Verwandie Siglindes betrieben eine Gärtnerei in der Lobau. Sie war
in den Sommermonaten oft bei ihnen.
Sich ganz langsam mit dem Finger ans Aug fahren
an dem Finger ein weißer Tropfen
in dem weißen Tropfen ein Leben
Schwarzes Fahrrad, übergroß
an den Zaun gelehnt, jetzt erreicht sie
schon die Pedale, hängt auf der Sattelstange
rumpelt über den sandigen Landweg zum Greißler
oder zum toten Donauarm. Ein Vierteljahrhundert später
werfen zwei Buben aus Langenzersdorf
an dieser Stelle einen mit Wasser gefüllten Plastiksack nach ihr
weil sie schwanger und nackt ist
Sie hingegen tragen Badehöschen
Konstantin-Bulldog stößt vor auf die erschreckten Buben
Sie rennen, holen sich blutige Striemen im Gehölz
Buben-Mutter kommt, Akademikerin, Siedlingshaus, sich
beschweren
Siglindes Fahrrad über den Dünen
ihr Tigerhaar noch kinderhell
hinterher in lockerem Trab der Hund
Eines Nachts im Auwald
wird ihn der Jäger erschießen
Siglinde, kann sie
sich selber entdecken
unter den allzu offenen
Augen ihrer Verwandten
in der Nacht etwa
in der die Kohlköpfe barsten
ein naß gewordenes Feuerwerk?
„Eiserne Zeit“ — das Gasthaus am Naschmarkt
Siglinde war als Tochter einer Wirtin „mitarbeitende
Familienangehörige“.
Wenn die Bauarbeiter aus der Steiermark
mit denen aus Kärnten zusammentrafen
beim Warten auf ihre Busse am Freitag
galt es, das Mobilar zu schützen, die alten
"Thonet-Stühle hätten das nicht überlebt
Manchmal wurde mit Messern gefuchtelt, mit
abgebrochenen Flaschen. Siglinde
verhinderte, daß ich eingriff. Ich sollte gehörigst
die Sache ihr überlassen. So blieben mir
einige Dinge erspart. Manchmal jedoch
stand sie einfach nur mit strahlenden Augen
hinter der Theke. Eingebrochen wurde öfters. Das Schlimmste
war die Verwüstung. Der sanfte Riese Leo
brach einem Angeber beim Tischplattendrücken
zwei Finger, während die kleine blonde Prostituierte
sich friedlich in ihrer Pause die Melange und das Kipferl
gönnte. Fern von der Budel, ganz hinten
im Halbunkel saß gern der literarische Kiebitz
und schrieb das Leben mit oder was er dafür hielt
Am mühsamsten war das Abschließen, das Weg¬
und Einräumen, das Zählen des Geldes, das Bodenaufwischen
Einkühlen des Biers für den nächsten Morgen, Verstecken
des Wechselgeldes, Nachfüllen des Ofens. Um danach
nicht in bleiernen Schlaf zu fallen
mußte man noch irgendwo hingehen
Wie gern hätte sie weiter getanzt
Wie gern hätte sie weiter getanzt
mit federndem Schritt auf den Zehen
Wie gern hätte sie weiter getanzt
als am Ende der Ballettschule
die Wahl offen stand als Elevin
in die Aufzüge der Staatsoper zu gehen
Wie gern hätte sie weiter getanzt
als statt des Unterrichts verkleidet
der Tanzschulleiter kam mit weißem Bart
und jedem Kind ein Päckchen reichte
das die Eltern abgegeben hatten
Nur ihre Mutter hatte vergessen
Wie gern hätte sie weiter getanzt
als die Tanzschulleiterin erklärte
großgewachsene flachsblonde Dame
sie müsse schlimm gewesen sein
weil der Nikolo ihr nichts brachte