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„Was soll das wieder heißen?“

„Ja- eben das.“

„S0?“ sagte er und holte tief Atem. „Das erfahre ich jetzt? Und
durch Zufall!“

„Ich hatte es dir nicht gesagt. Ich hatte dich damals nicht ängs¬
tigen wollen.“

„Oh, zu gütig!“

„Und was hätte es uns auch genützt? — Und ich wollte es jetzt
auch nicht sagen —.“

„Es wird immer besser! Vielleicht hast du noch mehr, womit
du mich nicht - hattest ängstigen wollen!“

„Ich hatte auch Geld mit —.“

„Du meinst wohl geschmuggelt?“

„In den Schuhen. Nur so wenig. Denn natürlich hat’s keiner
gemerkt.“

„Hat’s keiner gemerkt?“ Er verzog das Gesicht. „Ach, wieviel
denn?“

„Für die Gruppe tausend Mark —.“

„Für die Gruppe - in Lebensgefahr für die Gruppe!“

Anna lehnte sich an den Stuhl an. Sie griff nach hinten und
umklammerte wieder die Lehne. Endlich sagte sie leise: „Zwei¬
hundert für mich.“

„Und was hast du gemacht mit dem Geld?“

„Davon habe ich dann - nicht wahr - eine Zeitlang gelebt —.“

„Na ja—“, machte er.

Sie wiederholte: „Ja, nicht wahr —.“

„Und du hast mir’s verschwiegen!“ sagte Wolf. „Denn du hast
kein Vertrauen zu mir.“

Anna hob wie zur Abwehr die Hand.

„Ein Vertrauensbruch ist das, jawohl!“ fuhr Wolf fort. „Ich
bin sehr enttäuscht — ja, enttäuscht! Drei Jahre lang haben wir
korrespondiert — und wie wissen fast nichts von einander.“

» Wolf —“, sagte Anna bittend.

„Und das kommt, weil du alles verheimlichst. Wie du lebst,
weiß ich nicht — nicht wovon! — Kannst du noch immer nicht
weiterstudieren?“

„Ich habe es dir ja geschrieben. Denn es will ja keiner bezahlen.“
Annas Stimme war nicht mehr fest.

„Von deiner Politik kannst du wohl nicht gut leben?“

„Darum lebe ich — schlecht —.“ Sie versuchte zu lächeln.

„Das ist keineswegs komisch!“ So ein Mist, dachte er, so ein Mist!

„Und dann gebe ich Stunden, wenn's mal welche gibt“, fuhr
Anna fort, ziemlich stockend. „Und ich schreibe Maschine - und
auch mal Artikel — ja, das Leben ist schwer...“ Sie versuchte noch
einmal zu lächeln.

„Na, was für Artikel, das kann ich mir denken! Ich hoffe, pseu¬
donym wenigstens!“

„Nein, nicht pseudonym.“

„Nicht mal das! Es ist wirklich ganz reizend! Wer wundert sich
noch, daß du krank bist, bei so einem Leben! — Kann der Max
dir nicht helfen?“

„Wo er selber nichts hat — und ich wollte es auch nicht.“

Wolf atmete tief. So lebte sie also. Dabei war sie verbohrt, und
es war kaum zu glauben wie schr! Auf dem Kamin standen die
Bücher, Lenin neben Nietzsche. Die Notizen und Zeitschriften
lagen obenauf. An der Wand war das Bild mit der Widmung.
Von wem war das Bild?

Wolfsah Anna an. „Und du lebst - ganz allein?“ fragte er.

Anna wußte nicht gleich, was er meinte. Als sie begriff, neigte
sie den Kopf. „Wolf-“, sagte sie.

„Was?“ fragte er. Er setzte sich zurecht. „Deine Provokationen
imponieren mir nicht?“ sagte er zusammenhangslos. „Und es
fällt mir nicht ein, dir das Mindeste zuzugestehen. Denn alles ist
falsch, was du sagst. Ich will nun mal nicht, und es fällt mir nicht
ein!“ Er hämmerte mit den Füßen im Takt gegen das Bett. „Euer
Leben hat keine Konturen! Und hier noch dazu!“ Er wollte sich
nicht immer nur verteidigen müssen und fuhr fort: „Ja, bildet euch
nur noch was ein! Ja, glaubt nur, ihr macht Politik - oder gar: die
Geschichte! In Wirklichkeit seid ihr Hanswürste!“ Warum schreie
ich so? dachte er. Doch er wiederholte rasch: „Hanswürste! — Und
müßt denen gehorchen, die das Böse wollen und den Mut zu
seiner Durchführung haben - ihr werdet nicht mal mehr gefragt!
— Gott, Mädchen, wie kannst du denn nur so beschränkt sein?“

„Meinst du so?“ fragte sie.

„Und den Mut für das Gute?“

„Wir hatten ihn nie. Menschenskind! Aber jetzt ist es lange
nach Torschluß.“

„Wolf, ich bitte dich bloß.“ Sie hob die Hand - und ließ sie
sinken.

Es blieb still.

Dann fing Wolf wieder an, zuerst zögernd, dann geläufig: „Wenn
du glaubst, daß unser Leben - so leicht drüben ist — ja, dann irrst
du dich sehr. Denn wir führen einen ständigen Kampf.“

„Einen Kampf?“ Sie sah auf.

„Wir kommen davon ja nicht los — was bildet ihr euch denn
nur ein? Aber das ist egal —.“

» Wie — egal —?*

„Denn wir sind in Gefahr —.“

„In Gefahr?“

„Und fortwährend bedroht, moralisch erniedrigt zu werden.
Und so wehren wir uns, in dem ständigen Kampf. — Immer wie¬
der, jawohl!“ sagte er.

Anna gab keine Antwort.

„Man muß seiner selbst sicher sein, ja“, meinte er.

Anna strich sich das Haar aus der Stirn. „Ein sympathisches
Märtyrertum, lieber Freund“, sagte sie.

„Die Zahl dieser Märtyrer drüben ist groß!“

„Umso schlimmer —.“

„Ihr werdet eines Tages eure Anmaßung bereuen!“ Wolf wurde
immer lauter.

„Unsere Anmaßung?“

„Illegalität oder Emigration, weiter kennt ihr nichts mehr. Unser
Leben dort drüben ist schlimmer — ist mehr — — ach, was wißt
ihr davon?!“ Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und ballte
die Hände zu Fäusten.

Sie saßen einander gegenüber und sahen sich an.

Endlich sagte Anna, schr leise, fast Hüsternd: „Nein, wirklich,
nein, nichts —.“ Sie schüttelte den Kopf. Um ihren Mund war
plötzlich ein Lächeln.

„Heldentum, schön“, fuhr Wolf fort. „Es beurteilt sich aber
danach, wie es ausgeübt wird. Ihr macht es euch leicht, meine
Gute! Aber wir — ohne Rückhalt —.“ Er brach ab.

Anna fragte langsam: „Warum seid ihr dann nicht Emigranten?
Warum seid ihr dann nicht illegal?“

„Wir gehorchen dafür der Vernunft!“

„Der Vernunft?“

„Und wer keine Möglichkeit hat, sich zu retten - von uns — der
wird die Katastrophe erleben und wird heldenhaft sterben — —
jawohl, wird er tun!“

Mai 2016 21