Der Todesmarsch nach Kolomea
In den Aschentälern bricht ein Regenbogen.
Am Ende der Welt
Kolomea, Zabje, Horodenka,
am Ende der Welt
Städtchen
Kossov, Kitov,
auch Wizhinitza
und Vizhinika.
Wuchs ein Städtchen unter den Rädern der Eisenbahn
an den Geleisen —
verwandelt
in einen Grabstein.
Unter den Rädern der Eisenbahn
nach Belzec
erstarrte Stanislavov.
In den Aschentälern bricht ein Regenbogen.
Platte Fremdheit.
Vom Wahnsinn
irrer Wege erzählen
zitternd die Zahlen
der Asche der Täler,
der Regenbogen.
Ich schreite auf hellem Kies, umgeben
vom Farbenreich vieler Blumen.
„Nur hundert ungarische Jüdinnen wurden hier ermordet“,
erhebt sich die Stimme des deutschen Führers.
Bleich vor Scham ist der Weg unter mir. Seitdem
entspringen aus mir die Tränen
von hundert ungarischen Jüdinnen.
Zu meinen Füßen, aufgerissen, das Schweigen.
Besuch im Arbeitslager, Deutschland 1993
Aus der Wassermühle —
schweres Rad geht um —
quellen Wasserströme.
Ich jedoch bin
mit dem Vogel, der durstig
hoch im Wipfel haust.
Mit trockener Zunge das Schicksal
leckt verhalten
an der feuchten Wurzel des Baums.
Erleichterung ist in der Kühle der Bäume.
Ein Lufthauch kommt. Die Blüten öffnen sich.
Rotgolden schweben Wolken, badend
in der Ferne der Berge Judäas.
Gelassen steigt die Sonne auf, ein Wind
wiegt sich in Jerusalems Himmel,
smaragdfarben, weicher Glanz,
der sich in die Tiefe breitet.
Heiliges Jerusalem, oben und unter der Erde,
hüllt mich ein, königlicher Mantel,
Macht: stark und mild, flirrend
durch alle Farben zum Dunkelviolett.
Tief wie eine Sünde
ist in den Raum meines Herzens
eingeschrieben meines Königs Name
David,
eingehüllt ich in den Mantel des Geliebten,
wispert seine Stimme durch den Schimmer,
haucht mich an wie eine letzte Wahrheit.
Einfach mit den kleinen Dingen lebend,
überrascht mich das Wunder der Verwandlung,
als hätte sich im Antlitz der Welt
ein Abgrund der Weisheit geöffnet.
Die Mirabeau-Brücke über die Seine
Die Metrostation mit dem
Ausblick auf endlose Vorstädte,
schnurgerade die Chaussee
bis in die Berge.
In den Himmeln vielleicht
ist schon entschieden.
Losgerissenes Dornengestrüpp
treiben wir unserer Bestimmung zu,
hin und her schwankend zwischen
zwei Wirklichkeiten.
Doch er, Celan, einsamer Schatten auf der Seine,
rennt in seinen Untergang und entschwindet
in schrecklicher Übereinstimmung
in andere Sphären.
Zum 30. Todestag des Dichters Paul Celan (gestorben in der
Nacht vom 19. auf den 20. April 1970). — Unveröffentlicht.
Marburg, Deutschland, 23.8. 1990
Von Jaffa Zins sind in MdZ bzw. ZW bisher erschienen: Die
Prosa „Kindheit im Rauch der Flammen“ (ZW Nr. 3/2001),
acht von Fritz/Frederick Brainin übersetzte Gedichte (MdZ Nr.
4/1999) und fünf von Konstantin Kaiser und der Autorin über¬
setzte Gedichte (ZW Nr. 4/2002, Februar 2003). — Ein Band
mit den Übersetzungen von Gedichten Jaffa Zins’ ins Deutsche
ist in Vorbereitung.
Schmetterlinge jage ich im Schatten des Schreis.
Schicht um Schicht
dringt der Schmerz durch.
Mein Körper ist sein Kreislauf.