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Jugend in Wien und Flucht nach Italien Der folgende Beitrag ist unter dem Eindruck eines außerordentlichen literarischen Dokuments entstanden. Es sind dies die Tagebücher aus dem Exil in Italien (1939-1945), welche sich im umfangreichen Nachlaß des Wiener Schriftstellers und Polyhistors Hermann Hakel' befinden. Klaus Voigt hat in seinem Standardwerk über das Exil in Italien bereits darauf hingewiesen, daß Hakel bis zur Befreiung durch die Alliierten dort „hängenblieb“ und sein von der Ankunft an geführtes Tagebuch das wichtigste autobiographische Zeugnis eines nach Italien emigrierten Autors sei.” Außerordentlich sind die Tagebücher aber nicht nur durch diese spezifische Zeitzeugenschaft und folglich durch ihre Bedeutung für die Exilforschung, sondern auch durch ihre kulturhistorische Tiefendimension und die exorbitante intellektuelle und psychologische Persönlichkeit ihres dem alten, humanistischen Europa sehnsüchtig verbundenen Schreibers. Dem trage ich insofern Rechnung, als ich im folgenden die konkrete sozialgeschichtliche Darstellung der Bedingungen eines Exils mit dem Porträt eines „besonderen Menschen“ — und dies war Hakel im Positiven wie im Negativen — zusammenfließen lasse. Anmerken muß ich freilich, daß mir zum Studium der Überfülle an Tagebüchern viel zu wenig Zeit zur Verfügung stand, und daß ich die unveröffentlichte Lyrik sowie andere im Nachlaß vorhandene, möglicherweise aussagekräftige Dokumente gar nicht mehr einsehen konnte. Mein Beitrag ist also nichts als ein erster Versuch über Hakels Exiltagebücher’ und — wie ich hoffe — eine Anregung, diese nicht nur für die einschlägige Forschung hochinteressanten Texte zu edieren. Da Hakels Biographie nicht allgemein bekannt sein dürfte, schicke ich in aller Kürze einige Daten voraus. Er wurde 1911 als Kind einer jüdischen Kleinbürgerfamilie im zweiten Wiener Gemeindebezirk geboren, betont allerdings, vom Judentum zu Hause nicht allzu viel bemerkt zu haben. Das Schicksal des Kindes entwickelte sich, als hätte Hiob bei ihm Pate gestanden: Als Dreijähriger erkrankte er an einer Gelenksentzündung und mußte an der Hüfte operiert werden. Bald darauf erblindete er infolge einer Diphtherie, durch eine gewagte Operation konnte ihm aber schließlich das rechte Auge gerettet werden. Infolge eines Sturzes wurde die alte Gelenksentzündung rezidiv, doch diesmal verpfuschte ihn ein Arzt so gründlich, daß er „von einer Operation zur anderen dahinsiechte“*. Als Hakel nach Jahren die Kriicken ablegen konnte, war sein linkes Bein fiir immer erheblich verkiirzt. Zwei Biichergeschenke bestimmten seine Kindheit: eine „himmelblaue‘“ Sammlung Deutsche Dichter, die seine eigentlichen Lehrer wurden, und eine Luther-Bibel, die ihn zeitlebens begleitete. Er besuchte zahllose Schulen, scheint aber, „dem Vagabundieren und Nichtstun verfallen‘“, keine absolviert zu haben. Aus einer tiefen Depression und den vielen Lügen, „in denen ich [...] schon halbtot dahintrieb“, erwog er sich durch Selbstmord zu befreien, hätten ihn nicht, nach eigener Aussage‘, zwei dramatische Träume — Hakel war sein ganzes Leben lang ein genialer Träumer und Aufzeichner seiner Träume — zum Leben und zum Schreiben initiiert. „Um nicht mehr zu lügen“, begann er „alles getreulich und wahrheitsgemäß auf[zu]schreiben‘”. So nahmen die Tagebücher damals, im Jahr 1931, ihren Anfang. Zugleich begann der junge Lyriker Hakel, gefördert von Max Mell, seinen Platz in der Welt der Literatur zu suchen, sich erfolgreich als Herausgeber zu betätigen und vielfältige Kontakte zu knüpfen. All dies wurde unterbrochen durch den „Anschluß“ Österreichs an Hitlerdeutschland. „Der neue Glaube: das Hakenkreuz“, notierte Hakel; „Von allen unmöglichen Symbolen — das unmöglichste.“ Und: „Belustigung der Wiener: uns [Juden] beleidigen. Die tägliche Folter.‘'° Dennoch entschloß er sich erst im letzten Augenblick zur Flucht - später verglich er sie dem Sprung aus einem brennenden Haus ins bodenlos Ungewisse —, nachdem ihn die Gestapo bereits zweimal abgeholt hatte. Vor einem außereuropäischen Exil graute ihm, seiner Geliebten nach England zu folgen erwies sich als schwierig, da riet ihm ein Freund, nach Italien, und von Viareggio aus eventuell „schwarz“ nach Frankreich zu gehen. Nach Italien einzureisen war für Juden möglich, da Mussolini im Februar 1939 ein Touristenvisum eingeführt hatte, das dem Hotelgewerbe und der Schiffahrt entgegenkam und in seltsamem Widerspruch zu der mit dem Ausweisungsdekret vom September 1938 erklärten Absicht stand, sich aller ausländischen Juden zu entledigen.'' Hakel brach Ende Juni 1939 mit vielen Büchern, wenig Geld und ganz ohne italienische Sprachkenntnisse nach Fiume auf, wo er bei einer Familie Grani Unterstützung fand und sich anläßlich eines Blitzbesuchs von Mussolini in der Hafenstadt davon überzeugen konnte, daß die noble jüdische Gesellschaft (,,Hier war alles Fasz.“”) sich trotz der Rassengesetze von 1938 nur schwer von ihrer Duce-Begeisterung zu lösen vermochte. Von zwei „Tänzerinnen“ um 100 Lire erleichtert, verließ Hakel bald die als düster-verkommen empfundene Stadt. Anfang Juli finden wir ihn in Milano, dann in Rom 45