übertönt von einem unbeschreiblichen Gebrüll, drang in meine
Ohren, irgendwie schien sich diese Masse zu verformen, ein klei¬
ner See zu werden, in dem alles ertrank. Kurz schoß der Finger
wieder auf mein starres Auge zu, aus dem tiefen Grau der Zelle
ragte grünes Stück Fleisch.
„So einfach ist das, Herr Inspektionssekretär, in zwanzig Minuten
haben wir einen hervorragenden Dünger. Eine Verbesserung dieses
Systems wäre natürlich, wenn wir vor der endgültigen Lösung
noch wichtige Körperorgane herausoperierten, aber alles mit der
Zeit. Details finden Sie im Dossier für den Minister und ...“
Hedwig Wingler
Von Faymann zu Schachtelhalm
1. Oktober 2015 in der Steiermark
„Aufghängt ghöat der, der ghöat aufghängt, der Faymann“, sagte
der Mann am Eingang zum Friedhof von Voitsberg; daneben stan¬
den die Mistkübel, hochdeutsch Müllbehälter. Der Mann sprach
mit einer Frau und einem anderen Mann und es ging hörbar um
die „Flüchtlingsströme“ nach Österreich. „Er sull glei si irgendwou
aunschliaßn lossn, wann er nur der Merkel olles nochmocht“,
hörte ich ihn noch sagen, che ich mich davonmachte. Er war etwa
in meinem Alter, Mitte Siebzig, weißes Haar, warf abgeblühte
Grabblumen in den Biokübel und ereiferte sich zusehends.
Ich floh in den Wald. Mit dem Auto sind es nur fünf Minuten
vom Friedhof zu jenem einsamen Parkplatz in Rosenthal, wo ich
das Auto abstellte und dann in den Wald lief. Die Baume auf dem
ehemaligen Tagebaugelände werden immer größer. Fichten und
Unterholz, gute Luft, ein paar Pilze unbekannten Namens, sie
halfen mir bei der Reflexion über das eben Gehörte.
Schachtelhalm! Schach tel halm. Ein lange nicht mehr in den
Mund genommenes Wort. Tausende grüne Wedel dieses Krautes
wucherten zwischen den Fichten links und rechts vom steinigen
Weg. Mir fälltein: Zinnkraut? Ist das der botanische Name? Nein,
es ist der volkstümliche Ausdruck für diese Pflanze, weil nach
ihrem Verbrennen die Asche gut dafür ist und war, Zinngeräte,
Zinngefäße zu putzen. Ehe Procter & Gamble Putzmittel anderer
Herkunft erfanden. Und was lehrt der Brockhaus, nachdem ich
es schon vermutet hatte? In der Erdgeschichtsperiode, die Trias
genannt wird, wuchsen diese Schachtelhalme zu riesigen Bäumen.
Und was geschah dann, vor Millionen Jahren? Da wurden die in
der heutigen Weststeiermark damals wachsenden Bäume vom
Pannonischen Meer überschwemmt und es entstand in langsamer
Verwandlung die Braunkohle, die bis vor einigen Jahrzehnten ge¬
nau daabgebaut wurde, unter Tage und auch im Tagebau, wo jetzt
mein Spazierweg über rekultiviertes Gebiet führt. Nicht nur das.
Mein Geburtshaus stand dort, wo jetzt der Teich liegt, der die
Abwässer aus der Rekultivierung auffängt und wo der Spazierweg
beginnt. Das hundertjährige Haus mit vielen Nebengebäuden,
der ehemaligen Schamottefabrik und dem Stall für Pferd und
Kutsche wurde 1943 abgerissen, damit der Zweite Weltkrieg mit
weststeirischer Energie aus Braunkohle vom Deutschen Reich noch
zwei Jahre lang weitergeführt werden konnte. Im „Altreich“ waren
die Stein- und Braunkohlenreviere bereits zerbombt, so sprang
Ich habe „Die Grenzstation“ mit 17 geschrieben, für das Jüdische Echo
des Jahres 1992, damals noch unter meinem alten Namen Alexander
Schürmann. Jugendliche aus ganz Österreich waren 1991 über die
ORF-Sendung X-Large und deren Redakteurin Mirjam Unger und
von Leon Zelman eingeladen worden über „Rassismus, Ausländer¬
feindlichkeit, Nationalismus, Minderheiten, Rechtsradikalismus,
Antisemitismus sowie Zukunftsperspektiven für Österreich“ zu sch¬
reiben. Es war die Zeit der Gewalt gegen Flüchtlinge in Hoyerswerda,
Rostock, Greifswald, die Zeit des „Anti-Ausländer-Volksbegehrens“ von
Jorg Haider und der FPO... und wohl der passende Augenblick, um
einen von Beobachtungen und Lektiiren wie Kafka oder B. Traven
genährten Albtraum zu erzählen...
die „Ostmark“ ein. Nicht zu reden von der vermehrten Zahl der
Flüchtlinge, die diese Verlängerung des Krieges zur Folge hatte.
Die Großeltern mütterlicherseits, denen der Besitz gehört hatte,
wurden entschädigt; sie waren ja keine Juden. Der Großvater
starb ein halbes Jahr nach der Enteignung an einem Schlaganfall.
Inzwischen kommen Zirkusse mit ihren Zelten auf die entwässerte
Wiese, dorthin, wo ich als Kleinkind im Kinderwagen unter
Obstbäumen schlief.
Genau da, wo ich am 1. Oktober 2015 den Mief der faschisto¬
iden Bemerkung des Mannes vom Friedhof auslüften muss, traf
ich einige Tage zuvor zwei Männer. Ich kam vom Spaziergang
zum Parkplatz zurück und sah die beiden etwa 40-Jährigen mir
entgegenkommen. Jeder von ihnen hatte etwas in der Hand. Ich
vermutete, es seien Landkarten, und fragte, ob ich bei der Orien¬
tierung helfen könne. Nein danke, sagte erst der Schwarzhaarige,
und dann sagte der Rothaarige, ich könnte ihnen doch helfen. Ich
sollte ihnen sagen, wie die Singular-Form von „Setzen Sie sich!“
heiße. Wie er es zu seinem Freund sagen würde.
Das waren keine Landkarten in ihren Händen, sondern Lehr¬
bücher „Deutsch-Arabisch“ vom Goethe-Verlag in München.
Naturgemäß kamen wir ins Gespräch, und zwar auf Englisch.
Herr S. M., der Schwarzhaarige, wohnt in Piberegg auf der Bärn¬
bacher Seite, er stammt aus Libyen und lebt seit einem Jahr in
Österreich. Der damalige österreichische Botschafter in seinem
Heimatland verschaffte ihm, seiner Frau und den Kindern ein
Visum. Er war, sagt er, Parlamentsabgeordneter in Tripolis, und
zwar in der Opposition. Nach Versuchen von Kriminellen oder
Politischen, seinen achtjährigen Sohn zu kidnappen, fühlte sich
die Familie nicht mehr sicher. Die Kinder gehen hier in die Schule,
lernen Deutsch, und ich denke mir, sie wüssten sicher, dass es
„Setz dich!“ heißt.
Herr B. Al J., mit rötlich-braunem Haar, ist Syrer aus Aleppo.
Er floh vor neun Monaten über die Türkei nach Österreich, seine
Familie ist noch in der Türkei, er hofft, dass sie bald nachkommen
kann. Er wohnt hier, nicht weit vom Rand der aufgeschütteten
Landschaft, gleich hinter dem Gemeindeamt, erzählt er.
Er erinnert mich an Hannibal S., den Freund von Johannes
aus Damaskus, rein äußerlich. Wegen der Haarfarbe. Es heißt,
die Rothaarigen seien Nachfahren der Phöniker. Hannibal lebt