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komplexe „Hin und Her der Blickordnun¬
gen“ hin, das Drachs Erzähltechniken von al¬
len einfachen Abbildästhetiken unterschei¬
det. Das bedeutet, wie Schmatz weiter aus¬
führte, dass der Begriff „Protokollstil“, den
der Autor selbst gebraucht hat und der darum
auch der Forschung geläufig ist, Drachs
Schreibweise nicht völlig erfasst. Die Dar¬
stellung der Träume etwa, denen Schmatz ei¬
nige Aufmerksamkeit zuwandte, gehen weit
über das bloße Protokollieren hinaus und ma¬
chen aus Drachs Texten unter anderem auch
eine „neue Art der Traumdeutung.“

Dem Schriftsteller Schmatz folgte die Philo¬
login Eva Schobel. Sie berichtete von ihrer
Arbeit an Albert Drachs Nachlass, der sich
im Österreichischen Literaturarchiv befindet.
Dabei stellte sie dar, dass Drachs „Wille,
nicht zu sterben“ im Nachlass gut belegt ist.
Schon in einem Jugendwerk, dem Drama
„Untergang der Insel Atlantis“, tritt ein Dich¬
ter als unsterblicher König auf, doch spre¬
chen auch spätere Werke immer wieder von
der Lebens- und Überlebensentschlossenheit
ihres Autors. Vor allem ist hier an die auto¬
biographischen Romane Drachs zu denken:
„Unsentimenale Reise“ und „Das Beileid“.
Der erste schildert Drachs gefährdete Lage
als Emigrant im französischen Exil, der
zweite seine keineswegs freundliche Rück¬
kehr nach Österreich. Durch eingehende Ver¬
gleiche der Manuskripte und Vorstudien
zeigte Schobel, dass diese beiden Romane
nicht in der chronologischen Reihenfolge
verfasst worden sind, die sie beschreiben.
Vielmehr beendete Drach „Das Beileid“ zu¬
erst, während er an der „Unsentimentalen
Reise“ sehr viel länger — und das heißt: mit
größerer literarischer Ambition — arbeitete.
Dass auch diese Literarisierung der eigenen
Lebensgeschichte dem Willen entspringt,
sich in einem Text selbst zu überleben, lässt
sich denken.

Nach Eva Schobel ergriff ein zweiter Archi¬
var und Philologe das Wort: Bernhard Fetz,
Mitarbeiter am österreichischen Literaturar¬
chiv. Er stellte unter anderem 17 Essays vor,
die als in sich geschlossenes, aber unpubli¬
ziertes Konvolut in Drachs Nachlass vorhan¬
den sind. Wie Fetz darlegte, unterscheiden
sich diese Essays von der finten- und fik¬
tionsgesättigten Prosa der Drachschen Ro¬
mane erheblich. Der Essayist Drach geht un¬
mittelbar aufs Ganze, behandelt „große“
Themen wie „Sprache, Frau, Gott, Moral,
Liebe, Tod“, und spricht all die rigorosen
Werturteile aus, die er den Protokollanten
seiner Romane nicht gestattet. Dass er dabei
nicht immer gerecht verfuhr, zeigt etwa der
Essay „Karl Kraus und die Folgen“, der dem
Herausgeber der „Fackel“ jegliches Ver¬
dienst abspricht. Ja, Drach geht sogar so weit,
die Kraussche Publikationspolitik mit Propa¬
gandamethoden Hitlers gleichzusetzen. Die¬
se scharfe Kritik ist gewiss fragwürdig, er¬
klärt sich aber, wie Fetz zeigte, aus der Ver¬
ehrung für Heinrich Heine: Ihn, der „zynisch
und mit Unschuld“ schrieb, liebte Drach, also
musste er den Heine-Feind Kraus hassen.

Diese emotionale Art der Urteilsfindung mag
man akzeptieren oder nicht — in jedem Fall
aber müssen sich auch die überzeugtesten
„Drachianer“ mit der Tatsache konfrontie¬
ren, dass „ihr“ Autor nicht eben selten in
schroffe Polemiken von fragwürdigem Wert
verfiel.

Clemens Ruthner von der Universität Ant¬
werpen hatte also recht, als er bemerkte,
Drach sei für seine Leser in mancher Hinsicht
ein „unangenehmer Autor“. Freilich dachte
Ruthner bei dieser Beobachtung weniger an
die sehr robusten Urteile des Essayisten
Drach. Sein Vortrag handelte vielmehr vom
literarischen Umgang mit der Sexualität. In
der „Untersuchung an Mädeln“, aber etwa
auch in der frühen Erzählung „Vermerk einer
Hurenwerdung“ rettet Drach die Frauen, die
ein ausschweifendes Sexualleben führen, vor
den Verurteilungen der scheinheiligen Män¬
nerjustiz. Dabei schreckt er vor pornogra¬
phie-ähnlichen Beschreibungen nicht zu¬
rück. Im Vergleich mit der „Josefine Mut¬
zenbacher“ zeigte Ruthner allerdings auf,
dass Drachs drastische Sexszenen als pole¬
mischer Gegenentwurf zu Saltens fröhlichem
Märchen vom sinnenfrohen Wiener Mädel
zu lesen sind. In aller Schärfe stellt Drach
dar, dass die Sexualität im Zeitalter der Geld¬
und Warenwirtschaft mit Ausbeutung ein¬
hergeht. Wenn er also Pornographie schreibt,
dann eine zum Abgewöhnen - auf die Paral¬
lelen zu Elfriede Jelineks Anti-Pornos wies
Ruthner ausdrücklich hin.

Zum Schluss sprach Wendelin Schmidt¬
Dengler, der Vorsitzende der Albert Drach¬
Gesellschaft. Er analysierte die rhetorischen
Elemente der „Unsentimentalen Reise“. Da¬
bei ging er unter anderem auf die systemati¬
sche Verwendung der Negation ein, die
schon den Titel des Romans kennzeichnet
und die im weiteren Verlauf Entscheidendes
zum eigenartig spröden und kühlen Grundton
des Textes beiträgt. Als weiteres Stilmittel
würdigte Schmidt-Dengler etwa noch Drachs

Albert Drach. Photo: Eva Schobel

virtuosen Gebrauch der Metonymie, der sich
bis in die Namensgebung der Figuren hinein
bemerkbar macht. Als Fazit seiner minutiö¬
sen textanalytischen Untersuchungen stellte
Schmidt-Dengler schließlich fest, dass
Drachs Beschreibungen in Wahrheit „Um¬
schreibungen“ seien: sie bilden die national¬
sozialistische Judenvernichtung, der Drach
um Haaresbreite entkommen ist, nicht natu¬
ralistisch ab, sondern halten zum Geschehen
Distanz mit Hilfe rhetorisch durchgeformter
Sätze, die sozusagen vor Schrecken starren.
Dadurch gewinnt Drach jene „unsentimenta¬
le“ Haltung, die schon der Titel seines Ro¬
mans beansprucht.

So weit die fünf Vorträge in Kurzfassung.
Wer den derzeitigen Stand des kulturellen In¬
teresses kennt, wird sich die öffentliche Re¬
sonanz auf ein solches Symposium nicht all¬
zu heftig vorstellen: Nur wenige Zuhörer fan¬
den sich in den Räumen des Österreichischen
Literaturarchiv in der Hofburg ein. Sie aber
haben zweifellos Neues und Relevantes über
Albert Drachs Prosa gehört. Im Mitteilungs¬
blatt der Albert Drach-Gesellschaft, das den
Titel „Prozesse“ trägt, werden die Vorträge
im Lauf des Frühjahrs veröffentlicht werden.
(Die Beiträge zum ersten Drach-Symposium
1997 sind dort bereits erschienen.)

Kontaktadressen für Interessenten:
Internationale Albert Drach-Gesellschaft,
Hauptstraße 44, A-2340 Mödling, bzw. Re¬
daktion „Prozesse“, Österreichisches Lite¬
raturarchiv, Josefsplatz 1, Postfach 308,
A-1015 Wien.

Bislang sind drei Hefte von ,,Prozesse. Mit¬
teilungsblatt der Internationalen Albert
Drach-Gesellschaft“ erschienen, u.a. mit
Jaksimilierten Originalbeiträgen aus dem
Nachlaß von Albert Drach, dem Transkript
eines Gesprächs mit Peter Huemer, literatur¬
und theaterwissenschaftlichen Beiträgen von
Hermann Schlösser, Volker Klotz, Alexandra
Millner, Paul Roessler, Reinhard Schulte.

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