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„Und die Kinder, denen vom Heroismus vorerzählt wird, füh¬
len sich als Helden, bevor sie noch in Gefahr sind“, fuhr Anna
fort. „Sie können nicht wissen, daß kein Mut dazu gehört, sich
vergasen zu lassen — und fiir wen, noch dazu?! So erfolgreich
ist dieser Appell — an die Instinkte... Deshalb sollten wir den
Schrecken — nicht auch noch forcieren.“

Sie hustete etwas und fuhr fort:

„Revolution ohne Krieg — daran glaube ich kaum noch — gar
in Deutschland! Aber ich hoffe auf die Revolution, und ich setze
darauf, weil ich weiß, weshalb wir sie brauchen. Aus einer ver¬
sinkenden Gesellschaft wurde noch stets eine neue geboren.“

„Ein ganz hübsches Spiel - bis der Zirkus mal abbrennt!“ Wolf
pfiff vor sich hin.

„Die Menschheit geht nicht zugrunde, so rasch und so primitiv,
wie du denkst. Auch die europäische nicht.“

Wolf klopfte mit den Beinen im Takt gegen den Bertrand.
„Einmal ist es aus — sterben müssen alle - hinterher war es schön“,
summte er.

Anna zögerte, aber dann sprach sie weiter: „Einzelne können
kaputt gehen. Vielleicht sind wir darunter, auch wenn wir’s nicht
möchten — denn natürlich möchten wir’s nicht! Es kann traurig
sein, unter Umständen tragisch. Aber - ist es wichtig?“

Wolf summte eine Schlagermelodie.

„Nicht wichtig“, sagte Anna, „wenn wir’s so ansehen. Die neue
Gesellschaft soll kommen, weil sie gerecht ist — darum arbeiten
wir, auch wenn wir es nicht mehr erleben. — Wer ein Mensch ist,
interessiert sich für so einen Zeitraum...“

„Schlimm, schlimm, daß ich kein Mensch bin. Was kann ich
tun?“ Wolf verschränkte die Arme und begann von neuem zu
pfeifen.

„Bitte, pfeif nicht“, bat Anna. Sie sprach bedächtig und sah Wolf
dabei an. „Du hast ja recht. Daß diese Verbrecher regieren - ist
typisch“, meinte sie.

„Die Räuber von Schiller. Musik von Horst Wessel.“ Wolfschlug
die Beine im Takt gegen das Bett. „Gott, bin ich witzig!“ Er lachte,
doch er merkte, wie unecht es klang, und senkte den Kopf, um
Annas Blick auszuweichen.

Sie griff hinter den Stuhl, als ob sie ihn festhalten wollte, und
fuhr im selben Ton fort: „Eine Einsicht verpflichtet, nach ihr zu
leben —.“

Wolf fiel ihr ins Wort: „Aber das tue ich gerade!“

„Indem du erklärst: der große Fisch frißt den kleinen. Ach, Wolf
—.“ Sie ließ die Arme fallen. „So was Gemeines!“

Er schwieg.

„Und das ist die ganze Erkenntnis, die du bewahrst? Auf diese
Art Praxis — bist du noch stolz...?“

Draußen, hinter dem Fenster, war es mit einem Mal still; auch
der Wind ging nicht mehr.

„Wir wundern uns nicht, daß die Welt uns nicht hilft“, sagte
Anna. „Denn Faschismus ist nur ein Name. Und der Zustand
in Deutschland —.“

„Ja, ja“, sagte Wolf.

„Du willst mich nicht ausreden lassen?“

„Du hast recht — und ich auch.“ Wolf sprach schnell: „Und so
sind wir uns einig, nicht wahr?! Was wollen wir noch — und was
mehr? Gehen wir schlafen!“ fügte er hinzu.

Und als Anna nichts sagte, wiederholte er: „Gehen wir schlafen!“

Anna fragte stockend: „Wolf, sprichst du im Ernst?“

„Ich bin müde!“ sagte er.

20 ZWISCHENWELT

„Ja — dann“, sagte Anna. Es ist sinnlos zu weinen, dachte sie,
und fuhr fort: „Ich bin müde — wie du.“ Sie sprach leise, doch
flüssig. „Aber warte mal noch. Denn ich muß noch was sagen.“

„Also bitte —.“

„Das Ausmaß in Deutschland — so nanntest du es — ist gar
nicht von heute. Denk bloß mal zurück. — Und was die patho¬
logischen Formen betrifft, die sind überall gültig. Da gibt es nur
Gradunterschiede. Der Kapitalismus am Ende, mein Guter - sie
verlieren den Kopf, auch die Nerven. Und das ist der Grund.“

Sie wartete etwas.

„Und deshalb setzen wir auf das Proletariat — auf das deutsche
vor allem — und auf die, die ihm helfen —.“

»lhr habt einen Glauben, wie andere auch — weil ihr weiter
nichts habt, ist euer Einsatz so klein. Ihr meint, Hunger geniigt?
Aber wie ihr euch irrt!“

„Ich meine das gar nicht. Tatsächlich führen Hunger und Aus¬
beutung, wenn nichts dazu kommt, noch längst nicht zur Revo¬
lution! Da ist für uns Emigranten eine Aufgabe mehr. Denn wir
haben mehr Zeit als die drinnen — zum Denken. Und können
die Theorie ausarbeiten, auf der die Revolution dann gemacht
werden muß —.“

„Unbescheiden seid ihr wohl nicht?!“

Anna sagte schnell: „Eine neue Gesellschaft löst eine versinkende
ab — und das ist die einzige geschichtliche Folgerichtigkeit, die
besteht - um mal in deiner Weise zu reden — du gibst es — dann
vielleicht - eher zu —.“ Sie dämpfte die Stimme. „Die Geschichte
ist nicht stärker als wir — denn die Geschichte existiert zunächst
— nicht. Auch sie wird von Menschen gemacht.“

Wolflachte höhnisch. „Von Männern!“

» Wenn welche da sind — auch das.“

„Lernt ihr das auch - in der Gruppe?“

„Wie meinst du das aber? Du weißt ja doch, was wir da- lernen.“

Er sprach aufgebracht weiter: „Und du mußt dabei bleiben —
wenn es noch so verrückt ist! Ich habe dir x-mal erklärt, weshalb
die Partei viel aktionsfähiger ist.“

„Was! Wolf? Du verteidigst jetzt gar die Partei — gegen mich?“

„Du bist aber störrisch. Und weißt alles besser! Kennst alles
genau, bloß nicht deine eigene Verrücktheit!“

„Ich war ja nicht in der Partei — aber nein —.“ Sie sprach flüsternd
— brach ab; nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und redete
weiter — noch leiser: „Du kennst schon die Gründe, weshalb —
ganz genau kennst du sie.“ Sie nahm die Hände vom Gesicht;
zog die Augenbrauen hoch und betrachtete Wolf. Er hatte rote
Flecke auf den Schläfen.

Sie raffte sich auf. „Du hast dich doch wohl mächtig verändert?“

Er sah finster vor sich hin.

„Wir reden und reden und kommen nicht weiter“, sagte sie.
„Und weshalb? Weil du Streit suchst. Und weshalb suchst du
Streit?“

„Wärest du lieber in Deutschland geblieben!“

„Dann hätte ich mal deinen Umfall verhindert, das ist sicher.“

„Emigrantin kannst du spielen! Dabei geht es dir dreckig, wer
weiß wie!“

„Man hat hier Arbeit für mich!“

„Die Narren in der Gruppe, natürlich!“

Anna sagte: „In der Gruppe jawohl. — Und in Deutschland,
da säße ich längst.“

„Möchte wissen, wofür? So traurig berühmt bist du Gott sei
Dank nicht!“

„Ich bin ja auch deshalb gegangen.“