könnte und dass es Sätze gibt, die man zu gern über sich selbst
hören will. Als sie fertig war, gab ich ihr fünf Euro. Sie sagte, ich
solle es ihr bitte mit der linken Hand diagonal geben und von
Herzen. Dreimal noch hakte sie nach: „Von Herzen?“ Ich nickte
und lehnte anschließend das Angebot ab, noch einen Talisman
gegen mögliches Unglück zu erwerben. Seltsam enttäuscht ging
ich mit meinen Einkäufen nach Hause. In unserer Wohnung
angekommen, setzte ich mich an den Laptop, schrieb alles auf
und rief meine Schwester an.
„Oh nein, Glori! Du bist nun wirklich die Letzte, die mit einer
Wahrsagerin sprechen sollte. Glaubst du das jetzt?“
Ich dehnte ein Nein. Dann gab ich zögerlich zu, vielleicht würde
ich unbemerkt nach dem zweiten Kind aufhören, nur weil mir mit
23 erzählt wurde, zwei Kinder sollte ich haben, nicht drei oder
siebenundzwanzig. Und woher wusste die Frau vom Schreiben
und vom Skaten und von meinen Reisen?
„Das hab ich gemeint“, sagte meine Schwester.
Der „Barnum-Effekt“, auch „Forer-Effekt“ oder „Täuschung durch
‚persönliche Validierung“ (engl. personal validation fallacy) genannt,
stammt aus der Psychologie und bezeichnet die Neigung von Men¬
schen, vage und allgemeingültige Aussagen über die eigene Person als
zutreffende Beschreibung zu akzeptieren.
Der Begriff wurde von Paul Meehl eingeführt und ist nach dem
Zirkusgründer Phineas Taylor Barnum benannt. Dieser unterhielt
ein riesiges Kuriositätenkabinett (American Museum), das jedem
Geschmack etwas bieten konnte („a little something for everybody“).
Barnum-Aussagen sind beispielsweise in Zeitungshoroskopen zu
finden — die Testreihen des US-amerikanischen Psychologen Bertram
R. Forer beziehen sich auf solche Zeitungshoroskope. Sie finden auch
Verwendung beim Cold Reading und beim Wahrsagen.
Wikipedia
Als Kind spielte ich oft, ich käme von einem fremden Planeten,
aus einer anderen Welt. Gefühlte Ewigkeiten lag ich auf meinem
Bett und malte mir detailreich aus, was genau sich alles wie fremd
anfühlte. Dann schloss ich die Augen, öffnete sie wieder und war
bereit, mich auf dieses mir unbekannte Leben einzulassen. Mit
frischem Blick begutachtete ich seit Jahren Gewohntes, setzte
meine Füße vorsichtig, als hätten sie nie Auslegware gefühlt. Ich
passte meine Bewegungen den physikalischen Gesetzmäßigkeiten
an und begab mich ohne Laut in die Tiefe des Gebietes hinein.
Meistens schob ich meinen Kopfan der Küchenwand vorbei, um
zu sehen, ob die drei anderen darin waren. Das Ziel war es, die
Küche unbemerkt zu passieren, um am Wohnzimmer vorbei ins
Schlafzimmer am Ende der Wohnung zu gelangen. Der dortige
Spiegelschrank, der sich über die gesamte Breite einer Wand zog,
würde überlebenswichtige Dinge für meine Mission bereithalten.
Meine Eltern fanden es anfangs amüsant, dann nervend, dann
ernstzunehmend schwierig.
Ich erzählte denen, die mir im Kindergarten zuhörten, ich wüsste
nicht, wer die waren, bei denen ich zu Abend essen musste. Den
Erzieherinnen fielen vermehrt Hämatome an meinen Armen
und Beinen auf, hervorgerufen durch Lauf- und Sprungexpe¬
rimente in der veränderten Schwerkraft. Mein Vater wurde zu
einer Krisensitzung eingeladen und musste vor einem Kreis aus
besorgten Müttern und Pädagogen erklären, auf welche Arten er
seine Tochter nicht misshandelte. Ich hatte Mitleid mit diesen
Menschen. Sie sahen mich als eine von ihnen und meinten, sich
an viele Jahre mit mir erinnern zu können. Ich mochte sie und
wollte dennoch zurück.
Auf die gesteigerten Versuche meiner Mutter, mit mir ernsthaft
über dieses Thema zu reden, reagierte ich zunächst gemäß meiner
Rolle, dann verschlossen, dann nicht mehr. Ich tat, als wären
meine Energiereserven heruntergefahren, die Luftmischung war
für mich sehr anstrengend.
Vergangenheit ist immer das, was in Wahrheit nicht vergangen ist.
Doron Rabinovici
Wenig später folgte Susi das fliegende Pferd, das für alle anderen
unsichtbar war. Wir hatten unsere eigene Sprache. Susi war ma¬
kellos. Meine Schwester machte oft Witze über ihren Namen,
uns war das egal. Nachts entkamen wir, hatten den großen Hof
für uns allein.
Ich weiß nicht, wie üblich Schlaflosigkeit unter Grundschulkin¬
dern ist. Für mich war es extra Zeit, die ich brauchte. Die stetigen
Atemzüge im Stockbett über mir waren das Metronom meiner
Spiele, oft lief ich im Zimmer umher oder saß auf der linken
Fensterbank, neben mir warf der Ficus trockene Blätter auf den
Teppich. An vielen Morgen wurde ich zusammengerollt auf dem
Boden gefunden, irgendwann beim Spielen doch eingeschlafen.
Sie nahmen an, ich war beim Träumen aus dem Bett gefallen.
and the days are not full enough
and the nights are not full enough
and life slips by
like a field mouse
not shaking the grass
Ezra Pound
Ein bisschen Spaß muss sein.
Freizeit scheint alles zu sein, die verbleibende Zeit, in der sich das
Ich suhlen kann, der Charakter bekommt, was er will: Nichtstun
ist der Gegenentwurf zu einer Arbeitswelt, in der keine Zeit ein
Prestigeobjekt ist. Nur wer gestresst ist, macht etwas richtig, Work
is supposed to suck. Spaß muss besorgt werden, den holen wir
uns woanders, in Form von Serien, Blogs oder Gag-Sites meist
online. Nicht nur Memes wie „Am I really the only one? (No youre
not.) implizieren dabei, dass wir gar nicht so verkorkst sind wie
angenommen. Unsere Schrullen sind kosmopolitisch. Irgendwo
auf der Welt hat jemand das Gleiche schon gemacht, hat den
Satz besser gesagt, hat ein raffinierter geschnittenes Video bereits
geuploadet. Tiere in absurden Situationen sind nie verkehrt und
garantieren Lacher.
Das Internet — unsere Schiissel, aus der der zu verarbeitende
Teig mit der ungewaschenen Hand in den Mund gestopft wird,
wann immer wir hungrig oder satt sind. Die Intention lässt sich
nicht mehr so leicht finden. Wo da der Unterschied ist, ich weiß es
nicht. Wie lassen sich die Inhalte von toter Zeit zusammenfassen,
was macht den Reiz aus und was verraten Plattformen?
Umherkullernde Katzen, Hunde in Kleidung am Tisch sitzend,
Faultiere die einen Tanz aufführen, bevor sie grinsend im Stehen
Haufen abwerfen — Online Culture, Internet Humor, Submedia.
Ich muss nur eins dieser Wörter sagen und gezielte Menschen
kennen den Inhalt meiner Freizeit und die Art meiner Arbeit.
Dann gibt es Gleichaltrige, die zu den Worten keine Vorstellung