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der Hochschulen und deutsche wie tschechische Bürger der Stadt zugegen waren. Befürchtungen, daß der eine oder andere der vielen den Odsun der Deutschen auch heute noch befürwortenden tschechischen Mitbürger bei der Gedenkfeier störend auftreten würde, erwiesen sich als Grundlos. Aber leider kam es zu einem wortstarken Ausfall gegen die Veranstalter der Trauerfeier von seiten einer Amtsträgerin einer zweiten in der Stadt bestehenden deutschen Organisation, die einmal mehr bewies, wie notwendig eine von uns seit langem angestrebte Einigung der deutschen Verbände ist. Dora Müller (Deutscher Kulturverein Region Brünn) „Exil-Club“: Online-Magazin als moderne Form der Arbeit gegen das Vergessen An symbolischer Stelle, nämlich im Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf, hat die Wuppertaler Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft im Frühling 2000 ein weltweit einmalige Projekt vorgestellt: Das Schüler-Online-Magazin „Exil-Club.de“. Fritz Behrens, NRWInnenminister, war extra aus einer Landtagssitzung ins Heine-Haus gekommen, um feierlich eine Urkunde an den Vorstand der „Stiftung Else Lasker-Schüler/Zentrum für verbrannte und verbannte Dichter-KünstlerInnen“ zu überreichen. Die Stiftung ist durch eine großzügige Mäzenin mit 1,5 Millionen Mark ausgestattet und damit juristisch selbständig geworden. Anwesend war auch der exilchinesische Autor Shi Ming. Ihn hatten Jungen und Mädchen der Gesamtschule Else Lasker-Schüler in Wuppertal interviewt. Dieses Interview war das erste tönende Beispiel der Biografie eines Verfolgten von heute, die im Internet angesteuert werden kann. Wer die Adresse „www.exil-club.de“ im Internet anklickt, den umschwirren Fotos berühmter Verfolgter der Geschichte, überwiegend deutschsprachige Juden, die vor den Nationalsozialisten flüchten mußten. Doch sind auch Opfer der DDR-Kommunisten wie Wolf Biermann als Beispiele dabei, um die Jugendlichen mit der jiingsten deutschen Vergangenheit zu konfrontieren. Uber Exilanten, die heute in Deutschland Asyl nachsuchen wie damals Else Lasker-Schiiler in der Schweiz oder Brecht in den USA, wird die Aktualität des Themas bewusst gemacht. Und die vielen ausländischen Kinder in bundesdeutschen Schulklassen erkennen ihre eigenen Bezüge, wenn sie im Rahmen des Projekts nicht nur die Biografien von Naziopfern, sondern auch die von Regimegegnern im Irak, Iran oder Rot-China recherchieren. Denn die Philosophie der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal lautet seit langem, dass die Jugendlichen von heute und kommende Generationen nicht mit dem emotionslosen „Nie wieder“ motiviert werden können. Geschichte lernen — Technik erfahren „Schulen ans Netz“ ist eine Forderung, die von Politikern gern im Munde geführt wird, wenn es um die Zukunft des Bildungssystems geht. Dazu haben kurz nach dem Ereignis im Heinrich Heine-Institut die EU-Regierungschefs in Lissabon einen Beschluss gefasst, um gegenüber den Vereinigten Staaten die technologische Lücke zu schließen. Sie wollen bis Ende 2001 in jede Schulklasse einen Internet-Anschluß legen. Eine Forderung, die bei der deutschen Telekom auf offene Ohren stieß, die bereits vorher zusagt hatte, allen Schulen einen kostenlosen Internetzugang zu stellen. Seitdem wird die Zielgruppe „Schule“ systematisch von Online-Anbietern und Hardware-Produzenten umworben. Denn je mehr Kinder den Umgang mit dem Internet bereits in der Schule erlernen, desto größer — so das Kalkül — ist das Kundenpotential von morgen. Dass die Bundesregierung derzeit 20.000 Greencards an ausländische Computerspezialisten verteilen will, zeigt, dass das deutsche Schulsystem den Anschluss an die internationale Entwicklung verpasst hat. „Nachsitzen und Aufholen!“ kann da nur das Gebot der Stunde lauten. Herausforderung für zeitgemäße Didaktik Gefährlich wäre indes die Annahme, dass die Ausrüstung der Schulen mit Internetzugang und Computern allein schon die Misere beheben könnten. Schule und Hochschule müssen den Impuls der Wirtschaft aufgreifen und zeitgemäße didaktische Konzepte für die Einbindung des neuen Mediums in den Unterricht entwickeln. Eine Aufgabe, die sich „Schulen ans Netz e.V.“, eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der Deutschen Telekom, gestellt hat. Gemeinsam mit der Else-LaskerSchüler Stiftung — Verbrannte und Verbannte Dichter/KünstlerInnen trägt „Schulen ans Netz“ (Bonn) das eingangs geschilderte Internet-Projekt: Schüler recherchieren für das Online-Magazin „Exil-Club“ (www.exilclub.de) Biografien verfolgter Intellektueller unter wissenschaftspropädeutischen, journalistischen und künstlerischen Aspekten. Dokumentiert werden soll das Unrecht, das Schriftstellern, bildenden Künstlern, Musikern und Naturwissenschaftlern (!) während der NS-Zeit, in der ehemaligen DDR, aber auch aktuell und weltweit widerfährt. Multimedial und interaktiv Neu an diesem Projekt ist, dass die multimedialen und interaktiven Möglichkeiten des Internet konsequent genutzt werden. Der „Exil-Club“ ist eine Kommunikationsplattform für Exil-Intel-lektuelle (die hier Publikationsverbote unterlaufen können), Lehrer und Schüler. Schüler können online mit Exil-Intellektuellen diskutieren und sie nach ihren Lebenserfahrungen befragen und als Hör-Interview ins weltweite Netz stellen. Die besten Arbeiten werden von einer unabhängigen Jury gewürdigt. Unter anderem winkt eine fünftägige Reise in die USA zum „House of Tolerance“, Los Angeles. Zweiter Preis ist der Besuch des Museums (Gedenkstätte) Theresienstadt in der Tschechischen Republik. Die Schirmherrschaft des InternetProjekts hat Heide Simonis. Virtuelles Museum Ein unschätzbarer Fundus sind die Exponate aus der „Sammlung Dr. Gerhard Schneider“ (Olpe), die das Online-Magazin zu einer Art virtuellem Museum der verfolgten und exilierten bildenden Künstler während der NSund DDR-Zeit machen: Schüler können durch diese Bildwelten „surfen“ und erhalten per Mausklick die Biografie des Künstlers und Interpretationshilfen. Für die Sammlung Schneider, die unter dem Titel „Verfemt. Vergessen. Wiederentdeckt“ lange im Museum Baden in Solingen gezeigt wurde, sucht die Stiftung Else Lasker-Schüler derzeit einen geeigneten Ort, der zugleich ein Zentrum und Begegnungsstätte für Verbrannte und Verbannte Dichter und Künstler sein könnte. Eine Vision, die vielleicht bald Wirklichkeit wird. Inzwischen ist auch in Israel der Gedanke aufgegriffen worden: In Raanana hat die Kommune ein Grundstück in einem Skulpturenpark zur Verfügung gestellt; aus Köln hat das Jüdisch-russische Sammler-Ehepaar Bar Gera seine Kollektion russischer Nonkonformisten als Grundstock fiir ein ,,Museum/Institut der verfolgten Künste und Künstler“ angeboten — so hat es die FAZ (29.9. 1999) gemeldet. Schulen, die an dem Intern-Projekt mitarbeiten wollen, melden sich online unter: redaktion@ exil-club.de Wobei die Initiatoren in Wuppertal und Bonn nicht nur deutsche Schulen erreichen méchten, sondern auch auf Beteiligung aus Osterreich hoffen, das gebietet schon die Geschichte. Sogar aus der Schweiz hat sich ein erstes Gymnasium gemeldet; aus Deutschland sind Lehranstalten aus Leipzig, Berlin und Wuppertal schon beteiligt. Hajo Jahn und Heiner Bontrup Die Autoren sind an dem Internetprojekt beteiligt: Hajo Jahn als Vorsitzender der Else-Lasker-Schiiler-Stiftung, Heiner Bontrup als Redakteur und didaktischer Betreuer; er arbeitet als Lehrer an der Gesamtschule Else Lasker-Schiiler, Wuppertal. Man sollte indes nicht ganz vergessen, daß auch in der BRD Schriftsteller verfolgt wurden — so der Kommunist und Verleger Johann Fladung, zurückgekehrt aus dem Exil in London. — Red. 75