehmen, dass er selber über ein gewisses
(zeichnerisches) Talent verfügt haben dürfte.
Ein großes Interesse war jedenfalls gegeben,
und er hatte auch schon in den späten 1940er
Jahren über Ausstellungen in Klagenfurt und