den Geschmack gebracht werden. Es muss mit
Schlagwörtern unter Begleitung einer ungezü¬
gelten Frechheit soweit gebracht werden, dass
es nichts Widriges mehr daran findet, sich an
Brutalitäten und Grausamkeiten zu begeilen.
Und schließlich zu beteiligen.
Faschismus vollzieht dies, indem er Angst und
Bedrohung aufbaut, Hass schürt, Sündenböcke
aufzeigt, enthumanisiert und zum Abschuss frei¬
gibt. Sobald dies erreicht wurde, kann nach und
nach an der Schraube gedreht werden, vom Tü¬
ren- und Fenstereinschlagen bis zur Auslöschung
der Gegner. Die Hetzjagden in Chemnitz sind
ein Vorgeschmack des Kommenden.
Auch dieser Schritt wurde und wird getestet.
Hierzulande, in den USA, in den meisten Län¬
dern Europas. Linke, „Gutmenschen“, Auslän¬
der, Roma und Sinti sind die Zielgruppen, die
Punzierten. Der rechtsextreme Innenminister
Italiens, Matteo Salvini, führt dies nicht nuran
den Flüchtlingen und Migranten vor, sondern er
schlug auch vor, die Roma registrieren zu lassen;
ist dies einmal geschehen, werden sich schon
Bluthunde finden: Von anonymen Tätern sei
diese und jener erschlagen, erstochen, erschossen
worden — wird es dann heißen.
Und getestet wurde von Trump: Lasst sehen,
wie meine Fans auf Babys in Käfigen reagieren.
Die Bilder von Ertrunkenen, von Kleinkin¬
dern, die von ihren Eltern getrennt sich aus
Verzweiflung ihre Seelen aus dem Leib schrei¬
en, sind Test-Bilder. Faschismus bediente und
bedient sich der Bilder. Und er liebte und liebt
Experimente.
Die Türkis-Blaue Regierung testet und expe¬
rimentiert Tag für Tag. Wir erinnern uns: Wir
werden uns noch wundern, was alles möglich
sein wird.!
Der allgegenwartige rechtsextreme Wahn —
auch aus den verfanglichen Ablagerungen des
Netzes — sind in den Parlamenten angekom¬
men. Rechtsextreme Parteien werden weltweit
bestarkt durch eine affirmative Parallelstruktur
aus Verschwörungstheorien, Desinformations¬
kampagnen und Hass-Postings. Sie provozieren,
diskriminieren und mobilisieren.
Jeden Tag wird ein Schäuferl nachgelegt.
Längst hat man sich hierzulande auf die so¬
zialen und zivilisatorischen Errungenschaften
der Zweiten Republik eingeschossen. Auf ihre
sozialen Institutionen, aber auch auf die Men¬
schenrechte und Werte wie respektvoller Um¬
gang mit dem Nächsten, auch wenn diese oder
dieser anders aussieht und anderer Meinung ist.
Zu helfen, solidarisch oder karitativ zu wirken,
wird denunziert, Begriffe wie „Gutmensch“
und „links-links“ wurden getestet, sind längst
Schimpfwörter geworden. Heißt, unausgespro¬
chen, der „Schlechtmensch“ ist en vogue.
Politiker vom rechten Rand wie Udo Land¬
bauer, Innenminister Herbert Kickl und Vi¬
zekanzler H.C. Strache betrachten (noch) das
Strafrecht als einzigen Maßstab für politische
Verantwortung. Dass es auch eine moralische
gibt, ist Schnee von gestern. Wenn nun auch
Gesetze so geändert werden, dass eine faschisti¬
sche respektive nationalsozialistische Gesinnung
sowie Taten, die dieser folgen, nicht mehr sankti¬
oniert werden können — Bestrebungen dazu gibt
es in ganz Europa -, ist es aus mit einer Politik,
die als Grundlage für ihre Entscheidungen die
Deklaration der Menschenrechte anerkennt.
Die Medien, nicht nur die sogenannten sozia¬
len - ich erlaube mir seit Jahren, diese als asozial
zu bezeichnen — ziehen mit. Gratiszeitungen, der
Boulevard, jedoch nicht nur dieser?, forcieren
ein manichäisches Weltbild, sind ein einziger
Abgrund. Millionen von US-Amerikanern und
Europäern werden tagtäglich indoktriniert, „ler¬
nen“, das Undenkbare zu denken.
Der Test geht weiter, die Resultate werden
analysiert, die Methoden perfektioniert, die
Botschaft geschärft und zugespitzt. Taten kön¬
nen folgen.’
Ansprache in Haslach an der Mühl, 15.8.2014
Ich spreche heute zu Euch als Haslacher, der
ich — trotz meines Wohnortes Wien seit mehr
als 50 Jahren und meiner Aufenthalte in vielen
Ländern und Städten Europas — bis heute ge¬
blieben bin. Kein Ort hat mich so geprägt und
mit keinem anderen Ort bin ich so engund un¬
trennbar verbunden wie mit meinem Heimatort
Haslach. Und so habe ich vor mehr als einem
Jahrzehnt auch viele meiner Erinnerungen an
Ereignisse und Menschen in Haslach, an das
Leben damals und hier, in meinem Buch mit
dem Titel „Lebensbilder“ niedergeschrieben. Ich
habe meine Begegnungen mit verschiedenen
Personen aus meiner Kindheit und Jugend und
meine Beziehungen zu ihnen geschildert, indem
ich mich ihrer erinnert habe. Und da fiel mir
unter anderem der „Schopper-Loisl“ ein, den
vielleicht einige von Euch noch gekannt haben,
und ich habe auch über ihn eine Geschichte
geschrieben. Diese habe ich bei einer Lesung in
Salzburg vorgetragen. Nach der Veranstaltung
kam eine Dame auf mich zu und sagte: „Sie
werden mich nicht kennen, ich bin eine der sie¬
ben Töchter des Haslacher Gemeindearztes Dr.
Kaufmann. Und ich habe den Schopper-Loisl
auch gekannt.“ Und fügte dann hinzu: „Ich habe
meinen Vater nur einmal in seinem Leben wei¬
nen gesehen; das war, als er vom Krankenhaus
Engerwitzdorf, September 2018
Richard Wall schreibt Lyrik, Essays und erzäh¬
lerische Prosa, zwischendurch entstehen Collagen,
Malereien und Zeichnungen. Zuletzt erschienen:
Fränkische Momente. Wege — Orte — Personen (ge¬
meinsam mit Klaus Gasseleder. Erlangen: Wildleser
Verlag 2018).
1 Das Originalzitat stammt von dem Präsident¬
schaftskandidaten Norbert Hofer: „Sie werden
sich noch wundern, was alles möglich ist!“ - Und
der derzeitige Vizekanzler meinte in einer Rede
vor dem Nationalfeiertag 2016, „mittelfristig“
sei ein „Bürgerkrieg nicht unwahrscheinlich“.
2 Die Indoktrinierung von Printmedien ä la
Oberösterreichische Nachrichten, die von sich be¬
haupten, Qualitätszeitungen zu sein, sind nicht
weniger problematisch. Mit dem Anspruch der
Seriosität bereiteten sie mit dem ständigen Mies¬
machen des Sozialstaates und ihrer tragenden
Säulen den Boden auf für die FPÖ und den
Rechtsruck.
3 Beispielsweise in Chemnitz. Nach der ent¬
schieden zu verurteilenden Tötung eines Deut¬
schen durch Messerstiche (tatverdächtig zwei
Flüchtlinge aus Irak und Syrien), organisierten
sich Rechtsradikale zu einer Hetzjagd auf „Aus¬
länder“ und Personen mit dunklerer Hautfar¬
be; diese Ausschreitungen sind dokumentiert;
dennoch behauptete der Chef des deutschen
Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans¬
Georg Maaßen, es lägen keine „belastbaren“
Informationen vor, dass „Hetzjagden stattge¬
funden“ hätten. Ist der BfV auf einem Auge
blind? Ist es ein Zufall, dass die rechtsextreme
Terrorgruppe NSU unentdeckt morden konnte?
(das übrigens mein Vater als Bürgermeister in
den Dreißigerjahren errichten hatte lassen) nach
Hause kam, nachdem er zusehen hatte müssen,
wie man einige Personen, die als Hilfskräfte im
Krankenhaus Haslach gearbeitet haben, abge¬
holt und in einem kleinen dunkelgrünen Bus
mit zugemalten Fensterscheiben weggebracht
hat. Mein Vater hat gewußt wohin: nach der
berüchtigten Irrenanstalt Niedernhart in Linz.
Und da hat mein Vater geweint und gesagt:
„Daß Menschen anderen Menschen so etwas
antun können...!“
Dieses kurze Gespräch mit der Schilderung
des soeben Gesagten hat mich tief getroffen,
ja verstört, dann aber auch motiviert. Denn