Leicht konnte man den Admiral Horthy an
der Praia do Tamariz treffen, wie er starr
aufs Meer hinaus blickte, oder den Grafen
von Barcelona im Clube Naval von Cascais —
alltäglich war es auch, den vornehmen Her¬
ren an der Rezeption des Hotel Paläcio zu be¬
gegnen, oder in der Hotelbar bei einem
Nachmittagsdrink.
(Ein poetischer Museumstext)
Estoril hat einen schnittigen Formel-1¬
Grand-Prix und Estoril hat ein alljährliches
Tennisturnier. Der portugiesisch-britische
Jet-Set näselt hier um die Wette, und an der
Promenade kostet ein Teller Bacalhau & bras
fast schon so viel wie im Algarve. In dieser
eitlen Atmosphäre wurde das Erste Portugie¬
sische Exilmuseum eingerichtet: im ersten
Stock des legendären Postamts, an dessen
Schaltern während des Zweiten Weltkriegs
Hunderte Flüchtlinge den Kontakt zu ihren
Familienmitgliedern in der Alten und Neuen
Welt suchten - brieflich, über Telegramme,
über Telefon.
An den Schaltern des 1942 erbauten und
kürzlich renovierten Postamts gibt es nur
klassisch portugiesische Auskünfte über die
Öffnungszeiten des Museums: „Manchmal
hat es offen. Das muß aber nicht heute der
Fall sein. Läuten Sie doch an der Glocke auf
der Seite des Gebäudes. Die Herrschaften
werden Ihnen dann aufmachen. Falls das
Museum offen ist. Falls nicht, weiß ich auch
nicht weiter...“ Auf ausgiebiges Glocken¬
läuten erfolgt keine Reaktion der betreffen¬
den Herrschaften. Dafür ist es ohne weiters
möglich, über ein Absperrungsseil zu stei¬
gen. Eine schmale Stiege führt in den
1. Stock - direkt ins Exilmuseum von Estoril
mit dem Namen „Cascais-Estoril, Lugar de
Exilio“.
Vorne ein schmaler Gang mit Blick aufs
Meer, klein und hübsch und mit spärlichen
Einrichtungsgegenständen. Ein paar Metall¬
schilder aus den Vierzigerjahren, Werbung.
Ein Postkasten, Speisekarten aus Luxusho¬
tels, Stempel, Reisetaschen und Koffer aus
Leder. Zwei Puppen sitzen in vornehmer
Kleidung, an einem Kaffehaustisch. Dahinter
einige Vitrinen. Ein paar Tafeln an den
Wänden.
Hinten ein geräumiger Saal mit einem Video¬
gerät. Ich schalte vorsichtig das Licht ein. Ki¬
noplätze für zwanzig Besucher. Aber ob je
zwanzig Besucher gleichzeitig ins Exilmu¬
seum von Estoril kommen?
Um die historische Ausgangslage zu verste¬
hen, ein kleiner Rückblick in die portugiesi¬
sche Geschichte der zweiten Hälfte des
einandersetzungen zwischen liberalen (Re¬
publikanern) und konservativen (Monarchis¬
ten) Kräften hatten das agrarisch geprägte
Land an den Rande des Staatsbankrotts ge¬
bracht. Es ging dabei auch um zwei verschie¬
dene Wirtschaftsmodelle, das eine, das sich
auf eine stärkere Ausbeutung der Kolonien
konzentrieren wollte, das andere, das die Ent¬
wicklung des Binnenmarktes forderte. 1907
versuchte die konservative Seite mit Billi¬
gung von König Carlos I. eine Diktatur zu er¬
richten, im Jahr darauf kam der König bei ei¬
nem Attentat ums Leben. 1910 folgte die Re¬
volution: die Erste Republik wurde ausgeru¬
fen, die Trennung von Staat und Kirche fest¬
gelegt. Die bürgerlich-liberale Revolution
gab jenes Muster vor, das sich 1974 auf ähn¬
liche Art wiederholen sollte: Volksmassen
auf den Straßen von Lissabon, ein unzufrie¬
denes Militär unternimmt einen Staats¬
streich, der in Lissabon den Umschwung her¬
beiführt, der jedoch im konservativen Nor¬
den des Landes schwer bis gar nicht durchzu¬
setzen ist.
Die Republikanische Partei (PRP) über¬
nimmt die Macht, scheitert aber in ihren Ver¬
suchen, demokratische Strukturen zu etablie¬
ren: zu sehr ist Portugal von seinen Kolonien
abhängig, zu schwach ist die Wirtschaft, zu
wenig konsequent wird die dringend notwen¬
dige Agrarreform in Angriff genommen. Fast
im 2-Jahres-Rhythmus kommt es zu Putsch¬
versuchen von konservativen Teilen des Mi¬
litärs — und 1926 ist jener unter Gomes da
Costa erfolgreich: die Kräfte der Diktatur set¬
zen sich durch. Zunächst werden alle opposi¬
tionellen Parteien verboten, die Meinungs¬
und Pressefreiheit eingeschränkt etc. Schon
im ersten Kabinett ist Antönio de Oliveira
Salazar Finanzminister, ab 1932 ist Salazar
Ministerpräsident, 1933 taucht erstmals das
Schlagwort des „Estado Novo“, des Neuen
Staates auf, der sich durch eine extreme Ab¬
schottungspolitik gegenüber dem Ausland,
eine möglichst weitgehende Ausbeutung der
Kolonien, eine innere politische Stabilisie¬
rung mit möglichst staatlich gelenkter Wirt¬
schaft auszeichnet.
Die Diktatur von Salazar war von Anfang an
nicht explizit „faschistisch“: in Portugal
scheint eine umfassende Mobilisierung der
Massen für Propagandazwecke undenkbar.
Alle Versuche, eine ideologische Basis hinter
die Politik des „Estado Novo“ zu stellen,
mußten scheitern: zum einen am passiven
Widerstand der Bevölkerung, zum anderen
groteskerweise auch an einer fast völligen
Entpolitisierung.! Die herausragende Rolle,
die eine unbeliebte Armee spielte, trug nicht
zur Popularität des Regimes bei. Dennoch
konnte man durch den Aufbau eines repressi¬
ven Terrorsystems im Inneren (das auf der
Geheimpolizei P.I.D.E. fußte) die Politik des,
wie die Parteilinie es formulierte, „Orgulho¬
samente Sös“ („Stolze Einsamkeit“) über fast
50 Jahre hinweg verfolgen. Der portugiesi¬
sche Ständestaat wird von seiner ideologi¬
schen Basis her gerne mit jenem des Austro¬
faschismus verglichen — ein starker Einfluß
der katholischen Kirche und des Militärs cha¬
rakterisieren beide Modelle.
Die Rolle von Portugal während des 2. Welt¬
kriegs bestand in einem Doppelspiel, dessen
Auswirkungen auch von der modernen por¬
tugiesischen Geschichtsschreibung noch
nicht vollständig aufgearbeitet worden ist.
Die Inhalte, die das Exilmuseum in Estoril
vermittelt, sind, wie noch gezeigt werden
wird, ein typisches Beispiel für diesen unge¬
nauen Umgang mit Geschichte. Das Salazar¬
Regime fühlte sich dem Spanien Francos
brüderlich verbunden, ohne jedoch in zu en¬
gem Kontakt mit dem Nachbarn treten zu
wollen — vor allem aufgrund des portugiesi¬
schen Traumas, vom großen Nachbarn auf¬
gefressen zu werden, wie es während der
über 800jährigen Geschichte des National¬
staates zwischen 1680 und 1740 (zumindest
nominell, aber mit nicht zu unterschätzenden
Auswirkungen auf die kollektive Psyche) ge¬
schehen war.
Dazu kam die Erinnerung an eine glücklose
und extrem unpopuläre Teilnahme am Ersten
Weltkrieg - und so blieb Portugal in den Wir¬
ren des Zweiten Weltkriegs (auch wieder zu¬
mindest nominell) neutral. Einerseits scheute
sich Salazar nicht, Handelsbeziehungen zwi¬
schen Deutschland und den USA herzustel¬
len, wenn es seinem eigenen Vorteil diente.
Andererseits nahm man Flüchtlinge, die ab
1938 über Frankreich und Spanien einwan¬
derten, ohne weiteres auf und bot ihnen (na¬
türlich immer auch abhängig von der finan¬
ziellen Potenz des Einzelnen) halblegale
Überlebens-Möglichkeiten im Land ebenso
an wie die Überfahrt nach Amerika auf einem
der Überseedampfer. Ganz offiziell und ganz
real bedeutete eine Deportation nach Spanien
meist den umgekehrten Weg. Zurück nach
Deutschland, zurück in ein deutsches Ver¬
nichtungslager.
Ich stehe vor einer der großen Tafeln, be¬
trachte die Fotografien einer Gruppe auslän¬
discher Flüchtlinge, die an der Estagäo do
Rossio am 22. Juni 1940 ankommen. Ein an¬
deres Bild zeigt Nonnen am gleichen Bahn¬
hof: Juni 1941. Auf einmal höre ich Schritte
hinter mir: eine dickliche Frau, offenbar die
Aufseherin, hat sich die Stufen heraufge¬
quält. Sie nickt mir zu: „Ich komme immer zu
spät, aber jetzt ist das Museum offen“, ver¬
kündet sie mit selbstzufriedenem Grinsen.
„Haben Sie noch andere Materialien?“, frage
ich, „eine Broschüre vielleicht? Irgendetwas
Gedrucktes?“ Ihre Augen verengen sich:
„Warum will der Herr eine Broschüre?“ Ich
zögere: „Weil ich gerne einen Artikel über
das Museum schreiben würde.“ — „Das ist
unmöglich! Um einen Artikel zu schreiben,
brauchen Sie eine Autorisation. Und eine
Autorisation kriegen Sie am Samstag be¬
stimmt nicht, weil die Herrschaften am
Samstag nicht arbeiten. Da müssen Sie schon
Montag vormittag wiederkommen!“ Ich dre¬
he mich gelassen um und betrachte die Ge¬