jede Sprachkombination, also von welcher Sprache man in welche
Sprache übersetzt, andere Herausforderungen mit sich bringt. Alisa
Stadler wusste das schr gut in Worte zu fassen, und zwar so, dass
auch all jene, die nicht Hebräisch sprechen, die spezifischen Schwier¬
igkeiten, mit denen sie beim Übersetzen aus dem Hebräischen ins
Deutsche zu ringen hatte, gut nachvollziehen können:
Ich versuchte die hebräische Sprache so genau wie möglich in die
Deutsche zu übertragen und dabei die Gebundenheit der Rede zu
wahren. Leider ist das ein äußerst schwieriges Unterfangen. In der
hebräischen Sprache kann ich einen ganzen Satz in einem Wort aus¬
drücken, wie z.B. jehoduca, sie werden dich preisen, oder ahabticha,
ich liebe dich, enenu, er ist nicht da, usf. Wie Sie aus den erwähnten
Beispielen ersehen können, ist die hebräische Sprache vom Aufbau
und der Grammatik her von der Deutschen grundverschieden. Dann
kommt noch dazu, daß die Psalmen vor mehr als 2000 Jahren ges¬
chrieben worden sind und der damalige Sprachschatz sich von unserem
heutigen sehr stark unterscheidet. Ich mufste also danach trachten,
weder ein zu antiquiertes Deutsch zu verwenden, noch mich in allzu
modernen Redeweisen zu ergehen."
Cornelius Hell würdigte ihre übersetzerische Arbeit 1990 in
einem Artikel in den Salzburger Nachrichten als schr kompetenter
Übersetzerkollege mit folgenden Worten:
Wer Literatur übersetzt und für seine Sprache neu entdeckt, läftt
sich auf das Abenteuer einer Vermittlung ein, die über einzelne Texte
hinausgeht und meist in der eigenen Lebensgeschichte wurzelt; wer
aus dem Hebräischen in die deutsche Sprache übersetzt, steht dabei
auf besonders steinigem Boden. [...] Alisa Stadler hat gegenüber
den meisten Übersetzern aus dem Hebräischen, die in Israel tätig
sind und über jenes Deutsch verfügen, das sie vor fünfzig Jahren
mit in die Emigration genommen haben, den Vorteil, daß sie in
deutschsprachiger Umgebung wohnt. Den theologischen Übersetzern
ist sie durch ihre Sprachkraft, aber auch durch den unverbildeten
Blick auf den Text überlegen.”
Besonders ist ihre Psalmenübersetzung auch allein schon aus
dem Grund, dass es zwar eine lange Tradition namhafter Psal¬
menübersetzer gibt, Alisa Stadler aber allem Anschein nach die
erste Frau war, die sich an diese große Aufgabe herangewagt hat.
Siegfried Höhne schrieb im Münchner Merkur dazu:
Nichts verbindet Juden- und Christentum so sehr miteinander wie
das Buch der Psalmen. [...] Es ist daher immer wieder ein Erlebnis,
wenn jüdische Schriftsteller, Theologen und Sprachwissenschaftler die
Psalmen aus der Ursprache in das Deutsche übertragen. Moses Men¬
delssohn, der Freund Lessings machte im 18. Jahrhundert den Anfang;
es folgten Michael Sachs (1837) und Emil Bernhard Cohn (1937). In
unvergeßlicher Weise hat dann der jüdische Religionsphilosoph Martin
Buber nach Kriegsende die Psalmen übersetzt. Seine Übertragung
bleibt unvergleichlich in ihrer Genauigkeit allerdings mit dem hohen
Preis ihrer schweren Verständlichkeit. Jetzt hat der Herold-Verlag in
Wien eine Psalmenübersetzung der jüdischen Schrifistellerin Alisa
Stadler herausgebracht. [...] Bemerkenswert daran ist, daß hier wohl
„zum erstenmal eine Frau als Übersetzerin der Psalmen hervortritt“,
wie Schalom Ben Chorin in seinem Vorwort betont.'*
Psalm 126
Als der Herr uns nach Zion heimkehren ließ,
waren wir wie Träumende.
Unser Mund füllte sich mit Lachen,
unsere Zunge mit Jubel.
Da sagten sie bei den Völkern,
der Herr hat Großes an diesen getan,
froh sind wir geworden.
Laß uns heimkehren, Herr,
wie Wasserbäche im Negev.
Die mit Tränen sien,
mit Jubel werden sie ernten.
Er geht dahin und weint,
der den Samen von sich streut,
doch mit Jubel kommt, der seine Garben trägt.
Nach dieser Heimkehr hatte ich mich von dem ersten Tag an gesehnt,
an dem die Deutschen in Österreich einmarschierten und das Land
als Ostmark dem deutschen Reich anschlossen.
[J
Ich träumte nur mehr von Palästina. Ein Jahr vorher hatte ich
schon angefangen Hebräisch zu lernen. Denn daß mein Wunsch
Schauspielerin zu werden in Wien nicht in Erfüllung gehen werde,
war mir klar. Mein Entschluß stand fest. Ich bin Jüdin, also gehe
ich nach Palästina. Dort werde ich keine Bürgerin zweiter Klasse
sein. Niemand wird mich als Jüdin beschimpfen. Dort muß ich mich
nicht meiner Haut wehren. Ich werde meine Wünsche säen und sie
werden aufgehen und sich frei entwickeln können. Ich könnte zur
Erfüllung des Psalms 126 beitragen und dem Land meiner Väter zu
neuer Blüte verhelfen.“