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Meister vom Stuhl der Sonderloge Nummer 675 im Werden. Ehe¬
maliger Redner, 2. Aufseher, 1. Aufseher, Stellvertreter des Meisters vom
Stuhl der Loge „Heimat“ im Orient von Wien, ehemaliger Senator der
österreichischen Republik, Gründer und Präsident und Ehrenmitglied
der CIA.M.A.C.'

Diesen Brief schrieb der nach Paris geflüchtete österreichische
Freimaurer Maximilian Brandeis am 18. Februar 1939 an Paul
Perrin in dessen Eigenschaft als Mitglied des Ordensrates des Grand
Orient de France (GOdF). Beigelegt war eine Liste mit Hinweisen
auf einige zuvor interniert gewesene und nun in besonderer Not
lebende Brüder und Schwestern. Hierbei wurden die Namen aber
nicht ausgeschrieben, angegeben wurde nur der erste Buchstabe.
Doch aus der notierten Logenzugehörigkeit in Wien und einigen
biografischen Angaben lassen sich die Namen rekonstruieren:

Leopold Kandler war Stuhlmeister und Ehrenstuhlmeister der
Loge „Schiller“ in Wien, danach für einige Zeit in Gestapo-Haft.
Er war Mitglied der Loge „Mozart“ in Paris und danach der öster¬
reichischen Loge „Humanitas“ in New York. Mit ihm befanden
sich seine Frau und seine Tochter.

Joseph Mauthner war ehemaliger Präsident der Gewerbekam¬
mer und ebefalls Stuhlmeister der Loge „Schiller“, er wurde zehn
Monate in Dachau und Buchenwald interniert und konnte 1939
nach Palästina Hüchten. Nach dem Krieg siedelte er sich in London
an, wo er Mitglied der österreichischen Loge „Mozart“ wurde. Er
hatte Frau und zwei Töchter.

Josef Foscht war Vizepräsident des Österreichischen Verbandes
der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. 1933 trat er
von der Sozialdemokratischen zur Kommunistischen Partei Öster¬
reichs über und wurde deswegen schon im „Ständestaat“ zwischen
1934 und 1938 mehrfach interniert. Foscht wurde aktives Mitgleid
der Loge „Mozart“ in Paris und flüchtete nach einer weiteren
Lagerhaft in Frankreich nach Mexiko. Er wurde von seiner Frau
und einer minderjährigen Tochter begleitet.

Arthur Löwinger war in Wien Abteilungsvorstand der Versiche¬
rungskassa der kaufmännischen Angestellten und danach Mitglied
der Loge „Mozart“ in Paris. Seine Frau war schwer traumatisiert
und er musste sich um zwei minderjährige Töchter kümmern.

Hans Prager war ein vielseitiger Schriftsteller und Philologe
(Shakespeare, Dostojewski, Ghandi) und Ehemann der Schrifstel¬
lerin Käthe Braun-Prager, beide waren aktive Mitglieder der sozial¬
demokratischen Partei. Hans Prager konnte nach einer Gestapohaft
mit seiner Tochter nach Paris flüchten, wo er im Dezember 1940
geschwächt von der französischen Lagerhaft verstarb.

Erwin Steiner war Jurist aus der Loge „Gleichheit“ und arbeitete
im Bereich medizinisch-technischer Geräte. Nach einer längeren
Gestapo-Haft flüchtete er über Paris nach Amerika.

Marcel Zappert war Jurist und Journalist bei der linksliberalen
„Tageszeitung“, danach laut dem Brief von Brandeis Vorsitzender
der Journalistengewerkschaft. Er war verheiratet und hatte einen
minderjährigen Sohn, nach dem Zwischenstop in Paris trater der
Loge „Humanitas“ in New York bei.

Zudem wurde Hilfe erbeten für die in Paris lebende Witwe von
Hermann Schäffer aus der Loge „Sokrates“, der sich im Juli 1938
in London das Leben genommen hatte; ebenso für die Witwe von
Johann Veczler, einem Internisten und Philologen (Spinoza), der
bereits 1933 in Wien verstorben war.

Am Ende der Liste findet sich noch noch der Hinweis, dass alle
diese Personen ohne alle Mittel dastehen.

56 ZWISCHENWELT

Wie weit der GOdF hier helfend eingreifen konnte, lässt sich
aufgrund der vorliegenden Akten nicht ergründen. Erhalten ge¬
blieben ist nur ein Antwortschreiben von Perrin an Brandeis:
Mein lieber Freund,

[...]

Wir werden alles in unserer Macht stehende unternehmen, um
Ihnen Genüge zu tun und Ihnen zu helfen, die Leiden Ihrer Lands¬
leute zu lindern.?

Auf dem Aktendeckel wurde noch handschriftlich hinzugefügt,
dass die Causa am 22. Februar 1939 im Beamtenrat besprochen
wurde und der Präsident des Ordensrates des GOdF Arthur
Groussier persönlich Brandeis empfangen werde.

Wer war dieser hochaktive Maximilian Brandeis, der sich so
sehr für seine Brüder und Schwestern einsetzte, und wie kam
es zur Gründung der österreichischen Loge „Mozart“ in Paris?
Maximilian Brandeis (1894 — 1996) war im Zivilberuf Handelsan¬
gestellter, doch er hatte auch öffentliche Ämter inne. So fungierte
er als Präsident des Landesverbandes Wien der Kriegsinvaliden
und Kriegshinterbliebenen Österreichs und avancierte von 1930
bis 1934 zum sozialdemokratischen Abgeordneten zum Bundes¬
rat (österr. Länderkammer). Nach dem Bürgerkrieg im Februar
1934 wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und etliche
ihrer Vorfeldorganisationen von der Regierung Dollfuß verbo¬
ten. Maximilian Brandeis war nach dem März 1938 nach Paris
geflüchtet, wo er offensichtlich rasch Mitglied der Loge „Fidelite“
der Grande Loge de France (GLdF) wurde.

Paris und London wurden in der verbleibenden kurzen Zeit bis
zum Ausbruch des 2. Weltkriegs im September 1939 die wich¬
tigsten Zentren österreichischer Exilanten. Unter diesen befanden
sich etliche Freimaurer. So berichtete Karl Kapralik, der im NS¬
regierten Wien als Funktionär der Israelitischen Kultusgemeinde
arbeitete, über seine wundersame Errettung:

Mitte Juni 1938 erhielt ich durch die Grande Loge of France die
Einreisebewilligung nach Frankreich. Ministerpräsident Chautemps,
der damals Grossmeister der Grande Lodge war, gab persönlich den
Auftrag, mir und meiner Frau die Visa zu erteilen.

Doch dies war wohl cher die Ausnahme von der Regel. Robert
Wurmfeld war über Zürich nach Paris gekommen, er berichtete
über die Aufnahme in Paris und die spätere chaotische Flucht vor
der anrückenden Wehrmacht:

An einem der ersten Tage traf ich durch einen Zufall unseren Br.:
Maximilian Brandeis, dem ehemaligen soz.dem. Bundesrat, der mit
dem ehrw. M.: der deutschen L.: Goethe in Paris im Cafehaus saf,.
Br.: [Adolf] Altmann lud uns sofort ein, seine L.: zu besuchen, was
wir auch taten, uns jedoch nicht restlos wohl fühlten. Wir traten daher
mit dem Grofssekretir der Grande Loge de France, Br.: [Philippe]
Collaveri in Verbindung und wurden sofort in französische LL.: ein¬
geladen. Nach und nach kamen andere Wiener Brr.: an. Durch unsere
Verbindungen mit der Grande Loge konnten wir sofort vielerlei leisten,
da ja die meisten der Neuankömmlinge mit 10 Mark in der Tasche da
standen. Die Grande Loge gründete sofort einen Unterstützungsfonds,
wir gründeten ein Beratungskomitee, dem Brandeis vorsaß und tat¬
kräftige Hilfe setzte sofort ein. Es waren mindestens 300 Francs, die
monatlich ausgezahlt wurden, an Familienväter bis 500. Das war
sehr viel und deckte meistens die Miete. Andere Komitees sorgten dann
für das übrige. Es müssen in diesen Jahren von 1938 bis 1940 viele
hunderttausend Franken von der Grande Loge ausgezahlt worden
sein, abgesehen von der administrativen Hilfe, die es gab, indem sie
Brr.:, die visalos ankamen, legalisierte und in Regionen unterbrachte,