des Bésen“, die Hannah Arendt bei Eichmann konstatierte, ist an einigen Figuren dieses
Romans literarisch anschaulich gemacht). Autoritätsgläubigkeit erscheint als Folge
psychischer Entlastungsversuche von Schuldbewußten, die ihre Gewissensverantwor¬
tung auf höhere Instanzen abschieben, wegprojizieren. Der Inquisitor selbst wird nicht
als Inkarnation des Bösen personalisiert, wie dies — zwecks psychischer Entlastung —
nach 1945 mit der Person Adolf Hitlers im Bewußtsein breiter Kreise geschah (und
weiter geschieht), vielmehr erscheint das Böse als Produkt gesellschaftlicher Prozesse,
in die nahezu alle Schichten der Bevölkerung auf unterschiedliche Weisen involviert
sind (vgl. TEXT II). Vor allem unter diesem Gesichtspunkt läßt sich ‚‚Der Fürst der
Welt“ mit Bergengruens „‚Großtyrann“ vergleichen. Wahre, die Liebes-Botschaft des
Neuen Testaments ernstnehmende Religiosität, die im Handlungsverlauf streng von
den auf Machtstreben und Gewalt beruhenden kirchlichen Strukturen getrennt er¬
scheint, sowie Aufklärung, das Streben nach Vernunft und Humanität erscheinen —
personifiziert in einigen wenigen Figuren — als die Gegenpole zu einer Gesellschaft des
Bösen: „Es ist unmöglich, zu sehr zu lieben (...). Wir alle lieben nicht genug.“ (S.559).
Unruhe um einen Abseitigen
Alfred Kubin und der Nationalsozialismus
Alfred Kubin (10.4. 1877, Leitmeritz — 20.8. 1959, Zwickledt)!, aufgewachsen in
Salzburg und Zell am See, absolvierte in Klagenfurt eine Photographenlehre, ging 1898
zum Kunststudium nach Miinchen. Dort entwickelte er seine Technik der schwarz¬
weifen Tuschfederzeichnung, fand er Zugang zu den Kiinstlerkreisen im ,,Café Stefa¬
nie“ und im ,,Café Elite“, denen u.a. die Schriftsteller Eduard von Keyserling und Max
Halbe angehorten. Er kam in Kontakt mit dem Griinder der Insel, Otto Julius Bierbaum,
dem Verleger Hans von Weber, er lernte Franz Blei, Frank Wedekind und Kurt Martens,
damals enger Freund von Thomas Mann, kennen. 1902 stellte Kubin erstmals Zeich¬
nungen bei Paul Cassirer in Berlin aus, 1903 druckte Hans von Weber die erste Mappe
mit Kubin-Zeichnungen. Das literarische Hauptwerk, der phantastische Roman Die
andere Seite, erschien 1909 bei Georg Miiller in Miinchen.
Im Oktober 1906 übersiedelte Kubin nach Zwickledt in Oberösterreich, was von
manchen Kubin-Forschern als vorweggenommene Emigration gedeutet wird. Bei
genauerer Betrachtung läßt sich diese Annahme allerdings nicht halten, denn nach dem
Wegziehen aus der bayrischen Metropole riß der Kontakt zu den dort lebenden
Eifer der heiligen Inquisition. Alles war
einem abgenommen, das ganze Leben die
weise.Regel eines großen Stifters, der man
sich anzupassen hatte im blinden Gehor¬
sam. ¬
(TEXT I, S. 379£.)
Was trieb die Menschen zu dem Ketzerrich¬
ter, was reizte sie, ihm alles mitzuteilen,
was sich in ihnen gegen Nachbarn und Ver¬
wandte, Schuldner und Gläubiger , Nächste
und Fremdeste an Mißtrauen und Verdacht
angesammelt hatte, oft in langen Jahren
verhohlener Feindschaft, oft aber erst in
den kurzen Wochen seit den Anschlägen
und Aufrufen zur Denunzierung der Zaube¬
rer und Hexen? Was trieb sie,"da sie doch
fühlten, daß dort Gefahr sie umlauere, da sie
sogar erschraken beim Anblick von Deichs¬
lers gutmütigem Biergesicht? Wirklich die
Angst, mitschuldig zu werden als Hehler
böser Taten und Gedanken... oder mehr die
Neugier, den Mann aus der Nähe zu sehen,
der den Kampf gegen den Teufel führte?
Oder die Lust am Grauen, oder der Drang,
dem Einerlei der Alltäglichkeit für eine
Stunde zu entrinnen und selber Gewalt zu
üben, selber einzugreifen in den Lauf des
Schicksals, das man mit ingrimmiger Ge¬
duld sonst stets nur erleiden mußte?
(TEXT IH, S. 542f.)
Zitiert nach: Erika Mitterer: Der Fiirst der
Welt. Bohlau Verlag, Wien 1988.
Helga Mitterbauer, geb. 1962, studierte —
nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Mo¬
dellmacherin und als Redakteurin - an der
Universität Graz Germanistik und Kunst¬
geschichte. Diplomarbeit über ‚Österrei¬
chische Literatur im Nationalsozialismus.
Preise für österreichische Schriftsteller“
(1992); zur Zeit Arbeit an einer Dissertati¬
on über Franz Blei. Seit 1990 ist sie Mitar¬
beiterin am Forschungsprojekt ,, Osterrei¬
chische Literatur im Nationalsozialismus
1938-1945“ (finanziert vom Osterreichi¬
schen Fonds zur Férderung der wissen¬
schaftlichen Forschung), seit 1993 Lekto¬
rin an der Grazer Universität.
Publikationen (unter dem Namen Strallho¬
fer-Mitterbauer): ,,NS-Literaturpreise fiir
Osterreichische Autoren. Eine Dokumenta¬
tion“, Wien 1994; Beiträge in Sammelbän¬
den über Erich Landgrebe, Julius Overhoff,
Literaturpreise und Kalender.
Alfred Kubin: Gestrandeter Hai, um 1911.
Feder, Tusche, aquarelliert.
Oberösterreichisches Landesmuseum,
Ha IT 3287.