Mit Entsetzen nehme ich zur Kenntnis, dass füh¬
rende österreichische Gewerkschafter sich mit
der Idee eines Zehnstundentages arrangieren,
indem sie die Vereinbarung von Viertagewochen
ins Auge fassen.
Selbstredend sollen dabei auch Neuverein¬
barungen der Wochenarbeitszeit in Richtung
38-Stunden-Woche herausschauen. Aber selbst
wenn ein künftiger Zehnstundentag letztlich
de facto nur ein Neuneinhalbstundentag sein
mag, bleibt der Zeitaufwand für die Betroffe¬
nen inklusive Wege zum und vom Arbeitsplatz
kaum unter zehneinhalb Stunden; die Frage,
ob die Pause nach der sechsten Arbeitsstunde
in die Arbeitszeit eingerechnet wird oder nicht,
ist dabei noch offen.
Diese Art von Viertagewoche geht in jeder Hin¬
sicht in die falsche Richtung.
Erstens verschärft ein Zehnstundentag alle
Probleme der Kinderbetreuung und verstärkt
die Tendenz, Mütter aus dem Arbeitsleben zu
drangen oder auf Teilzeitbeschaftigungen zu fi¬
xieren. (Das kann auch einer kleineren Gruppe
von Vätern passieren.)
Zweitens können sich nur wenige Menschen
nach einem überlangen Arbeitstag mit anderen
Dingen ernsthaft beschäftigen, sei es ein Hobby,
ein Sport, die Pflege einer Freundschaft, ein
politisches, soziales oder kulturelles Engage¬
ment. Die Idee des Achtstundentages war ja,
den Arbeitenden ein ausgeglicheneres Leben
zu ermöglichen, mit einigermaßen normalen
Zeiteinteilungen. Und dies nicht nur an arbeits¬
freien Tagen.
Drittens steigt die psychische und physische
Belastung bei überlanger Arbeitszeit überpropor¬
tionalan. Es nimmt in den späteren Stunden des
Arbeitstages aber auch die Arbeitsproduktivität
ab. Wenn man also davon ausgeht, dass diese
Stunden zu gleichem Tarif bezahlt werden wie
die bisherigen Normalarbeitsstunden, wird die
letztlich gesunkene Arbeitproduktivität mittel¬
fristig einen Druck auf den Reallohn ausüben.
Viertens dürfte eine Viertagewoche zwar für
alle Pendler günstiger sein, was den Zeitaufwand
der Anreise betrifft, fördert jedoch die’ Tendenz,
sich außerhalb der Städte anzusiedeln, um dort
die verlängerten Wochenden bei Garten- und
Traditionspflege genießen zu können. Drei Tage
Man kann sagen, dass der Faschismus der alten
Kunst zu lügen gewissermaßen eine neue Variante
hinzugefügt hat — die teuflischste Variante, die
man sich denken kann — nämlich: das Wahrlügen.
Hannah Arendt
Es sei gar nicht so einfach, meinte ich, eine Na¬
tion, einen Kontinent so weit zu bringen, dass
die Bevölkerung ihre Ideen von Freiheit und
zivilisiertrem Umgang aufgibt. Ich habe mich,
so wie viele andere, geirrt.
Faschismus entsteht in einer Demokratie nicht
von heute auf Morgen. Man muss Versuchs¬
ballons starten, die folgenden Zweck erfüllen:
Erstens Menschen mit gezielten Aussagen an
etwas zu gewöhnen, von dem sie zunächst noch
zurückschrecken. Zweitens die Mittel dieser Ma¬
nipulation — eindimensionale Erklarungsmuster
— zu verfeinern, zu variieren und quantitativ
zu steigern.
Diese Wühlarbeit geschieht derzeit. Man muss
schon ein Narr oder Dummkopf sein, um dies
nicht zu erkennen.
Ein bevorzugtes Mittel des Faschismus ist
die Manipulation von Wahlen. Jeder konnte
sehen, wie dies beispielsweise bei der Wahl von
Trump, beim Brexit-Referendum und in der
Türkei funktionierte.
Eine weitere Strategie ist das Ansprechen
atavistischer Gefühle, die Schaffung von stam¬
mesähnlichen Identitäten, die Spaltung der
Gesellschaft in sich gegenseitig ausschließende
Gruppen und Gruppierungen.
Der Faschismus benötigt keine Mehrheit.
Er erobert sich die Macht mit weniger als 50
Prozent der Wählerstimmen. Er versucht in der
Folge mit allen möglichen Mitteln, Kontrol¬
le über das politische Geschehen zu erlangen;
und er betreibt Einschüchterung, um die Macht
auszubauen und schließlich zu konsolidieren.
Es macht gar nichts aus, wenn die Mehrheit
diese Vorgänge ablehnt, solange rund 30 bis
40 Prozent den Prozess fanatisch unterstützen.
Selbstverständlich wird der Faschismus durch
eine Wirtschaftsideologie begünstigt, die all dem
nichts entgegensetzt: Der Neoliberalismus ist
auf seiner Seite. Die Theoretiker und Profes¬
soren Friedrich August von Hayek und Mil¬
ton Friedman haben die Grundlagen geliefert,
Heerscharen von Schulen wie jene der „Chicago
Boys“ haben erfolgreich eine Gegenbewegung
zur Sozialen Marktwirtschaft eingeleitet. Und,
Rekreation machen vier Tage Arbeitssklaverei
nicht wett.
Fünftens: Über die gesundheitlichen Folgen
mögen Arbeitsmediziner urteilen. Ich kann mir,
vor allem bei den psychischen Erkrankungen,
einiges ausmalen.
Ich schreibe das auch, weil ich häufiger Mitor¬
ganisator von Autorenlesungen, Diskussionen,
Vorträgen bin, zu deren TeilnehmerInnen Per¬
sonen nach einem Zehnstundentag eher nicht
gehören werden.
DS.: Es ist mir bekannt, dass die Viertagewoche
auch von manchen ArbeitnehmerInnen begrüft
wird. Und es ist mir bewusst, dass aufgrund des
technischen Fortschritts statt des Achtstundentages
ein Sechsstundentag möglich und wünschenswert
wäre. Das ist aber kein Grund, den Achtstundentag
nicht zu verteidigen. Angesichts dessen, dass der
österreichische Staat die gesetzlichen Regelungen
des Achtstundentages aufweicht und aushöhlt,
müsste wenigstens die Gewerkschaft die Arbeiter¬
Innen davor schützen, sich mit Haut und Haar
zu verkaufen.
wir erinnern uns: „Wer aber vom Kapitalismus
nicht reden will, sollte auch vom Faschismus
schweigen.“ (Max Horkheimer, Die Juden in
Europa, 1939).
Die Strategen des Faschismus brauchen und
gebrauchen eine Propagandamaschinerie, die
so effektvoll ist, dass sie für seine Anhänger
und Handlanger ein ganzes Universum von
„alternativen Fakten“ schafft. Diese Indoktri¬
nierung geht permanent und aggressiv gegen
ungewünschte Realitäten und Tatsachen vor.
Sind Lügen einmal in die Welt gesetzt, ist es
nahezu unmöglich, das Gegenteil zu beweisen.
Emotionen, nicht Fakten, schaffen die Realität.
Dies alles geht in Ungarn, in Polen, in
Deutschland, in der Türkei, in den USA und
hierzulande bereits vor sich, wird ausgetestet,
hat Erfolg.
Sobald all dies funktioniert, haarsträubende
Aussagen und Anschuldigungen zur Gewohn¬
heit werden und mit dem Frühstück zum Alltag
gehören, kommt der nächste Schritt: Mora¬
lische Grenzen werden unterminiert und zu
Fall gebracht. Das Volk wird daran gewöhnt,
extrem grausame Handlungen zu akzeptieren.
Wie eine Meute von Bluthunden muss es auf