Lucas Cejpek und Margret Kreidl
Ein Gespräch über Margit Bartfeld-Feller, 24. März 2012
Lucas Cejpek: Das letzte Mal haben wir Margit 2011 im Mai
geschen, im Cafe Sluka hinter dem Parlament, als sie mit Anita
bei Herrn Professor Stourzh und seiner Frau ins Auto gestiegen
und weggefahren ist.
Margret Kreidl: Nachdem sie eine Schachtel mit köstlichen kleinen
Mehlspeisen mit auf den Weg bekommen hat.
LC: Es war im Mai 2000 in einem Cafe in Tel Aviv, wo wir Margit
kennengelernt haben.
MK: Wir sind damals über Yoel Hoffmann nach Israel gekommen,
nachdem du ein Buch von ihm besprochen hast...
LC: Das in einem Cafe in Jerusalem spielt, Bernhard. Roman.
1998 war Yoel dann in der Alten Schmiede in Wien zu Gast, in
meiner Gesprachsreihe Zettelwerk.
MK: Und zwei Jahre später, als in Österreich die schwarzbraune
Koalition an die Regierung gekommen ist, die Volkspartei und
die rechtsextreme Partei von Jorg Haider, waren wir in Israel, auf
einer Lesereise, organisiert von der österreichischen Botschaft.
Die erste Lesung hatten wir in einem Altersheim in Haifa, wo
uns Herr Professor Hochstacedt vorgestellt hat...
LC: Ein wunderbarer Mann.
MK: Dort haben wir Hedwig Brenner und Grete Beck-Klein
kennengelernt. Und Hedwig hat uns gleich am nächsten Tag auf
der Busfahrt nach Tel Aviv begleitet. Ich bin neben ihr gesessen
und sie hat erzählt und vorgelesen und Gedichte aufgesagt,
wobei sie zwischen den Sprachen gewechselt hat, Deutsch,
Französisch — ich war völlig hingerissen.
LC: In Tel Aviv hat uns Herr Rudel vom Bus abgeholt und gesagt:
„Jetzt gehen wir ins Café!“ — Das war so wie in Wien. Wir haben
auf unserer Lesereise in Israel fast nur Deutsch gesprochen, fallt
mir jetzt auf.
MK: Das Café in Tel Aviv war ja auch der Treffpunkt der deutsch¬
sprachigen Schriftstellerinnen in Israel, und die waren fast alle
aus Czernowitz. Sie sind an einem Tisch gesessen...
LC: Ein langer Tisch.
MK: War das nicht ein Tisch in U-Form?
LC: Aufjeden Fall waren wir mittendrin. Ich kann mich an Hanna
Blitzer erinnern, die immer wieder aufgestanden und herum¬
getanzt ist, um den Tisch herum.
MK: Ich kann mich an Herrn Glück erinnern, Israel A. Glück,
der in Lackenbach aufgewachsen ist, im Burgenland.
LC: Ich hatte von Czernowitz keine Vorstellung, außer daß es
am östlichen Rand der Monarchie gelegen ist, eine Stadt in der
Größe von Graz, wo ich aufgewachsen bin.
MK: Inzwischen ist bei mir ein Gefühl entstanden für diese Stadt,
obwohl wir nie dort waren. Aber durch die Bücher und Er¬
zählungen von Margit und Hedwig und von Herrn Rudel ist
Czernowitz sehr präsent. — Aber wie war das damals? Du hast
doch zuerst mit Margit gesprochen.
LC: Ja. Ich weiß nicht mehr, worüber wir geredet haben, aber wir
waren sofort miteinander im Gespräch.
MK: Das hab ich auch so in Erinnerung.
LC: Und das ist außergewöhnlich, wenn man sich trifft, ohne
Vorwissen, und sich sofort versteht.
MK: Der Herr Glück, der ein Deutsch gesprochen hat, das anders
war als das Deutsch von Herrn Hochstaedt oder von Herrn Rudel
und allen anderen aus Czernowitz- auch das, die verschiedenen
Melodien sind mir in Erinnerung.
LC: Ja.
MK: Das war natürlich schön. Und es war auch sehr schlimm
— alle haben sich kurz vorgestellt, mit ihren Geschichten von
Verfolgung und Mord. Trotzdem waren alle unglaublich offen
und interessiert an uns, den Gästen aus Österreich, sogar in der
politischen Situation damals. Diese Liebe zur deutschen Sprache!
Dieses In-der-Sprache-Sein. Als wären sie gestern weggegangen.
LC: Als Margit erzählt hat, daß Czernowitz Klein-Wien geheißen
hat und daß sie nie in Wien gewesen ist, haben wir versprochen,
sie nach Wien zu bringen, mit ihrem Buch.
ME: Margit mit ihrem ersten Erinnerungsbuch Dennoch Mensch
geblieben und Hedwig mit dem ersten Band ihres Lexikons
Jüdische Frauen in der bildenden Kunst.
LC: Zurück in Wien haben wir uns mit Konstantin Kaiser von
der Zwischenwelt in Verbindung gesetzt, und mit Richard Jurst
vom Antiquariat Buch und Wein, wo dann zwei Jahre später die
Buchpräsentation stattgefunden hat.
MK: Am 13. Mai 2002. Das war ihre erste Lesung in Wien, und
die haben wir moderiert. Du hast Margit vorgestellt, mit ihrem
damals gerade erschienenen zweiten Buch Am östlichen Fenster,
und ich habe mit Hedwig über ihr Künstlerinnen-Lexikon
gesprochen, das inzwischen vier Bände umfaßt.
LC: Bei so einem Projekt ist natürlich die Vernetzung entscheidend,
genauso wie für Margit das Gespräch. Von bestimmten Situationen
oder Dingen ausgehend, wird für sie die Vergangenheit präsent.
Ihre Erzählungen sind schr von der Mündlichkeit bestimmt.
MK: Und von ihrer Kindheit. Über ihre Mutter Mama Cilly hat
sie sogar ein ganzes Buch geschrieben.
LC: Ich habe erst spater erfahren, daf sie viele Familienfotos retten
konnte - die tauchen ja auch immer wieder in ihren Büchern auf,
eines davon ist sogar ein Album — aber ich denke, daß sie keine
Fotos als Beweis für die Wirklichkeit braucht, Czernowitz und
das Glück ihrer Kindheit und Jugend. Das hat ihr sicher auch die
Kraft gegeben, die Verschleppung nach Sibirien zu überstehen.
MK: Wie sie das überlebt hat und was sie daraus gemacht hat,
ist unglaublich.
LC: Die Kraft der Musik! Ich erinnere mich, als es ihr bei einem
Wienbesuch nicht so gut gegangen ist, nach einer Lesung im
Rumänischen Kulturinstitut hat sie sich an den Flügel gesetzt
und gespielt — gerade daß sie nicht aufgestanden ist und zu
tanzen angefangen hat!
MK: Nach einer Lesung im Jüdischen Museum waren wir in einem
russischen Lokal, das eigentlich ein georgisches Lokal ist, und
dort wurde weitergeredet, eswurde gegessen und getrunken, und
Margit war mittendrin im Gespräch mit den unterschiedlichsten
Leuten — sie kann das so gut, Verbindungen knüpfen zwischen
den Leuten. Sie ist so da, und Anita ist Teil dieses Ganzen.
LC: Ja.
MK: Obwohl sie in Sibirien geboren ist, ist Anita Teil dieses
Czernowitz-Kosmos. Sie spricht Deutsch, die Sprache ihrer
Mutter, was nicht selbstverständlich ist in dem Umfeld, in dem
sie aufgewachsen ist.