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Anmerkungen zu
Kuschey/Federn

1 Zygmunt Baumann, Dialektik der Ord¬
nung. Die Moderne und der Holocaust, Ham¬
burg 1992, S.7

2 ebenda, 5.8

3 _ Gerhard Botz: Überleben im Holocaust. In:
Margareta Glas-Larsson: Ich will reden. Tragik
und Banalität des Überlebens in Theresienstadt
und Auschwitz. Wien u.a. 1981, S.17

4 in Jenseits von Schuld und Sühne. Bewäl¬
tigungsversuche eines Überwältigten. München
1988, besonders S. 49ff.).

5 Harry Stein: Juden im Konzentrationslager
Buchenwald 1938 — 1942. In: Pogromnacht und
Holocaust. Hg. v. Thomas Hofmann, Hanno
Loewy, Harry Stein. Weimar-Köln-Wien 1994,
S.97

6 ebenda, S.84ff.

7 Botz, a.a.0., 8.20

8 Paul Neurath, Social Life in the German
Concentration Camps Dachau and Buchenwald,
Ann Arbor 1951, S.241ff.

9 Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System
der deutschen Konzentrationslager, München
1988, S.331f.

10 Harry Stein, a.a.O., S.94 und 112

11 ebenda, S.114f.

12 ebenda, S.131f.

13 Eugen Kogon, a.a.O., S.330f. und 340f.
14 Nationale Mahn- und Gedenkstätte Bu¬
chenwald (Hg.), Konzentrationslager Buchen¬
wald. Post Weimar/Thür., Katalog zur Ausstel¬
lung im Martin Gropius Bau, Berlin (West)
April-Juni 1990, S.115

15 Harry Stein, a.a.O., S.81

16 ebenda, S.164

17 Ausstellungskatalog Konzentrationslager
Buchenwald. Post Weimar/Thür., a.a.O., S.86
18 Harry Stein, a.a.O., S.162ff.

am demokratischen und revolutionären Umbau Österreichs mitwirken zu können. Der
Sieg des Austrofaschismus zwingt sie in die Illegalität, radikalisiert sie und setzt sie
erstmals politischer Verfolgung aus. Ernst Federn ist wegen seiner Widerstandstätigkeit
in einer trotzkistischen Gruppe und bei den Revolutionären Sozialisten 12 Monate in
den Gefängnissen des Austrofaschismus. Das ist für die weitere Geschichte seiner
Verfolgung von doppeltem Interesse: die illegalen Nazis, die die Wiener Polizei
durchsetzt hatten, nahmen sehr viele Gegner des Austrofaschismus auf ihre Verhaf¬
tungslisten, und Ernst Federn wird bereits als ‚gelernter Häftling“ in die Welt des KZ.
eintreten.

Bereits am 14. März 1938 wurde Ernst Federn von der Gestapo inhaftiert. Er war
bis Mai 1938 in Wiener Gefängnissen und in dem berühmten Turnsaal einer Schule in
der Karajangasse im 20. Bezirk eingesperrt. Hilde Federn und Ernsts Eltern bemühten
sich in dieser Zeit besonders um seine Enthaftung, was auch später erfolglos blieb. Am
24. Mai 1938 wird er in einem der sog. Prominententransporte und unter Prügeln der
SS per Zug nach Dachau transportiert und dort als sog. „‚politischer Jude“ kategorisiert.

Ernst Federn schildert die Übernahme ins KZ-Dachau als vergleichbar mit einer
Aufnahme in ein normales Gefängnis, dieser Vollzug ist ihm nicht mehr unbekannt und
sein Arbeitseinsatz mit der Schaufel ist nicht extrem belastend. Sein Eindruck korre¬
spondiert mit der Einstufung Dachaus durch Himmler als Lager der sog. Stufe I für
„alle wenig belasteten und unbedingt besserungsfähigen Schutzhäftlinge.“? Wichtig
ist in Dachau der Gewinn von Freunden, die Federn in die Überlebenstechnik im KZ
einführen. Der seit 1933 als ,,Politischer Jude“ inhaftierte deutsche Kommunist Rudi
Arndt weist Ernst Federn, der durch die Geld- und Paketsendungen Hilde Federns
besser gestellt ist, den Hamburger KP-Mann Herbert Mindus als Kumpel zu. Kumpel
sind unterstützungswürdige arme Häftlinge und ihr jeweiliger Helfer, der etwas von
seiner Hilfe von außen an diese abgab und dafür meist tätige Unterstützung bei der
Eingewöhnung ins Lagerleben erhielt. Das Kumpelpaar wurde von alten Häftlingen
vermittelt und das sog. Kumpelsystem war das Kernelement der solidarischen Überle¬
benstaktik der politischen Häftlinge im KZ.

Dennoch: im KZ ist keine Regel ohne Ausnahme, zwar nimmt Ernst Federn in seiner
Zeit in Dachau sogar zu, aber parallel dazu muß er seinen ersten großen Schock erleben,
dessen Ausgangspunkt in einer Lappalie lag. Nach drei Wochen in Dachau erwischt
Federn an einem Morgen falsche, zu große Schuhe. Er scheuert sich die Füße wund,
und beginnt dadurch schnell im Aussehen zu altern. Gleichzeitig wird er ins Arbeits¬
kommando Kiesgrube eingeteilt, er verfällt schnell und bricht dort nach einer Woche
zusammen. In der Sprache der Häftlinge war er „‚fertig“ , und die SS verurteilte ihn zu
einer Stunde Baumhängen wegen Arbeitsverweigerung. Wer sich in die Folterqual des
Baumhängens einfühlen will, soll die Schilderung Jean Amérys in seinem Aufsatz ‚Die
Tortur“ lesen.*

Die Strafe wurde in der arbeitsfreien Zeit am Samstag nachmittag, dem 29. Juni
1938, vollstreckt. Der vollziehende Kapo des Bunkers, selbst ein Häftling, gibt Ernst
Federn den Tip, sich im Hängen möglichst wenig zu bewegen, dennoch wurde es der
schlimmste Schmerz, den Federn jemals erlitten hat. Als er vom Baum herunter
genommen wird, fühlt er seine Arme nicht mehr, aber er blieb körperlich unverletzt
und kann nach der Wochenenderholung wieder arbeiten. Da er der erste aus seinem
Transport vom 24. 5. 1938 war, der einer SS-Strafe ausgesetzt ist, kümmern sich seine
Kollegen fürsorglich um ihn; sie wollen natürlich wissen, was sie zu erwarten haben.
Als Federn über die Aushaltbarkeit dieser Tortur befragt wird, antwortet er mit einem
Satz, der ihn im Lager berühmt machen soll: „Das Herunterkommen ist so schön, daß
es das Hängen wieder aufwiegt.‘“ Seine witzige und optimistische Haltung gegenüber
den Gefährdungen des Lagers bedeutet für alle Mithäftlinge eine moralische Stärkung,
und bringt ihm den Ruf eines „ganzen Kerls“ ein, den die Folter nicht brach, was auch
auf die alten ‚„„Konzentrationäre‘‘ Eindruck macht.

Diese ,,Feuerprobe“ ist ein Grund fiir die gute Position Ernst Federns unter den
Mithäftlingen, ein zweiter ist, daß er als Mitglied einer weitverzweigten und recht
bekannten Familie viele, ihm wohlgesonnene Menschen finden kann, und eine dritter
Grund liegt wohl darin, daß er sehr bald erkennt, daß er nur als nützlicher Arbeitssklave
der SS eine gewisse Überlebenschance hat. Außerdem gewöhnt er sich an eine gewisse
Befriedigung aus seinen Arbeitsleistungen zu ziehen. Sein erster Kontakt mit Bruno
Bettelheim in Buchenwald ist ein Streit über eben diese Frage in einem Arbeitskom¬
mando.