Jargon der
Unterschiedslosigkeit
Es war im Jahr 1985, während des Symposiums
„Kabarett und Satire im Widerstand 1933¬
1945“, da zeigte man mir einen Mann, der still
in einer Ecke saß und mitschrieb. „Dieser
Mann“, so flüsterte man mir zu, „arbeitet an
einer umfassenden Geschichte des österreichi¬
schen Kabaretts.“ Und so beobachtete ich ihn,
wie er sich bei den Erzählungen der zahlreich
geladenen Akteure des Kabaretts sowie den
Ausführungen der wissenschaftlichen Referen¬
ten und Referentinnen Notizen machte. Einige
Zeit später konnte man das Ergebnis seiner
Arbeit unter dem Titel ‚Lachen im Keller“ als
Buch bestaunen.! Das Rezept bestand darin,
daß der Autor aus der vorhandenen Literatur
über das österreichische Kabarett ein humori¬
stisches Extrakt angefertigt, einiges am Sympo¬
sium Erzählte hinzugefügt und überdies seinem
Werk mit der Einfügung von wissenschaftli¬
chen Termini das Flair tieferer Bedeutung ver¬
liehen hatte. Ein versöhnlicher Humor dämpfte
alles Politische und erzeugte die Attitüde einer
abgeklärten Resignation gegenüber der Ge¬
schichte.
Hans Veigl ist sich mit seinen beiden kürzlich
erschienenen Kabarett-Anthologien selbst
treu geblieben. Der Versuch, in den jeweili¬
gen Vor- oder Nachworten, den humoristi¬
schen Duktus zahlreicher meist älterer Arbei¬
ten zum Kabarett mit den analytischen An¬
strengungen der jüngeren Zeit zu versöhnen,
bewahrte ihn zwar vor manchen Klischees,
führte aber zu einem Jargon der Unter¬
schiedslosigkeit. Alles kommt irgendwie vor,
kann aber auch ganz anders vorkommen und
ist mithin gleichgültig. Die Kabarett-Reihe
macht aus den Szenen Evergreens des Hu¬
mors, sie entflieht lächelnd den dunklen Zei¬
ten, anstatt sie über die Satire zu begreifen.
„Bombenstimmung“, die Anthologie zum
„Wiener Werkel“, entstand, indem Veigl
eine Auswahl von Texten aus Rudolf Weys’
Sammlung ‚Wien bleibt Wien"2 nochmals
abdrucken ließ. Vor- und Nachwort sind ein
Flickwerk von Anekdoten und Paraphrasie¬
rungen der vorhandenen wissenschaftlichen
Literatur. Die Position der Nazis wird durch
Zitate aus den Goebbels-Tagebüchern belegt.
Natürlich findet sich auch Kritisches formu¬
liert, der Herausgeber spricht durchaus das
Problem der Gratwanderung eines Kabaretts
unter dem NS-Regime zwischen Widerstand
und Anpassung an. Aus einem Artikel Her¬
bert Stauds, in dem diese Ambivalenz ange¬
sprochen wird, abzuschreiben, zeugt immer¬
hin von Gespür für Qualität, und Veigl nennt
sogar an einer Stelle dessen Namen, eine
Auszeichnung, mit der nicht jeder Autor oder
jede Autorin bedacht wird, von der Veigl
abgeschrieben hat.3
„Zwischen Tränen und Gelächter“ ist der Titel
einer Studie von Uwe Naumann zur antifaschi¬
stischen Satire, Hans Veigl verwendet diese
Formulierung als Titel des Vorworts zu seiner
Sammlung ‚Weit von wo. Kabarett im Exil“,
ohne Naumanns Arbeit auch nur in der Bibliog¬
raphie zu nennen. Aber da es dem Herausgeber
bloß um ein Bonmot geht, wäre die Angabe eine
diplomatische Geste geblieben. Das Vorwort
soll einen Überblick zum österreichischen Exil¬
kabarett vermitteln, ist jedoch in einem Stil
verfaßt, als würde man angestrengt amüsant
aber ungenau die Urlaubsreisen von Bekannten
rekonstruieren. Mit zwei Sätzen streift Veigl
beispielsweise Oscar Tellers ‚‚Arche“ in New
York, ohne Jahreszahlen, ohne Angaben zu In¬
halten und Programmen, ohne näheren Bezug
zur Vorgeschichte. Nicht genannt, aber diesmal
offenbar auch nicht verwendet, wird dabei Os¬
car Tellers Buch tiber das ,,Jiidisch-Politische
Cabaret“, in dem sich zahlreiche Kabarett-Tex¬
te finden, die ein Gegengewicht zu den bei
Veigl übermäßig abgedruckten Texten von
Karl Farkas hätten bilden können.* Ebenso un¬
genannt bleibt die vielleicht bedeutendste Stu¬
die zum österreichischen Exilkabarett, Erna
Wipplingers Arbeit „Österreichisches
Exiltheater in Großbritannien“, obwohl einige
der bei Veigl abgedruckten Texte erstmals in
dieser Dissertation nachzulesen waren.’ Veigl
begnügt sich mit der — lückenhaften — Angabe
eines knappen Artikels von Erna Wipplinger,
aber auch dessen genauere Lektüre hätte ihn vor
groben Fehlern bewahren können. Wiederholt
vermischt Veigl den ,,Blue Danube Club“ mit
der Kleinkunstbiihne ,,Laterndl im Austrian
Centre. Es ist beispielsweise unmöglich, daß
Peter Herz — der zudem künstlerischer Leiter
des ,,Blue Danube Club“ war — 1949 fiir das
„Laterndl‘“ den Text „Mein Lied ist aus Wien“
geschrieben haben soll (S. 201), da das ,,La¬
terndl“ nur bis 1945 existierte.
Es sind eben nicht die Besonderheiten, die
Veigl interessieren. Personen, die sich in ver¬
schiedenen Exilländern befanden, werden in
Aufzählungen nebeneinander genannt, ohne
Gemeinsamkeiten oder Trennendes auch nur
anzusprechen. Alles wird zu einem einzigen
großen Kaffeehaus, in dem alle zwar gleich
witzig aber nicht gleich prominent sind. So
wurde wohl Karl Farkas ob seiner Prominenz
zur Hauptperson der Sammlung auserkoren.
Farkas war bereits die Hauptperson von Band 5
der Kabarett-Reihe mit dem Titel ,,Gscheite &
Blöde“, der die Doppelconferencen Karl Far¬
kas’ mit Fritz Griinbaum, Ernst Waldbrunn und
Maxi Bohm versammelt. In diesem Band ging
es nur um Prominenz und Evergreen, von Ver¬
folgung und Exil war keine Rede. ,, Allein Karl
Farkas gelang es, nach 1945 diese Tradition im
‘Simpl’ weiterzuvermitteln“, heißt es dort im
Nachwort. Fritz Grünbaum konnte dies schon
deshalb nicht gelingen, da er 1941 im KZ
Dachau umkam. Davon schweigt der Autor des
Nachworts, da es ja im Band 5 bloß um die
„doppelbödige(n) Nummern“ des Gscheiten
und des Blöden geht, Verfolgung und Exil aber
nur in Band 7 vorkommen sollen. Fast könnte
man meinen, daß es sich nicht um dieselben
Akteure handelt, weil sie in einem Buch als
erfolgreiche Spaßmacher, im anderen aber als
Opfer auftreten dürfen.
Die Texte bleiben die Texte, kann man einwen¬
den, und der Kauf eines Veigl-Buches erspart
den Gang in die Bibliothek oder ins Dokumen¬
tationsarchiv des österreichischen Widerstan¬
des. Es geht um Unterhaltung, nicht um Wis¬
senschaft, wäre ein weiterer Einwand. Bei eini¬
gen Chronisten des Kabaretts mußten solche
Argumente bereits zur Rechtfertigung des Bil¬
des einer nostalgischen Idylle herhalten, in das
gelegentlich das Exilkabarett einbezogen wur¬
de. Muß man von Verdiensten sprechen, die
sich jemand allein durch das Aufgreifen von
Themen erwirbt? Wer eine Lesung auf Grund¬
lage der Veigl-Bände zusammenstellt, wird
sich vielleicht der darin veranstalteten Verkit¬
schung des Exils entziehen können. Ich emp¬
fehle aber gleich zu den Anthologien von Wal¬
ter Rösler und Reinhard Hippen zu greifen, die
Unterhaltung und kritischen Verstand zu ver¬
binden wissen. Wie übrigens die besten Ver¬
treter des Kabaretts auch.
Gscheite & Blöde. Doppelconferencen. Karl
Farkas mit: F. Grünbaum, E. Waldbrunn, M.
Böhm u.a. Hg. von Hans Veigl. Wien: Kremayr
& Scheriau 1993. 192 S., 6S 248,¬
Bombenstimmung. Das Wiener Werkel. Kaba¬
rett im Dritten Reich. Hg. von H. Veigl. Wien:
Kremayr & Scheriau 1994. 237 S., GS 248,¬
Weit von wo. Kabarett im Exil. Karl Farkas,
Peter Herz, Hugo F. Koenigsgarten, Rudolf
Spitz, Robert Weill u.a. Hg. von H. Veigl. Wien:
Kremayr & Scheriau 1994. 207 S., 6S 248,¬
1 Hans Veigl: Lachen im Keller. Kabarett und
Kleinkunst in Wien. Von den Budapestern zum
Wiener Werkel. Kabarett und Kleinkunst in
Wien. Wien 1986.
2 Rudolf Weys: Wien bleibt Wien und das
geschieht ihm ganz recht. Wien 1974.
3 Herbert Staud: ,,mir wer’n s’schon demorali¬
sieren.“ Osterreicher und Preußen. In: Kabarett
und Satire im Widerstand 1933-1945. Mittei¬
lungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst
1/2 1985, S. 26-28.
4 Oscar Teller: Davids Witz-Schleuder. Jü¬
disch-Politisches Cabaret. 50 Jahre Kleinkunst¬
bühnen in Wien, Berlin, London, New York,
Warschau und Tel Aviv. Darmstadt 1982.
5 Erna Wipplinger: Österreichisches Exilkaba¬
rett in Großbritannien. (1938-1945) Diss. Wien
1984. Der von Veigl zitiert Artikel: ,,Von
Adam bis Adolf“. Die politisch-satirischen
Kleinkunstprogramme der österreichischen
Exilbühne ‚‚Laterndl“. In: Kabarett und Satire
im Widerstand a.a.O., S. 30-34.
6 Walter Rösler: Gehn ma halt a bisserl unter.
Kabarett in Wien. Berlin 1991. Reinhard Hip¬
pen: Satire gegen Hitler. Kabarett im Exil. Zü¬
rich 1986,