OCR Output

Kontakt zwischen den Emigranten und der „alten Heimat“

Karl „Dadi“ Prochazka, 1938-1940 selbst politischer Häftling in
Dachau und Flossenbürg, pflegte ab 1945 intensiven Briefkontakt
mitemigrierten österreichischen Pfadfindern in aller Welt. Prochazka,
ab 1950 Bundesfeldmeister (BFM) des wiedergegründeten ÖPB,
bemühte sich, für die Vertriebenen einen Platz in der österreichi¬
schen Pfadfinderbewegung zu schaffen. In Rundbriefen und später
in Zeitschriften wurde über die 13th United Group in Shanghai
berichtet, zu Auszeichnungen gratuliert und Nachrufe für in aller
Welt Verstorbene gedruckt. Mit gleicher Energie bemühte er sich,
mit einem Denkmal, in der Pfadfinderführerausbildung und in
Publikationen an die in den Konzentrationslagern ermordeten
Freunde zu erinnern.

1946 richteten Robert Ulrich, AdolfKlarer und Karl Prochazka
einen Aufruf an die chemaligen Mitglieder in Österreich und im
Ausland. Dort heißt es unter anderem:

Wir denken in diesem Zusammenhang auch besonders an die vielen
Freunde im Ausland und in Übersee, denen diese Zeilen gleichfalls
zugehen sollen. Wir sind überzeugt, daß Ihr gerne wieder mit uns
Verbindung aufnehmen werdet und uns fallweise jeder nach seinen
Kräften und beruflichen Möglichkeiten helfen wollt.”

Hilfe leistete Kurt Fischer, der nach Haiti emigriert war und
dort als International Commissioner der dortigen Pfadfinder
tätig war. Er schlug auf der Weltkonferenz 1947 in Frankreich
den österreichischen Bundesfeldmeister erfolgreich für das In¬
ternationale Komitee der Pfadfinderbewegung vor.“ Nach der
Wiedergründung des ÖPB waren frühere ÖPB-Mitglieder und
Freunde des Bundes Kronzeugen für die Qualität der eigenen
Arbeit gegenüber dem Internationalen Pfadfinderbüro: „Darüber
hinaus haben aber viele Pfadfinderkameraden aus verschiedenen
Ländern, wie Großbritannien, Frankreich, Belgien, Luxemburg,
Chile, Haiti usw., sich von der Güte der pfadfinderischen Arbeit
des ÖPB überzeugen können.“”° Die Pfadfinderkameraden waren
großteils österreichische Emigranten wie Kurt Fischer und alte
Freunde wie Glad Bincham — Freundschaften mit großem Nutzen
für den um internationale Anerkennung ringenden ÖPB. Der
Verlust der internationalen Anerkennung war schmerzhaft, wie
folgendes Briefzitat deutlich zeigt:

Der Oe.BB. wurde 1938 verboten, niemals aber wurde ihm von
Seiten des Internationalen Pfadfinderkomitees aus London die in¬
ternationale Anerkennung abgesprochen. Wenn ihm heute die Aner¬
kennung verweigert wird, ganz gleich in welcher Form, so heifst das
nichts anderes, als dass die Pfadfinderinternationale die Mafnahmen

Karl „Dadi“ Prochazka

14 ZWISCHENWELT

der Regierung Hitlers und der Nazi sanktioniert und gutheift. Mit
solcher Schmach darf sich das Weltpfadfindertum nicht belasten.”°

Diese emotionale Wortwahl und die Berücksichtigung der Welt¬
pfadfinderbewegung, ihrer Organisation und der Jamborees in
Ausbildungsschriften zeigen den Stellenwert, der der Zugehörigkeit
zur weltweiten Organisation zugesprochen wurde. Über Vermittlung
von Fritz von Molnar, einem langjährigen Freund des ÖPB aus
Australien, kam es 1957 zu einer Aussprache mit dem Direktor des
Internationalen Büros mit einem für den ÖPB sehr erfreulichen
Ergebnis, nämlich der de facto Anerkennung des ÖPB. Er würde
alle Einladungen zu internationalen Veranstaltungen erhalten.
ÖPB-Vertreter wurden von Spitzenvertretern der Weltpfadfin¬
derbewegung wie General Spry wertschätzend empfangen und
konnten am Jamboree-Moot-Indiba (Welttreffen verschiedener
Altersstufen) in Sutton Coldfield mit einer eigenen Abordnung
teilnehmen. Dolmetscher war Hans Eric Frank.

Von 1961 bis 1977 wurde in Wien von Leopold Zimmermann
und Karl Sacky „Der Kreis-Rundbrief an alte Pfadfinderfreunde“
herausgegebenen und in alle Welt versandt. In diesem Rundbrief
berichteten die in aller Welt verstreuten Jugendfreunde über ihre
aktuelle Lebenssituation, schwelgten in Erinnerungen und gedach¬
ten ihrer Verstorbenen. Gleichzeitig wurde ein Freundeskreis des
ÖPB mit Mitgliedern in aller Welt gegründet, der die Arbeit des
Bundes ideell und finanziell unterstützte:

ÖPB-Treffen in London: Unser BEM verbrachte Ende August
einige Tage in London und konnte dort in den Räumen des neuen
Baden-Powell Hauses mit 26 ehemaligen Angehörigen unseres Bundes
zusammentreffen. Dadi mufste stundenlangüber die alte Heimat und
unseren Bund berichten. Um ihre Verbundenheit zum ÖPB leben¬
diger zu gestalten, beschlossen unsere alten Kameraden, künftighin
jährlich einer Pfadfinderpatrulle den Besuch Englands finanziell zu
ermöglichen.”

Pfadfinderbrüder wie Gerhard Felser und Kurt Fischer, die als
Honorarkonsule Österreich in Haiti und Australien vertraten,
engagierten sich im Ehrenpräsidium für den Ball des OPB. Es kam
zu Treffen und Besuchen in Osterreich, England und den USA.
Doch trotz aller gemeinsamen Erlebnisse und Freundschaften
blieb auch Distanz und Unverständnis, die sich aus den verschie¬
denen Lebenswegen 1938-1945, negativen Erfahrungen nach dem
Anschluss und der Ermordung von Angehörigen ergaben. „Der
Briefwechsel mit Dir hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich
wahrscheinlich Wien und Österreich nicht so ängstlich meiden
werde, wie auf früheren Europa-Reisen.“?®

Mein Freund Ted Whitmann wollte wieder einmal mit seiner Frau
nach Wien kommen, heuer im Sommer... Und so könnte ich einige
Freunde aufzählen, diegerne wieder einmalnach Österreich, nach Wien
kommen wollten undes immer wieder hinausgeschoben haben, bis die
Zeit abgelaufen war ... Freunde, zieht doch bitte einen Schlußstrich
unter jene Zeit, die wir weder gewollt, noch verhindern haben können.
Das haben nichteinmal größere Persönlichkeiten zusammengebracht!
Auch ich und Pozi und wir alle mussten einen Rock anziehen, den
wir hassten und gegen den es keine Auflehnung gab, aufser man gab
sein Leben dafür hin, wie die vielen toten Widerstandskämpfer in
Österreich beweisen. Lasst uns enger zusammenrücken, aufdaß unser
Kreis keine Lücken lässt und sich nach Innen festigt. Die hässlichen
Kriegsnarben sind fast ganz verschwunden, Wien und auch unsere
Städte in den Bundesländern sind schöner und größer geworden und
auch ein gewisser Wohlstand — nicht immer zum Besten — speziell
unserer Jugend ist eingezogen. Wenn auch unser Ö.BB. nicht mehr die
Größe hat, die er vor dem Jahre 1938 hatte, der Geist ist der gleiche