können; da wäre doch noch einiges zu finden
gewesen. Und wenn Simon Loidl schon Alfred
Klahrs Beiträge „Zur nationalen Frage in Os¬
terreich“ verhältnismäßig ausführlich bespricht,
wäre es doch sinnvoll gewesen, auf weitere Dis¬
kussionen zu dieser Frage, die in den USA (auch
von sozialdemokratischer Seite, man denke nur
an Hugo Breitner) und besonders auch in der
AAT geführt wurden, einzugehen. Bei Loidl er¬
spart das Moskauer Memorandum alle weiteren
Diskussionen und führt zu einer Umorientie¬
rung bei den Sozialdemokraten. Allerdings nicht
bei dem Prominentesten unter ihnen: Friedrich
Adler. Er warb noch 1948 in hektografierten
Rundbriefen für den gemeinsamen Weg mit
Deutschland.
Problematisch ist Loidls Skizzierung der Le¬
bensverhältnisse in den USA. Er meint ($S. 66),
ein „Neustart in diesem Land“ sei „schwierig“
gewesen. Das übergeht, daß in den USA in der
Periode des New Deal zumindest in einigen
Regionen und Bereichen eine Atmosphäre des
Aufbruchs und der Neuorientierung herrschte,
die den Exilierten — z.B. an den Universitäten
und in der Filmbranche- Zugänge öffnete. Man
könnte mutmaßen, Loidl habe keine Ahnung
von den enormen Schwierigkeiten, mit denen
sich Exilierte in anderen Exilländern als den
USA konfrontiert sahen. Und die großen Un¬
terschiede zwischen den Exilen der West- und
Ostküste sowie die Schwierigkeiten der Verbin¬
dung zwischen den weit voneinander entfernt
Ein umfangreicher Sammelband mit 41 ganz
unterschiedlichen Beiträgen und einem, wie der
Titel zeigt, enormen Anspruch ist ein gefähr¬
liches Wagnis, wie sich bei genauerer Lektüre
leider zeigt.
Der einführende Charakter der Aufsätze kann
jüngeren Lesern und Studenten Anregungen
und Hinweise für die Suche nach eigenen For¬
schungsfeldern geben; für Spezialisten sind sie
nicht geschrieben.
Zwei Beiträge sind der jüdischen Literatur in
der DDR und der neuen jüdischen Literatur
ab Mitte der 1980er-Jahre gewidmet. Mandy
Seidler (Dissertantin in Potsdam) nennt Robert
Schindel einen steten „Bewahrer des Gedächt¬
nisses der Shoah“ und hält fest: „Mit der Schoa
wurde eine jüdische Generation erzwungen.“
Aber Hinweise auf die Exilliteratur sucht man
vergebens; der Name John Spalek beispielsweise
kommt nicht vor.
Die religiöse jüdische Musik von Solomon
Sulzer bis zum Kantorenseminar des Abraham
Geiger Kollegs wird von Jascha Newmtsov
abgehandelt. Weitere Beiträge sind Unter¬
nehmern, den Naturwissenschaften und der
Architektur gewidmet. Einer der präzisesten
und informativsten Beiträge über das liberale
Judentum in Deutschland vor und nach der
Shoah stammt von Walter Homolka. Werner
Tress widmet sich Rabbinern und Forschern,
darunter Franz Boas. Die Kriterien für die Aus¬
wahl dreier Beiträge, die sich mit Einzelpersonen
befassen (Albert Mosse, Leo Löwenthal, Erich
Fromm) bleiben unverständlich.
Trotz der fünf Beiträge zu Palastina/Israel feh¬
len Hinweise auf wichtige neuere Literatur über
die deutschsprachigen Juden in Israel. Mehrere
Aufsätze widmen sich Südamerika, einer ist über
Südafrika. Aus Österreich kommen nur zwei
Autoren, Klaus Hödl und Frank Stern.
Drei Archive werden mit eigenen Beiträgen ge¬
würdigt, das Leo Baeck Institut in New York, das
Archiv des Centrum Judaicum in Berlin und das
Sonderarchiv Moskau. Die offene und derzeit
verhandelte Frage der Rückgabe der Moskauer
Der 1875 geborene Fritz Kreisler, dessen virtuo¬
ses Geigenspiel ihm bereits früh internationalen
Ruhm einbrachte, rückte sofort nach der Kriegs¬
erklärung Österreich-Ungarns als Reserveofh¬
zier bei seinem Regiment in Leoben ein. Wie
zahlreiche jüdische Einwohner des Habsburger
Imperiums strebte er damit gesellschaftliche
Gleichstellung im durchlässig werdenden Bür¬
gertum an, wie Oliver Rathkolb meint.
Am 10. August wurde er an die Front in Gali¬
zien geschickt und am 6. September im Kampf
mit russischen Soldaten und Kosaken schwer
verletzt. Ende Oktober 1914 befand ihn eine
Begutachtungskommission als „invalid und zum
weiteren Waffendienst untauglich“.
Kreisler erzählte einem Mann namens Fer¬
ris Greenslet, mit dem er zufällig zusammen
speiste, von seinen Erlebnissen aufdem russisch¬
österreichischen Kampfplatz. Greenslet war von
dem „bescheidenen, anschaulichen Bericht so
tief bewegt“, dass es ihm nach viel Überzeu¬
gungsarbeit gelang, Kreisler zu bewegen, seine
Kriegserlebnisse aufzuschreiben.
Greenslets Idee hatte einen handfesten Grund:
Er war nämlich Verleger.
So erschien dieser autobiographische Front¬
bericht in englischer Sprache und wurde im
deutschsprachigen Raum völlig ignoriert. Da¬
bei zeigt sich Kreisler in seinen Erinnerungen
als loyaler Patriot. Dennoch verschweigt seine
genaue und sensible Beobachtung die negati¬
ven physischen wie psychischen Auswirkungen
nicht. Die starke Kaisertreue, das ungebrochene
Vertrauen in die Güte Franz Joseph mag heute
liegenden Zentren des Exils müssen ja selbst für
die Tätigkeit der KommunistInnen eine Rolle
gespielt haben.
Trotz dieser Schwächen kan man das Buch
als einen leicht lesbaren, allerdings höchst er¬
gänzungs- und teilweise korrekturbedürftigen
Bericht über einige Aspekte des österreichischen
Exils in den USA zur Hand nehmen.
K. Kaiser
Simon Loidl: Eine spürbare Kraft. Österreichische
KommunistInnen im US-amerikanischen Exil
(1938-1945). Wien: promedia 2015. 206 S. €
17,90
Archivalien wird in dem Beitrag von Sebastian
Panwitz jedoch mit keinem Wort erwähnt.
Der umfangreiche Serviceteil, der akademi¬
sche Institutionen, Archive und Museen in
etlichen Ländern vorstellt, ist leider von noch
unterschiedlicherer Qualität. Allerdings wird
er durch den Hinweis relativiert, dass er keinen
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und auf der
Seite www.germanjewishculturalheritage.com
ergänzt und aktualisiert wird. Trotzdem muss
darauf hingewiesen werden, dass der Eintrag
über die Österreichische Gesellschaft für Exil¬
forschung völlig überholt und falsch ist und dass
die Iheodor Kramer Gesellschaft überhaupt
keine Erwähnung finder.
E.A.
Elke-Vera Kotowski (Hg.): Das Kulturerbe deutsch¬
sprachiger Juden. Eine Spurensuche in den Ur¬
sprungs-, Transit- und Emigrationsländern. Ber¬
lin, München, Boston: de Gruyter 2015. 814 S.
€ 89,95
befremdlich erscheinen, doch für viele Juden
habe das „autoritäre System letztlich Schutz vor
Verfolgung und Hoffnung auf gesellschaftliche
Akzeptanz und Assimilation“ dargestellt, wie
Oliver Rathkolb erlautert.
Kreisler blieb bis 1938 österreichischer Staats¬
bürger und das gerne. Nur einer Sache galt seine
Einschränkung: „... als Künstler stehe ich über
jeder Politik und schulde mein Bestes der Welt.“
Er flüchtete nach der Okkupation Österreichs
durch die Nationalsozialisten; erst nach Frank¬
reich, dann in die USA.
Zwar kehrte Kreisler nie mehr nach Österreich
zurück, doch die emotionale Verbundenheit mit
seiner ehemaligen Heimat, jenseits des durch die
Nazi-Okkupation stigmatisierten Österreich,
blieb tief in ihm verankert. Das offenbarte sich