erstens weil es schön ist zu wissen, dass die „Chief Guide“ und ich
an unserem Geburtstage in Euren Gedanken waren; und zweitens,
weil wir froh sind, dass ihr sicher in England seid. Wir hoffen auf das
Innigste, dass Ihr dort, unter Euren britischen Pfadfinderbrüdern,
eine warme Aufnahme finden werdet, und eine neue Heimat und
ein neues Glück.“
Die Hoffnung Baden-Powells bewahrheitete sich. Österreichi¬
sche Pfadfinder fanden Anschluss an die britische Pfadfinderbe¬
wegung. Im August 1939 nahmen 20 „Ex-Austrian Scouts“ an
einem internationalen Lager in Staffordshire teil. Der mit dem
Kindertransport nach England gekommene Karl Stayna, Wolf¬
ling (damals zwischen 8 und 12 Jahren) in Wien, lernte bei den
Scouts Englisch, kam mit Gleichaltrigen zusammen und fühlte
sich zu Hause. Hans Eric Frank, der über Ungarn mit 17 Jahren
nach England geflüchtet war und dort einige Zeit als feindlicher
Ausländer interniert war, warals Lehrer und Pfadfinderleiter tätig.
Aufgaben auf nationaler Ebene folgten: Assistant Headquarters
International Commissioner for UK Scouting und Mitglied des
Adult Leader Training Board. Beruflich im Management und als
Hochschullehrer erfolgreich unterstützte er die Pfadfinderbewegung
als BP-Fellow und seit 20 10 mit seiner eigenen Stiftung finanziell.
Seinen Freunden in Österreich blieb er als Mitglied der in Wien
ansässigen Gilde „Feuerkreis“ verbunden.
Auch in anderen Ländern schlossen sich ÖPB Mitglieder der
lokalen Pfadfinderbewegungan und blieben ihr lange verbunden.
In einem Brief aus dem Brasilien der 1960er Jahre heifst es: „Bei
uns ist nicht viel Neues. Meine Pfadfinder sind derzeit im Regi¬
onslager von Curitiba.“'? Teddy Whitman (vor der Emigration
Wittmann) schreibt:
Ich war einige Jahre in der Pfadfinderbewegung Amerikas tätig,
erst als Wölflingsführer, dann als „Commissar“ und seit wir hier nach
Connecticut zogen, als GFS (Assistant Scoutmaster). Es hat mir viel
Spass [sic!] gemacht und ich glaube, dass ich der Pfadfinderei in
unserer kleinen Stadt durch meine österreichischen Erfahrungen eine
interessante Würze verliehen hatte, solange ich dabei war.!°
Doch nicht nur bestehende Gruppen und Strukturen sind ge¬
stärkt worden, auch neue Gruppen wurden gegründet. In Bolivien
gründeten „Rique“ Salzmann, Ernst und Heinz Kalmar den „Pfad¬
finderbund EI Condor“. Jüdische Emigranten aus Deutschland,
Österreich und Ungarn gehörten der Gruppean. Mitglieder waren
Knaben und Mädchen. Der Kontakt zwischen den Mitgliedern
blieb auch nach den Jugendjahren noch lange bestehen."
In Shanghai entstand auf Initiative des Wieners Fred Mittler
eine starke Pfadfinder- und Pfadfinderinnengruppe. Ludwig Salzer
berichtete in einer der Gruppenzeitungen:
It was in October 1939 when for the first time a meeting of the
» 13th United Scout Group “took place. About 35 young men followed
the call of Fred Mittler and assembled in Museum Road ten to lay
the foundation to a youth-movement true to the spirit of the founder
Lord Baden-Powell and in accordance with the great adventure we
all had found in scouting in Europe. Good times and more often hard
and stormy tides we withstood in all these, never fartering in real and
good friendship. It seemed through all these years as if nothing ever
could tear apart our Group."
Ein Rover aus der Gruppe schrieb in seinen Memoiren:
Scouting in the European sense was all but impossible, and much
imagination was necessary to develop and maintain activities that would
keep children of all ages of the streets until the first schools, financed
by Jewish millionaire Horace Kadoorie, were opened. Some of the
children had little opportunity to see grass or trees, Millington Camp,
a magnificent estate belonging to the British Boy Scouts Association,
provided camping facilities. With the aid and supervision of a single
medical volunteer, Dr. Mario Herbst, a few Rover Scouts supervised
camping activities for more than 100 youngsters.’
Unter dem Dach der britischen Pfadfinder- und Pfadfinderin¬
nenorganisationen erlebten die Fliichtlinge aus Europa ein Stiick
Normalität und Gemeinschaft. Durch Auswanderung löste sich
die Gruppe, die einst über 100 Mitglieder gezählt hatte, nach
Kriegsende langsam auf. Drei Pfadfinder kehrten aus Shanghai nach
Wien zurück und zwei schlossen sich Pfadfindergruppen in Wien
an. Fritz Tausig nahm 1947 am Welt-Jamboree in Frankreich teil.
Die Gruppe stand in regem Kontakt mit anderen ausländischen,
meist britischen und chinesischen Gruppen in Shanghai. Fred
Mittler wurde zum District Scoutmaster der British Boy Scouts
Association in Shanghai gewählt.
Pfadfinderei öffnete in Shanghai und anderen Ländern Türen.
Dr. Hans Steiner erinnert sich 1969: „...Ich freue mich immer
über Nachrichten von alten Freunden z.B. über Otto Weiss [-]
der ... internationale Pfadfinderpass, den er mir nach Dänemark
nachsandte, hat mir in den Philippinen sofort eine Dozentur
verschafft.“ Der 1908 Geborene absolvierte ein Studium der
Rechts- und Handelswissenschaften an der Universität Wien
und war danach als Rechtsanwalt tätig. 1938 flüchtete er über
Dänemark auf die Philippinen. Dort studierte er Bibliotheks¬
wissenschaften und Ichrte an der University of the Philippines
Sprachen. Während der japanischen Besatzung arbeitete er beim
Roten Kreuz und nach 1945 für die Firma Unilever sowie als
österreichischer Honorarkonsul und Handelsdelegierter. 1965
kehrte der Kunstsammler, der einen Teil seiner Kupferstiche und
Bücher während der Kämpfe um Manila verloren hatte, nach
Wien zurück wo er 1980 verstarb.*!
Schon in normalen Zeiten führen Schulwechsel, der Eintritt ins
Berufsleben und auch Stufenwechsel innerhalb der Pfadfinder¬
gruppe zu einem Mitgliederverlust. Entsprechend hoch ist die oft
lebenslange Verbundenheit mit der Pfadfinderbewegung in der
neuen undalten Heimat einzuschätzen und als Teil des Selbstbildes
zu schen. Die Begeisterung fürs Pfadfinden wurde häufigauch an
die Kinder und Enkel weitergegeben.
Trotz der vielen Jahre, die seither vergangen sind, ist mir die Er¬
innerung an die Pfadfinderzeit sehr lieb und die Erfahrungen und
Lehren, die man in diesen jungen Jahren empfängt, sind bleibend
... Mein Sohn war amerikanischer Scout, meine beiden Enkel sind
es jetzt auch.”