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gung Jugoslawiens durch die Wehrmacht
schloss er sich dem Widerstand gegen die
italienische Okkupation an, wurde verhaf¬
tet und in das Konzentrationslager Gonars
gebracht, aus dem er nach der Kapitulation
Italiens 1943 frei kam. Er ging zu den Parti¬
sanen, arbeitete dort in der Kulturabteilung
für das Radio und war an Kämpfen betei¬
ligt. Auf diese seine Erfahrungen stützt sich
sein mit 45 Jahren Verspätung nun auch auf
Deutsch erschienener Roman Menuert für
Gitarre (zu 25 Schuss), der heute als einer der
bedeutendsten slowenischen Romane gilt.
Die von Erwin Köstler mit österreichi¬
schen Einsprengseln verschene kraftvolle
Übersetzung zieht den Leser in die chaoti¬
sche Welt des Partisanenkampfes und folgt
dem Ich-Erzähler Jakob Bergant-Berk auf
seinem Weg zu den Widerstandskämpfern
in die Wälder. Die Ankunft im Ungewis¬
sen, zunächst ohne Aufgabe, fremd und ah¬
nungslos, auf Erklärung und Befehle war¬
tend, schildert Zupan anschaulich, aus der
Perspektive des anarchischen, grübelnden
Individualisten, dessen Zweifel und Gedan¬
ken ihn in den Augen gefestigter Parteisol¬
daten suspekt machen.

Wir leben in Zeiten, wo einem vielleicht deine Nase
nicht gefällt, dein Rock, ein Blick, dein Gang viel¬
leicht, deine Art, einzutreten, eine Geste, die Art,
wie du dir die Zigarette angezündet hast. Gar nichts
hängt von mir ab. Ob ich gehe, wann ich gehe, wo¬
hin, wie, mit wem? Ich habe mein eigenes Schicksal
nicht mehr in der Hand. (S. 23)

Realistische Beschreibungen der Unüber¬
sichtlichkeit des Guerillakampfes, das Ver¬
lieren der eigenen Einheit und das Finden
einer neuen, die Trennung oder der Tod
befreundeter Partisanen im Kampfgetüm¬
mel, die Flucht vor den Nazis, das unent¬

Kosmos des Geistes

Elazar Benyoätz — Ein Porträt aus Briefen

Am 10. Januar 2013 schreibt Elazar Be¬
nyoétz an die Lektorin Riccarda Tourou:
“.. unleugbar spielten die Briefe in mei¬
nem Leben und Werk eine entscheidende
Rolle”. Genau das betont auch Friedemann
Spicker, ein langjähriger Freund und För¬
derer des Dichters und Verfasser des Stan¬
dardwerks Der deutsche Aphorismus im 20.
Jahrhundert, in seiner Einleitung zu diesem
umfangreichen Band, der signifikante Aus¬
züge aus einem Korpus von fast 700 Briefen
von dem und an den wohl bedeutendsten
deutschsprachigen Aphoristiker der Gegen¬
wart versammelt. Die Briefe stammen aus
den Jahren 1966 bis 2016. Unter den auf
nicht weniger als vierzehn Seiten vorgestell¬
ten Briefpartnern sind bedeutende Gelehr¬
te wie Alexander von Bormann, Hans Otto
Horch, Stefan Kaszyfski, Jurgen Manthey,
Friedrich Pfafflin, Ulrich Sonnemann, Jür¬
gen Stenzel, Harald Weinrich oder Conrad
Wiedemann, aber auch Dichterkolleginnen
wie Erika Burkart, Walter Helmut Fritz,
Albrecht Goes, Ingeborg Kaiser, Michael
Krüger, Manfred Sturmann oder Silja Wal¬
ter. Runden sich die in diesem Buch zusam¬
mengestellten, in ganz unterschiedlichen
Kontexten stehenden Texte zum angestreb¬

83 _ ZWISCHENWELT

wegte Umherziehen werden immer wieder
von philosophischen Gedankengängen und
Bewusstseinsströmen Bergant-Berks unter¬
brochen.

Wie wenig ich über dieses nähere Umfeld weiß, das
mich umgibt. Und was weiß ich über den Planeten,
auf dem ich lebe? Irgendwo in einem Urwald läuft
das gewöhnliche Leben dahin, der natürliche Kampf
um den Fortbestand. Irgendeine Schlingpflanze,
vom Orkan abgerissen, flattert an einem hohen
Baum. Im großen Meer strömt Plankton in die Kie¬
Jer eines schwimmenden Wals. Die Bombardierung
von Städten und Eisenbahnkreuzen. Ein U-Boot
torpediert einen Schiffskonvoi. Der Wind bläst
Wüstensand über deutsche und englische Panzer,
deren Geschütze Granaten speien. Ein Vogel singt
in einem zerschossenen Park. Soldaten fallen unter
Maschinengewehrgarben. Fronturlanbskinder kom¬
men zur Welt. Telefone, Telegraphen, Spionagenet¬
xt, Radiosendungen. Die Schreie von Verwundeten.
Der Gesang von Chören. Die weißen Eisberge der
Arktis in der matten Sonne. Irgendeine Ansiedlung
in der Steppe. Reiter in der Savanne. Die Schreire¬
den der Eroberer. Polizeigefängnisse und Konzen¬
trationslager, versteckt vor den Augen der Welt.
Das Spiel einer Gitarre. Der Tod eines Singvogels
im ausgelegten Netz, Handgranaten. Schützen¬
brustwebren. Wascherinnen am Fluss. Fabriken.
Straßen. Regen peitscht über einen Bergbanernhof
hinweg. Jemand betet in einer leeren dunklen Kir¬
che. Ein Kind, das in einer verlassenen Baracke
verhungert. Alles in diesem Moment. (S. 16)

An seine Zeit bei den Partisanen erinnert
sich der Erzähler dreißig Jahre später als
Urlauber in Spanien. Dort trifft er, in einem
zweiten Erzählstrang, auf einen Deutschen,
der, wie sich in stets neu aufgenommenen
Gesprächen herausstellt, mit der Wehr¬
macht in Jugoslawien war und von den da¬
maligen Erlebnissen nicht mehr loskommt.

ten “Porträt aus Briefen”?

Der 1937 als Paul Koppel in Wiener Neu¬
stadt geborene und Ende 1939 mit seinen
Eltern nach Palästina gelangte Dichter, der
mit dem literarischen Schreiben in seiner
“Muttersprache Hebräisch” angefangen hat
und seit 1969 meistens in seiner “Vaterspra¬
che Deutsch” publiziert, darf als einer der
großen jüdischen Philosophen, Theologen
und Literaten unserer Zeit gelten. “Wäre
ich nicht Dichter, ich wäre längst unterge¬
gangen”, schreibt er am 15. Februar 2007
an den Herausgeber. “Vom Überleben ab¬
gesehen, verdanke ich alles in meinem Le¬
ben der Poesie”. Die Hauptthemen seines
umfangreichen dichterischen Werks, das
im Anhang bibliografisch erfasst ist, sind
Sprache, Vergänglichkeit, Erinnerung und
Glauben - nach der Shoah. Spicker verweist
auf Benyoetz’ “Konzept der Verbindung
hebräischer Weisheitslehre und deutscher
Aphoristik” (8) und stellt heraus, dass die
Briefe “integraler Bestandteil seiner Vor¬
stellung der Gattung ‘Buch’ als einer Kom¬
position von Mischtexten aus Aphorismus,
Tagebuch und Gedicht, aus Zitaten und
eben Briefauszügen” sind (11). Benyoétz hat
einen emphatischen, absoluten, manchmal

Die fesselnden Passagen dieses Spätwerks
von Zupan trübt allein das in seinem Ver¬
hältnis zum anderen Geschlecht durchbre¬
chende romantisierte machistisch-soldati¬
sche Draufgängertum des Helden, dessen
Pose er ansonsten stets unterminiert. Der
Blick des lebenslustigen Partisanen auf die
Frauen, die ihre sexuelle Freude an sei¬
nem ungestümen Wesen finden, verstört
und verweist wiederum auf Vitomil Zupan
selbst. Nach dem Krieg führte er als Bohe¬
mien und Schriftsteller ein von Skandalen
umranktes Leben. Seine eigensinniger Cha¬
rakter und sein sich den offiziellen Ideo¬
logien entziehendes Schreiben waren dem
neuen Staat nicht genehm. 1948 wurde er
wegen sexueller Unmoral, versuchten Mor¬
des und staatsfeindlicher Aktivitäten zu 18
Jahren Gefängnis verurteilt, nach sieben
Jahren begnadigte man ihn. Während sei¬
ner Gefangenschaft schrieb er Tausende
Gedichte mit einer aus Rost, Blut, Kaffee
und Asche verfertigten Tinte und schuf so
auch ein bedeutendes lyrisches Werk. Hier¬
zulande ist der berühmte slowenische Autor
wenig bekannt, um so mehr ist Erwin Köst¬
ler für seine wortgewaltige Übersetzung
samt erläuterndem Glossar und Nachwort
zu danken, die es nun den deutschsprachi¬
gen LeserInnen ermöglicht, ein Hauptwerk
Zupans und eine literarische Innensicht des
jugoslawischen Befreiungskampfes kennen
zu lernen.

Bernd Zeller

Vitomil Zupan: Menuett fiir Gitarre (zu 25
Schuss). Aus dem Slowenischen und mit einem
Nachwort von Erwin Köstler. Berlin: Gnggolz
Verlag 2021. 597 S. € 28,80

wie aus der Zeit gefallen erscheinenden Be¬
griff von Dichtung. Das Wichtigste an sei¬
nen Texten ist der Denkraum, den sie oft
mit nur wenigen Worten öffnen. Das gilt
auch für seine Briefe.

Was es bedeutet, nach dem brutalen Ein¬
schnitt des Holocaust im 20. und 21. Jahr¬
hundert Jude zu sein, kann man aus den
Briefen von Elazar Benyoätz vielleicht noch
intensiver erfahren als aus seinen Aphoris¬
menbänden. Vor allem verdeutlicht dieses
Buch, dass der Dichter auch ein äußerst
kenntnisreicher Philologe und Literatur¬
historiker ist, der die deutschsprachige Li¬
teratur nicht nur seiner Zeit mit jüdischen
Augen betrachtet. “Ich bin Jude und will
als Jude wahrgenommen werden”, schreibt
er am 20. Oktober 2002 an die Theologin
Johanna Erzberger, “aber ich schreibe da¬
rum doch nicht a/s Jude und nicht nur für
Christen, obwohl ich für sie möglicher¬
weise erst als Jude interessant bin” (131).
Welchen Gewinn seine ungewohnte, bis¬
weilen vielleicht sogar fremd anmutende
Sicht auf die deutschsprachige Geisteswelt
darstellt, wird vor allem dort deutlich, wo
es — nachdem man zunächst einige seiner
Briefe über den Brief als “gerichtetes Wort”