OCR Output

Zur Erläuterung: Der Beschluss der Komintern „über die Aufga¬
ben der KPTsch“ vom 5. Jänner 1943 hatte mit dem künftigen
Zusammenleben der Tschechen und Deutschen in einem Staat
gerechnet und das Verhältnis zwischen ihnen vom aktiven Kampf
der Deutschen gegen die Nazis abhängig gemacht. Stalins Zu¬
stimmung zu Bene$‘ Projekt [der Aussiedlung der Deutschen, bei
den Verhandlungen im Dezember 1943 in Moskau] stellte die
tschechoslowakischen Kommunisten vor eine vollendete Tatsache.
Stalins Standpunkt hatten sie immer als verbindliche Richtlinie
betrachtet, und so reihten sie auch die Aussiedlung in ihre Partei¬
forderungen ein.“

Das kommunistische Exil in Großbritannien, die so genannte Breu¬
ergruppe, stellte sich gemeinsam mit der „Arbeitsgemeinschaft che¬
maliger deutscher Sozialdemokraten aus der Tschechoslowakischen
Republik“ unter Führung des chemaligen Vorsitzenden der Bergar¬
beiterunion Josef Zinner gegen Kriegsende auf den Standpunkt,
dass die „deutsche Arbeiterklasse Verrat am Sozialismus geübt hat“,
und rechtfertigte die Aussiedlung der Sudetendeutschen.“4

Die Staatsbürgerschaft wurde Oskar abgesprochen. „Der Inhaber
dieses Ausweises ist von den cechoslovakischen Behörden als An¬
tifaschist anerkannt. Morche Oskar, Bodenbach Der Genannte ist
kein cs. Staatsbürger.‘

Barbora Cermakovä und David Weber, Mitarbeiter des unten be¬
schriebenen Forschungsprojekts „Dokumentation der Schicksale von
aktiven Nazi-Gegnern, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
von den gegen die sog, feindliche Bevölkerung seitens der Tschechos¬
lowakei ergriffenen Maßnahmen betroffen waren“, beschreiben die
Situation der deutschen Antifaschisten nach dem Mai 1945: „Ab
September 1945 begannen die sog. Antifaschistischen Kommissi¬
onen zu arbeiten, deren Aufgabe die Untersuchung des Verhaltens
der deutschen Mitbürger in der Zeit der Bedrohung der Republik
und der Besetzung war. Denjenigen, die sich nichts gegen das tsche¬
chische und slowakische Volk oder gegen die Tschechoslowakische
Republik zu Schulden hatten kommen lassen beziehungsweise an
den Befreiungskämpfen teilgenommen hatten, sollte der Status
eines Antifaschisten bestätigt werden. Trotzdem bedeutete auch
die amtliche Anerkennung eines tschecho-slowakischen Bürgers
deutscher Nationalität als Antifaschist für die meisten von ihnen
nicht die Möglichkeit, voll am öffentlichen, politischen und häu¬
fig selbst am normalen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Deshalb entschieden sich auch an die 170.000 Antifaschisten, die
Tschechoslowakei freiwillig zu verlassen...“

Die vier mit Deutschen liierten Brüder wurden nicht wie die ande¬
ren Sudetendeutschen vertrieben — sie kehrten nach Pirna zurück,
dorthin, von woher sie gekommen waren. Sie waren aktiv an der
Vertreibung ihrer Landsleute beteiligt. Sie bauten in Deutschland,
in der SBZ, in der DDR den Sozialismus auf.

Oskar fand nach der langen Trennung seine Trudl wieder; ihr
erstes Kind starb in dem Hungerjahr 1946; 1948 und 1950 brach¬
te sie zwei gesunde Kinder zur Welt (die auch beide zu der Feier
nach Stvolinky kamen). Oskar hat erst in der Parteikreisleitung
gearbeitet („ ich arbeite beim Kreisvorstand der S.E.D. abt. Ar¬
beit und Sozialfürsorge Hauptaufgabe Umsiedlerbetreuung und
Heimkehrerbetreuung‘“”), und dann in der Gewerkschaft und im
Zellstoffwerk Pirna als Holzplatzmeister. Er ist 1965 nach einer schr
schmerzhaften Krankheit gestorben.

Im Herbst 1945 kam Herberts Frau Käthe mit dem erstgeborenen
Sohn aus England nach Pirna.

24 ZWISCHENWELT

Herbert arbeitete im September 1947 bei der Grenzpolizei als Ober¬
kommissar-Abschnittsleiter*®, im Sommer 1948 in Frauenstein®, im
Dezember in Bautzen®; im M4rz 1950 in Dresden*!; 1952 ,,nach
Leipzig ...“”. Seit 1962 waren sie in Grimma? — immer wieder
woandershin versetzt. Die Zapadaci, die aus der Emigration im
Westen Zurückgekommenen, waren, scheint's, nicht nur in der
CSR bei denen, die beim NKWD ihr Handwerk gelernt hatten,
nicht so angesehen.

1966, nachdem Helmut Anerkennung fand, erhielten Elisabeth
und Herbert Morche eine tschechische Auszeichnung fiir Wider¬
standskampfer gegen Faschismus.’ Vielleicht hat das mit dazu
beigetragen, dass er danach nicht mehr versetzt wurde? Briefe von
Herbert 1966, ‚67, ‚68, ‚70 sind aus Grimma datiert.

Werner kam Ende Juli 1946 nach Pirna zurück, mit seiner Frau
und ihren beiden Söhnen. „Werner arbeitet bei der Landesregierung
in der Hauptabt. für Deutsche Umsiedler“”, ab 1948 im Kreisrat
des Landkreises Pirna Abteilungsleiter, zuständig für die Abwick¬
lung der Bodenreform und Erstellung der Neubauerngehöfte, nach
Besuch der Kreisparteischule der SED 1949 Personalreferent der
Gebietsvereinigung Volkseigener Güter.” Er starb 1952.
Gottfrieds Frau zégerte mit der ‚Repatriierung; schließlich entschloss
er sich, nach seiner Abrüstung im November 1945 nach England
zurückzukehren. Martin Krsek schreibt: „Gottfried wanderte ...
nach Großbritannien aus. Während des Krieges hatte er dort ge¬
heiratet und seine Frau hatte einen Sohn geboren, der gerade sieben
Monate alt war.“

Werners Ehefrau schrieb 1947: „Von Gottfried hört niemand etwas;
er war nach England zurückgekehrt, wo er uns auch besuchte.
Da erzählte er, daß sie vorhatten in Kanada eine Fruchtfarm zu
kaufen.“® Sie haben dort ein neues Zuhause gefunden und ein
neues Leben begonnen.

„... ich bin neugierig wie es mit dem Gottfried sein mag der schreibt
nicht mehr seit er fort ist da war ich froh dass er wieder zu hause war
und nun ist wieder alles vorbei ich kann es nicht verstehen dass Er
wegen einer Frau die Mutter und seine Geschwister und seine Familie
vergessen kann ich war nur so froh dass die Jungens da waren und
nun fehlen immer wieder 3 [Gottfried, Fritz und Helmut. Anm.
E.F] von Hellmuth hort mann auch nichts mehr, das ist nicht
gerade angenehm für eine Mutter. ..“°”, schrieb Elisabeth Morche.
Von Gottfried kam erst 1971 ein Lebenszeichen: „Er lebtin Kanada.
Ein Nachbar von ihm weilte Ende vorigen Jahres in Westdeutschland
und Gottfried hatte ihn beauftragt, sich mal nach seinen Ange¬
hörigen zu erkundigen. Gottfried soll schon zweimal Schlaganfall
gehabt haben. An seinen Sohn [aus erster Ehe hatte er zwei Töchter
und einen Sohn. Anm. E.F.] schrieb er, daß er schr glücklich sei.
Seine Frau habe eine große Erbschaft gemacht.“

Am 3. April 1971 starb Elisabeth, 87-jährig.

„...In der Tschechoslowakei waren diejenigen, die aus dem Exil
zurück kamen, und diejenigen, die im Lande geblieben waren,
schlicht unfähig, die Erfahrungen der jeweils anderen nachzu¬
vollziehen — selbst dann, wenn sie derselben Familie angehörten
... 6! Das gilt, scheint mir, auch für die Familie Morche — die in
Deutschland blieben, konnten den, der 1945 Deutschland verließ,
nicht verstehen.

Martin Krsek schreibt im Vorwort zur Broschüre „Schicksale der
vergessenen Helden. Geschichten der deutschen Antifaschisten aus
der CSR“, herausgegeben vom Tschechischen Nationalarchiv 2008:
„Der antifaschistische Widerstand tschechoslowakischer Bürger