Gleichzeitig wurde der Prozeß gegen Martin Josef Prandstätter
durchgeführt. Prandstätter war um das Jahr 1750 zu Wien geboren
worden. Er hatte eine sorgfältige Erzichung genossen und war
als Magistratsrat der Stadt Wien die erste Instanz für Kriminal¬
fälle. Er hatte sich wenig um Politik, mehr um Dichtkunst und
Philosophie bekümmert und war ein unbedingter Anhänger der
Ideen der französischen Revolution. Wenige Tage vor Beginn
der Jakobineruntersuchung hatte ihm Saurau versichert, daß er
nichts zu fürchten habe. Damit der Prozeß Prandstätter mit der
gewünschten Verurteilung ende, übernahm Saurau den Vorsitz,
und ein alter Feind des Angeklagten, der Magistratsrat Martinolli,
wurde zum Beisitzer gemacht. Dem Angeklagten wurde vorgewor¬
fen, daß er „statt das Glück einer sanften Regierung zu erkennen,
sich vielmehr zu Menschen gesellte, welche boshafte Pläne zum
Umsturz der gegenwärtigen Staatsverfassung entwerfen, zu dem
Ende geheime Verbindungszeichen in Vorschlag brachten, auf¬
rührerische Schriften verfaßten und in Umlauf setzten und selbst
Feinden des Staates eine Kriegsmaschine in verräterischer Absicht
überschickten. Er hatte von allen diesen bösen Unternehmungen
nicht allein volle Wissenschaft, sondern nahm durch Überset¬
zung und Verbreitung aufrührerischer Schriften auch werktätig
Teil daran.“ Das Verfahren gegen Prandstätter bewies zwar seine
der französischen Revolution zugeneigte Gesinnung keineswegs,
aber seine Schuld. Dennoch wurde er dazu verurteilt, „durch
drei aufeinanderfolgende Tage jedesmal eine Stunde lang mit
einer ihm von der Brust hängenden und sein Verbrechen durch
die Worte ‚Teilnahme an Landesverrat‘ anzeigenden Tafel auf der
Schandbühne öffentlich ausgestellt zu werden.“ Hiernach sollte er
30 Jahre lang „zum langwierigen schwersten Gefängnisse zweiten
Grades angehalten“ bleiben. In der Verschwörung waren ferner der
Hauptmann Billeck, in dessen Besitz sich zahlreiche revolutionäre
Schriften befunden haben sollen, und ein Offizier namens Andreas
Freiherr von Riedl, der zu 60 Jahren Gefängnis verurteilt wurde,
verwickelt. Ein Angeklagter beging im Gefängnisse Selbstmord. Im
Zusammenhange mit dieser Verschwörung wurden sieben weitere
Personen in Untersuchung gezogen und verurteilt.
Drei Personen, die man durch die Jakobinerverschwörung zu
treffen gedachte, erreichte man nicht: Sonnenfels, Johann Baptist
Alxinger, der mit seinem Gedicht „Die Duldung“ gewissermaßen
das Programm des Josephinismus geschrieben hatte, und Alois
Blumauer, den „Dichter, Epikuräer, Freigeist, Genie, Hagestolz.
Jesuiten, Maurer, Pfaffenfeind“, wie ihn eine fingierte Grabschrift
benannte. (Rochs Allg. Lit. Anzeiger 1798.) Die Angriffe Sonnen¬
fels scheiterten, meint (Joseph von) Hormayı, an seinem Biedersinn
und seiner strengen Pflichtentreue. „Alxinger rettete seine übergro¬
ße Etourderie (d.i. Gedankenlosigkeit, Unbesonnenheit, Leicht¬
sinn), Blumauern Ertrunkenheit und Ostentation im Zynismus.“
Franz II. hat mit diesen Prozessen zum ersten Mal gezeigt, mit
welchen Mitteln er die freien Geister niederzudrücken verstand.
Rücksichtslos, wie er später die italienischen Freiheitsfreunde
niederwarf, zeigte er sich bereits im Anfange seiner Regierung.
Was sich dem Arm seiner Gerechtigkeit zu entziehen vermochte,
mußte untergehen in Ertrunkenheit und Zynismus wie Blumauer.
Fritz Brügel - ein „typischer“ Freimaurer der Ersten Republik
Im April 1923 wurde Fritz Brügel in die Wiener Freimaurerloge „So¬
krates“ aufgenommen. Er war 26 Jahre alt, aktiver Sozialdemokrat,
hatte gerade seinen ersten Gedichtband „Zueignung“ herausgebracht
und war Leiter der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der
Arbeiterkammer geworden. Er sollte bis 1934 ein sehr aktiver Frei¬
maurer bleiben.
Einige Mitglieder der 1874 gegründeten Loge „Sokrates“ waren Fritz
Brügel wohl sehr vertraut, so Max Schleiffer, seit 1922 Meister vom
Stubl der, Sokrates“. Schleiffer, von Beruf Buchhalter, war Mitarbeiter
der 1898 vom Freimaurer Rudolf Strauß und von Karl Kraus gegrün¬
deten Wiener Wochenschrift für Wirtschaft, Kunst und Wissen „Die
Wage“. In der März-Nummer 1923 war der in der aktuellen Ausgabe
von ZW abgedruckte Beitrag Fritz Brügels über die Frühdemokraten
erstmals erschienen. Das waren die sogenannten Wiener Jakobiner,
zumeist Freimaurer, die ab 1794 brutal durch Kirche und Kaiser
verfolgt worden waren. In diesem Beitrag für „Die Wage“ kann man
einen Hinweis finden, was ein junger Mensch und Sozialist wie Fritz
Brügel in der Freimaurerei zu finden dachte, nämlich:
„[dass in] geheimen Gesellschaften, Freimaurer und Illuminaten,
in deren bergendem Dunkel sich philosophische Köpfe über die bes¬
ten Regierungsformen und die angeborenen Rechte des Menschen
unterhalten [...]“
Für einen, der sich ebenfalls für die besten Regierungsformen und
die angeborenen Rechte des Menschen einsetzen will, der Sozialist und
Pazifist war, dürfte die „Sokrates“ jedoch von besonderer Attraktivität
gewesen sein, waren doch in jüngster Vergangenheit der Arbeiterführer
Franz Schuhmeier und der Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann
Fried ihre Mitglieder gewesen. Fritz Brügel wusste das alles aus erster
Hand, war doch einer der wohl ihm vertrautesten Menschen Mitglied
der „Sokrates“ seit 1907, nämlich sein Vater Ludwig Brügel. Dieser
war nicht nur der Lehrer Franz Schuhmeiers in der Abendschule
gewesen, sondern zu diesem Zeitpunkt der Historiker der Sozialde¬
mokratie. In seiner fünfbändigen, 1925 fertiggestellten „Geschichte
der Sozialdemokratie“ wird das Verhältnis zwischen Schuhmeier und
der Freimaurerei ausführlich dargestellt. Detail am Rande: 1908
hatte die Mehrheit der „Sokrates“ für die Aufnahme von Frauen
votiert, ein Votum, das von den anderen Wiener Logen abgelehnt,
sogar bekämpft wurde.
Die „Sokrates“ war eine der großen Logen der Ersten Republik.
Mit etwa 100 Aufnahmen zwischen 1918 und 1938 hatte sie bald
zu viele Mitglieder. So gründete Fritz Brügel mit einigen Brüdern
1925 die Loge „Freiheit“. Fritz Brügel warb für die neue Loge auch
neue Mitglieder: so den Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek
Karl Arthur Kollischer oder den Lehrer Robert Hein, der 1932 bis
1934 für die Sozialdemokratie im niederösterreichischen Landtag
saß und Mitglied im Arbeiter-Esperanto-Bund war. Viele der Brüder
der „Sokrates“ und der „Freiheit“ waren Anhänger der Ideen des Josef
Popper-Lynkeus. Sie vertraten eine moderne und politische Konzeption
dessen, was Freimaurerei im XX. Jahrhundert sein sollte.
Den Essay hat Fritz Brügel nur einige Wochen vor seiner Aufnahme
in der „Sokrates“ verfasst. Sein Beitrag über die „Wiener Jakobiner“
ist mit dem damals zur Verfügung stehenden Wissen geschrieben und
domumentiert mehr die persönliche Einstellung eines jungen, linken
Humanisten und Dichters, denn das Ergebnis einer profunden wis¬
senschafilichen Arbeit. Ein ausführlicher Beitrag über Fritz Brügel
und die Loge Sokrates, von Susanne Winkler und mir verfasst, ist
im Katalog zur Ausstellung „300 Jahre Freimaurer. Das wahre Ge¬
heimnis“ erschienen. (Alexander Emanuely, Susanne Winkler: Wir
sind das Bauvolk... die königliche Kunst in der Ersten Republik. In:
300 Jahre Freimaurer. Das wahre Geheimnis. (Ausstellungskatalog
Österreichische Nationalbibliothek), Wien 2017, S. 98-107.
Alexander Emanuely