Mit ihr untergegangen ist auch
die Erinnerung an ein ungarisches Kinderlied
mit vielen -ok in den Endungen
gelernt von der Tante Magda
aus Budapest
So viele Tanten waren!
Mit ihr untergegangen
die brave Schulkameradin
festgehalten am Klo
damit sie das kollektive Abhauen
der Klasse nicht verrate
als die Professorin zu spät kam
Mit ihr untergegangen
das Krokodil auf dem Rücksitz
des 2 CV in klirrender Winterkälte
Geheizt wurde nicht
So blieb das Krokodil ruhig
Beitrag zur Gründungsgeschichte
des Zirkus Paul
die mit einer Tierrettung begann
Das Herz will sich weiten
strapaziert wütend den kleinen Kopierer
Etwas weitergeben will es schon bald
Dann ist entschieden
ob das Wort neben dem Jadeengel, der Schlüsseltasche
den alten Buntstiften liegen bleibt
in der Lade oder
sich in dein, mein Gemüt schleicht
ein Ohr, eine Seele. Und dort
mehrt es sich wieder, wird
dick und fröhlich, bitter und scharf?
Eingeschenkt worden ist also —
trinken Sie aus, trinken Sie aus!
Kaum aus der Hand
schluchzt das Gedicht, es sei so dürftig, so arm
So nimmt sie es wieder, versucht es zu trösten
legt es in ihre zerfledderte Mappe zurück
ak! ~~ ~~
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Philosophieunterricht
an einer Akademie fiir Sozialarbeit
»Wenn das Bediirfnis der Vereinigung
aus dem Leben der Menschen entschwindet
und die Gegensätze
Selbständigkeit gewinnen
entsteht das Bedürfnis der Philosophie“
Das war der Ausgangspunkt
ihres Unterrichtens
ohne besonderen Plan, ohne festes Programm
Erinnern bloß an Fragen, die man stellen könnte
Vorschläge unterbreiten
wie den Zwickmühlen falscher Alternativen
zu entgehen sei. Einen Ort schaffen
an dem man reden konnte, ohne sich
gleich um das Resultat zu kümmern. Empörte sich
ein Student, er wüßte jetzt nicht
was für die Prüfung zu lernen sei
beschied sie ihm nicht ohne Bosheit, er solle
ganz einfach weiterdenken bei der Prüfung
Doch die verschlossenen Wesen
der in den Siedlungen Aufgewachsenen
in die Stadt nur gekommen, ein Zertifikat
zu erwerben, öffneten sich kaum. Sie behielten
ihre Faszinationen für sich. Später
fanden sie wohl ihr Auskommen, hatten sogar Mitleid
mit den „Klienten“, fremd blieb ihnen jedoch
die Mitfreude. Andere hingegen
liebten die ungewöhnliche Lehrerin, sagten
sie hätten von ihr gelernt. Alle aber
blieben wie betäubt vor dem anderen
Satz des Philosophen Hegel stehen:
„Das Bekannte ist darum, daß es bekannt ist
noch nicht erkannt.“
Ruth Klüger schrieb über „KindheitsZyklus“ an Konstantin Kaiser:
Du erfindest da praktisch eine neue Form von Autobiographie, die sich aus
einzelnen Stücken und dann wieder wie ein Mosaik als ein Ganzes zusam¬
mensetzt. Das Poetische daran ist unaufdringlich aber unüberhörbar. Es ist
ein leiser Ton, als ob der Sprecher uns mit seiner ganz individuellen Stimme
darauf hinweisen will, dass jede Kindheit hier miteingeschlossen ist. Besonders
gut gefallen mir Stellen wie das gar nicht ausgesprochene Bedauern am Ende
des Gedichts „Ueber meinen Großvater“, ähnlich das verhaltene Mitgefühl mit
der kleinen Katze und die wunderbaren grammatischen Strukturen wie „Das
Kind hat einen schwarzen Stoffhund/ Dem schafft es Panther sein an“. Da
Freut man sich übers österreichische Deutsch und dass mans versteht, auch nach
all den Jahren in Amerika.
Konstantin Kaiser: KindheitsZyklus. Mit einem Photo-Essay von Ima Plotz.
Innsbruck: kulturspur/verlag dr. irmgard plotz (2016). 100 S. Euro 15,¬
(ISBN 978-3-9502736-4-9)
Juni 2017 47