Am 7. November 1937 organisierte Vicente Lombardo Toledano, Führer der mexika¬
nischen Gewerkschaftsbewegung CTM, aus Anlaß des zwanzigsten Jahrestages der
Oktoberrevolution im neu erbauten Kulturpalast von Mexico D.F., im Palacio de Bellas
Artes, eine Versammlung der sozialistischen Intellektuellen des Landes. Im Mittel¬
punkt dieser Veranstaltung stand die gemeinsame Front gegen den Faschismus und
gegen die Politik des nationalsozialistischen Deutschland. Ernst Toller, der bekannte
deutsche Schriftsteller und Mitunterzeichner des Pariser ‚‚Aufrufes zur Bildung der
deutschen Volksfront“ aus dem Jahr 1936 nahm in Bellas Artes teil. Ernst Tollers
Beitrag stand ganz im Zeichen seiner Anstrengungen, eine koordinierte Bewegung
gegen den Nationalsozialismus zu organisieren, in Form der von ihm geforderten
Volksfrontbewegungen gegen Hitler. Schon im Frühjahr 1933 hatte Toller auf dem
PEN-Klub Kongreß in Ragusa (Dubrovnik) die passive, ja gar unterstützende Haltung
vieler Mitglieder des PEN-Klubs angeprangert. Der PEN-Klub hatte sich geweigert,
gegen die Bücherverbrennungen des 10. März 1933 eine klare Haltung zu signalisie¬
ren.”
1938 nahm man den fiinften Jahrestag der Biicherverbrennung in Mexiko zum
Anla8, eine groBe Veranstaltung unter das Motto ,,La verdadera cultura alemana“ (Die
wahre deutsche Kultur) zu stellen. Der Anlaß war Ernst Tollers Anstoß aus dem Jahr
1937 und die Bemühungen der mexikanischen Gewerkschaft CTM unter Vicente
Lombardo Toledano und einem jungen Gewerkschaftssekretär, Fidel Veläzquez (der
bis 1996/7 Führer der Mexikanischen CTM war!). Die deutschen und österreichischen
Emigranten, die ab 1936 in Mexiko in Erscheinung traten, hatten sich durch den
politischen Anstoß der mexikanischen Gewerkschaft CTM und durch die Unterstüt¬
zung Vicente Lombardo Toledanos zur Liga Pro-Cultura Alemana zusammengeschlos¬
sen, die als Vorläuferorganisation der Acciön Republicana Austriaca de Mexico
(ARAM) und der Freien Deutschen (Alemania Libre) gelten könnte, wenn man von
den politischen und ideologischen Interessen absieht. Bis zum Ende der Amtsperiode
des Präsidenten Cärdenas besaß die Liga einen Einfluß auf die mexikanische Einwan¬
derungspolitik, und noch unter dem neuen Präsidenten Avila Camacho konnte die Liga
im Schatten der Freien Deutschen und der ARAM einen Einfluß wirksam machen,
hauptsächlich durch Cärdenas, der als General und Kriegsminister bis zum Ende des
Zweiten Weltkrieges politisches Gewicht einbringen konnte.
Der rege Berliner Journalist und Fotograf Heinrich Gutmann - der es immer gul
verstand sich in den Mittelpunkt zu setzen — war schon 1933 aus Deutschland emigriert,
wo er fiir den Ullstein Verlag gearbeitet und fiir das Boulevardblatt ,, Tempo“ geschrie¬
ben hatte. Sein Vater war der langjährige SDS-Vorsitzende Paul Gutmann, auch er lebte
im mexikanischen Exil, beiden hatte gute Kontakte zur Gewerkschaft und persönlich
zu Vicente Lombardo Toledano. Die Gutmanns besaßen ausgezeichnete Verbindungen
zur mexikanischen Präsidentschaftskanzlei, und sie waren mit dem General Läzaro
Cärdenas persönlich bekannt. Nach 1940 sollte diese enge Beziehung noch zahlreichen
Flüchtlingen aus Europa zu einem Visum nach Mexiko verhelfen. Heinrich Gutmann
dürfte sich schon 1935 der mexikanischen „‚Liga Revolutionärer Schriftsteller“ ange¬
schlossen haben, die ebenso wesentlich an der Einladung Ernst Tollers beteiligt waren,
wie bei den späteren Bemühungen, für österreichische und deutsche Exilanten Einrei¬
segenehmigungen zu erhalten.
Am 23. April 1938 trat die Liga Pro Cultura Alemana offiziell auf. Der Schau¬
platz war der Palacio de Bellas Artes, wo unter dem Motto ,,La verdadera cultura
alemana“ Vorträge von bedeutenden mexikanischen Intellektuellen gehalten wur¬
den. Vicente Lombardo Toledano sprach über Goethe: „Homenaje a Goethe.
Conferencia sustentada a 23 de Abril de 1938 en la sala de Bellas Artes de la Ciudad