Der Durchbruch des
Autors Herbert Kuhner
Herbert Kuhner gehört zu jener internationa¬
len Familie von Autoren und Dichtern, die es
ihren Lesern nie leicht gemacht haben, sich
selbst aber sogar noch größere Härten aufer¬
legt. Ein uneingeschränktes Verlangen nach
Wahrheit und eine gewissenhafte Disziplin
des Ausdruckes sind eine gute Basis für lite¬
rarische Qualität: ein Rezept für einen leich¬
ten Erfolg sind sie sicher nicht. Der im Jahre
1935 in Wien geborene Herbert Kuhner emi¬
grierte mit seinen Eltern 1939 in die Verei¬
nigten Staaten, wo er an der Columbia Uni¬
versity studierte, sich aber 1963 entschloß,
nach Österreich zurückzukehren. Österreich
hatte seine jüdische Bevölkerung niemals zur
Rückkehr eingeladen zurückzukommen, und
der Empfang für einen jungen Schriftsteller,
der gewillt war, sich mit der jüngsten Ver¬
gangenheit auseinanderzusetzen, war sogar
noch kühler.
Wie Konstantin Kaiser in verschiedenen
Vorworten zu Kuhners beiden neuen Samm¬
lungen, einer Prosa- und einer Lyrik-Samm¬
lung, analysiert, ist es die lebenslange be¬
rechtigte Besessenheit dieses Autors, den Be¬
ziehungen zwischen denen, die die Verbre¬
chen der Nazizeit begingen, und ihren Op¬
fern nachzugehen. „Was Opfer und Täter
eint, ist das eine Geschehen, an dem sie beide
Teil hatten“, schreibt Kaiser; aber in der Tat,
Kuhner kehrte in das falsche Land zurück,
um Aufklärung und Aufrichtigkeit zu finden.
Er ist heimgekommen, im erbärmlichsten
und pervertiertesten Sinne des Wortes. Die
Behandlung, die Kuhner seitens öffentlicher
Stellen und der Literaturkritik bis zuletzt zu¬
teil wurde, ist kein Ruhmesblatt für sein Ge¬
burtsland Österreich. In früheren Schriften
diagnostizierte Kuhner einen allgemeinen
österreichischen Unwillen, an die Vergan¬
genheit erinnert zu werden. Österreich hatte
sich — und das wirklich sehr erfolgreich bis zu
Kurt Waldheims Präsidentschaftswahlkampf
1986 (und seinem späteren Sieg) — für das
Verleugnen und Vergessen entschieden. Per¬
sönliche Anwürfe und materielle Einbußen
konnten Kuhner nie zum Schweigen bringen
oder gar vertreiben. Unermüdlich arbeitete er
jahrzehntelang nicht nur an seinem eigenen
Werk weiter, sondern war ebenso als wichti¬
ger Übersetzer von Lyrik und Prosa aus dem
Deutschen in das Englische, als Herausgeber
tätig, und durch all das hindurch als eine kon¬
stante Stimme der Warnung. In den letzten
Jahren fand er so manche Anerkennung für
seine Bemühungen - ein vielversprechendes
Signal, eine Hoffnung für einen Wandel in
Österreich.
Bis zu einem gewissen Grad hat dieses zu¬
nehmende Echo wohl mit der großen poeti¬
schen Qualität von Kuhners neuesten Arbei¬
ten zu tun. Früheren Texten, ungeachtet der
Prägnanz und Pointiertheit, die auch sie auf¬
weisen, mag es an der stilistischen und ästhe¬
tischen Brillanz gefehlt haben, die seine zwei
neuesten Bücher auszeichnet. Kuhner
schreibt in erster Linie in englischer Sprache,
und seine eigenen Übersetzungen ins Deut¬
sche schienen manchmal der sprachlichen
Ausdrucksraft des Originals nicht gerecht zu
werden. Solche Schwachstellen, die nicht je¬
der Kritik standhielten, können in den zwei
neuen Werken nicht mehr gefunden werden.
Die Gedichte in Liebe zu Österreich, ur¬
sprünglich in englischer Sprache geschrie¬
ben, rühren an die wunden Stellen der Figu¬
ren und Geister aus Österreichs Vergangen¬
heit und Gegenwart, weil sich für diesen
Dichter Österreich seit 1945 nicht viel verän¬
dert hat. Jedes der fünfundsiebzig Gedichte
dieser neuen Sammlung handelt von einer
Verletzung, einer Erinnerung, aber meistens
mit gegenwärtig alltäglichen Beobachtun¬
gen. Die Sprache ist scharf, die Metaphern
originell, und akuter Schmerz tritt aus diesen
Worten hervor. In der Tat: „In Österreich Fa¬
schismus zu erkennen, ist eine sehr heikle
Angelegenheit.“ Diese Gedichte schreien ge¬
radezu danach, gelesen zu werden; sie bean¬
spruchen Gültigkeit über den geographi¬
schen Ort ihres Entstehens hinaus; sie betref¬
fen uns alle.
Ein sogar noch größerer Durchbruch, näm¬
lich zu seinem, meiner Ansicht nach, bedeu¬
tendsten, kraftvollsten und tiberzeugendsten
Werk ist Kuhner in den mehr als fiinfzig Pro¬
satexten von Minki die Nazi Katze und die
menschliche Seite gelungen — manche nur ei¬
nige Zeilen lang, andere erstrecken sich über
mehrere Seiten. Kuhner teilt hier das Ver¬
dienst der Übersetzungen ins Deutsche meist
mit Hermine Grossinger, das Buch enthält je¬
doch keine englischen Texte. Einige dieser
Arbeiten wurden bereits früher in verschie¬
denen Anthologien oder Magazinen publi¬
ziert, aber die meisten erscheinen hier das er¬
ste Mal. Die Sprache ist straff, weder dekora¬
tive noch rhetorische Elemente lenken vom
Kern der Aussage ab, und die Rede ist von
Erinnerungen und Beobachtungen. Viele der
Texte sind Parabeln, nicht weit entfernt von
Kafkas durchsichtiger Klarheit. Kuhner
weist (oft nennt er die Namen) ohne Rück¬
sicht auf deren öffentliches Ansehen auf die
zwielichtigen Karrieren vieler Figuren der
österreichischen Kultur hin; in seinen Ankla¬
gen zeigt er sich uneingeschiichtert, doch nie
unfair. Jeder dieser kurzen Texte tut weh,
aber dieses Leid bewirkt auch Heilung. Es
ware sinnlos, einzelne Titel zu nennen, so¬
wohl hier als auch bei den Gedichten — es
sind zu viele, die eine Hervorhebung ver¬
dienen.
Wenn ich, ungeachtet meines moralischen
Respekts für den Autor, in einigen seiner frü¬
heren Arbeiten sprachliche oder stilistische
Mängel entdeckt haben mag, so bin ich jetzt
bekehrt. Nachdem ich beide Bücher erneut
gelesen habe, betrachte ich Herbert Kuhner
als einen Dichter und Autor, der die größt¬
mögliche Leserschaft verdient.
Erich Wolfgang Skwara
Aus dem Englischen übersetzt von Irmgard
Kuhner-Beichtbuchner, die Besprechung ist
in englischer Sprache im August 1999 in
„World Literature Today“ (früher „Books
Abroad“) erschienen.
Herbert Kuhner: Minki die Nazi Katze und
die menschliche Seite. Prosa. Mit einem
Nachwort von Konstantin Kaiser. Wien: Ver¬
lag der Theodor Kramer Gesellschaft 1998.
137 §. 6S 200,-/DM 29,-/SFr 27,-/USD 18,¬
Liebe zu Osterreich/Love of Austria. Lyrik —
Poetry. (Englisch/Deutsch.) Herausgeber —
Editor: Konstantin Kaiser. Wien: Verlag Der
Apfel 1998. 209 S. ÖS 280,¬
Ein Schriftsteller wird in der Wochenendbei¬
lage der lautstark für eine Regierungsbeteili¬
gung der Freiheitlichen Partei Österreichs
eintretenden Tageszeitung „Die Presse“ ge¬
rühmt, weil er nicht „in die Fallgrube der So¬
zialkritik“ gegangen sei. Das scheint nun ei¬
ne Grube zu sein, die der Rezensent anderen
gegraben hat, und der Schriftsteller wußte
davon, war vorsichtig und fiel nicht hinein.
Soma Morgensterns
„Flucht in Frankreich“
‚Soma Morgensterns Romanbericht „Flucht
in Frankreich“ ist von doppelter Bedeutung.
Einerseits als genaue Beschreibung der grau¬
samen Internierung der Flüchtlinge in Frank¬
reich und andererseits als autobiographischer
Bericht des Autors, der in den letzten Jahren
als einer der bedeutendsten Schriftsteller und
Journalisten unseres Jahrhunderts durch die
bewundernswert edierte Werkausgabe im zu
Klampen Verlag wiederentdeckt wurde.
Die Textgrundlage ist ein im Nachlaß aufge¬
fundenes undatiertes Typoskript, das hier
zum ersten Mal veröffentlicht wurde. In dem
Buch berühren besonders der sarkastische
und ironische, dabei gleichzeitig so humane
Tonfall und die genaue, authentische Wie¬
dergabe der Gespräche und Gefühle der Emi¬
granten oder Gefangenen. Dies macht das
Buch auch weit lesenswerter und bedeuten¬
der als Lion Feuchtwangers ansonsten ver¬
gleichbarer Bericht „Der Teufel in Frank¬
reich.“ So überliefert Morgenstern folgenden
Ausspruch seines engen Freundes Joseph
Roth: „Ein Emigrant stirbt keines natürlichen
Todes. Woran immer einer von uns in der
Fremde sterben wird, es wird kein natürlicher
Tod sein.“
Der Herausgeber Ingolf Schulte beschreibt in
seinem umfangreichen Nachwort wie bereits
in den früheren Büchern mustergültig den hi¬
storischen und biographischen Kontext des
Buches. E.A.
Soma Morgenstern: Flucht in Frankreich.
Ein Romanbericht. Hg. von Ingolf Schulte.
Lüneburg: Zu Klampen Verlag 1998. 430 S.
(Werke in Einzelbänden. Bd. 8).