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Ein verspätetes Echo/ A farschpetikter echo von Josef Burg Josef Burg, der letzte jiddische Dichter in Czernowitz, geboren 1912, von 1934 bis 1938 Student der Germanistik in Wien, begann in einer Zeit zu schreiben, als in der Bukowina eine deutschsprachige Dichtung, vor allem Lyrik, mit Schriftstellern wie Paul Celan, Rose Ausländer, Alfred Margul-Sperber und noch vielen anderen, ihren Anfang nahm. Einige wenige Schriftsteller wie Kubi Wohl und Itzig Manger schrieben in ihrer ,,Muttersprache“, dem Jiddischen. Das bürgerliche Judentum sprach die Sprache der Kultur, der sie nachstrebten, und die war an die deutsche Sprache gebunden. Als diese Sprache nach 1941 mit dem Einmarsch der Deutschen zur „Sprache der Mörder,, wurde, und jüdische Literatur und jüdische Menschen vernichtet und vertrieben wurden, starb mit ihnen auch die Literatur der Bukowina. Paul Celan in Paris und Rose Ausländer in New York schrieben nach dem Krieg weiter in deutscher Sprache, aber dies bedeutete keinen Anschluß an die Dichtung vor dem Holocaust. Nachdem die Bukowina 1945 der Ukraine einverleibt wurde und die Juden dieses Landstrichs vernichtet und vertrieben, die Überlebenden ausgewandert waren, verschwanden die früheren kulturellen Orientierungen zusammen mit der deutschen Sprache in der Bukowina für immer. Josef Burg flüchtete 1941 in die UdSSR und kehrte erst 1958 wieder nach Czernowitz zurück. Obwohl er perfekt Russisch, Ukrainisch, Rumänisch, Deutsch und Jiddisch spricht, entschied er sich als Schriftsteller für seine Muttersprache, das Jiddische. Damit ist er aufgewachsen, darin liegen seine Wurzeln. Und nun ist zum ersten Mal ein Buch von Josef Burg in Jiddisch und Deutsch erschienen. Fünfzehn Erzählungen — zur Hälfte zweisprachig — spiegeln eine jüdische Welt wieder, wie sie vor der Vernichtung und Verteibung der Juden existierte. In „Eine Sprache für sich“ schildert Burg kurz die Situation an der Universität Wien, an der er Germanistik studiert hatte. Er beschreibt den Professor, bei dem er sein Kolloquium in Mittelhochdeutsch abgelegt hatte, als einen streng und ernst aussehenden alten Herrn, aus österreichischem Adel stammend. Als dieser Burgs Deutsch lobt und nach seiner Muttersprache fragt, erwidert Burg kurz: „Jiddisch“ und erwartet abwehrende Phrasen. Doch der Professor antwortete mit mildem Lächeln: „Jiddisch, junger fraint, is a loschn beazmoj.“ — Jiddisch, junger Freund, ist eine Sprache fiir sich. Das war zwischen 1934 und 1938. Kurz beschreibt Burg sein Glück über diese Äußerung: „Es war ihm, als sänge alles um ihn mit tausend Stimmen.“ Die Entgegnung des alten Professors war in 80 dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr. Vielleicht spiegelte sich darin noch die Toleranz der Monarchie gegenüber den Juden wider. Die zweite Gruppe der Erzählungen hat die Suche nach der verlorenen Identität zum Inhalt und der dritte Abschnitt schildert in erschütternder Dichte und Lebendigkeit den Schrecken der Verfolgungen. „Ein verspätetes Echo“ erzählt von einem in Moskau lebenden Bukowiner Gelehrten, der auf der Durchreise durch seine Heimat der Sehnsucht nach der Vergangenheit seines Schtetls nicht widerstehen kann, einen kurzen Zwischenstop einlegt, durch die Straßen des Ortes seiner frühen Jahre geht und vermeint, seine Jugendliebe wiederzusehen. Aber letztendlich werden die Klänge seiner Jugend in der Erinnerung so stark, daß er in sein jetziges Leben zurückflieht, um den Dissonanzen, in die die Gitarrenklänge zerfallen, zu entkommen. Die jüdische Welt seiner Kindheit und Jugend ist auf immer verloren. Die Sprache Josef Burgs ist eine Sprache des Schmerzes, der Sehnsucht, aber auch der Liebe. Er ist ganz nah bei seinen Menschen, auch wenn er einen jungen, blonden Mörder schildert, der auf die Frage: „Warum er den Säugling mit den Stiefeln zertreten hat“, antwortet: „Weil ich mit den Händen essen muß!“ In der Erzählung „Makowej‘“ kämpft ein Priester einen verzweifelten Kampf gegen die aufgehetzten Mörder, die die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung seines kleinen Dorfes in den Bergen für die Nacht planen. Erhitzt, mit roten versoffenen Räubergesichtern warteten sie auf den Anbruch der Nacht ... Das Dorf lag in grausames Schweigen versunken. Plötzlich begannen in diesem schweren Verstummtsein Kirchenglocken zu erschallen. Sie schallten auf, Klänge nach allen Richtungen schleudernd, wie ein zornig losbrüllender Sturmwind. Aus allen Bauernhütten stürzte Jung und Alt mit aufgeschreckten Stimmen und begannen über alle Wege und Pfade zu laufen, wie von einem Wirbelwind getrieben. Und Makowej beschwört sie, von ihrem Vorhaben abzulassen, ,,... denn auch die Juden seien von Gott geschaffen“. Der orthodoxe Priester sprengte damit die Dogmen seiner Kirche und bändigte mit dieser menschlichen Einsicht die wilde Mordlust seiner Anhänger. Wenn auch nur für kurze Zeit. Das blinde Wüten erreichte auch dieses Dorf. Vielleicht nicht ganz so blutig wie die anderen Dörfer. Der rumänischen Garde, die sich in mörderischer Umarmung mit den Deutschen einer Orgie der Vernichtung hingab, war auch Makowej nicht gewachsen. Josef Burg sucht nie eine Abrechnung mit der Ungerechtigkeit in seinen Geschichten. Es ist die Poesie des Todes und des Lebens, die unter die Haut geht, nie Situationen beschönigt, sondern Schmerz und Trauer an der Wurzel packt, das heißt am Leben. Er läßt die versunkene Welt jüdischen Lebens in diesem Vielvölkerbottich Bukowina wieder aufleben, um seine Zerstörung desto vehementer und totaler dem Leser zu vermitteln. Josef Burg hat mit dem Buch „Ein verspätetes Echo“ seinen Lesern ein Dokument geschenkt, das wegen der Schönheit und Kraft seiner Sprache, seiner Identifikation mit jüdischem Leben, seiner Liebe zu den Menschen und der Unwiederbringlichkeit authentischer Schilderungen einer versunkenen Welt, zum Kostbarsten gehört, das die Literatur unserer Zeit hervorzubringen vermag. Cecile Cordon Josef Burg: Ein verspätetes Echo/A farschpetikter echo. (Jiddisch/Deutsch.) Aus dem Jidischen übersetzt von Andrej Jendrusch, Beate Petras und Armin Eidherr. Mit einem Nachwort von Verena Dohrn. München: Peter Kirchheim Verlag 1999. 218 S. ÖS 291,„Czernowitz is gewen an alte, jidische Schtot...“ Im Sommer 1996 machten sich acht StudentInnen der Freien Universität Berlin unter der fachkundigen Leitung der Historikerin Mariana Hausleitner auf die Reise nach Czernowitz. Ihr Anliegen: die Lebenserinnerungen der letzten noch dort lebenden einheimischen jüdischen Bukowiner für die Nachwelt festzuhalten. In zwei Wochen konnten genügend Gespräche geführt werden, um eine Auswahl als Buch zu veröffentlichen, das in deutschukrainischer Fassung in Czernowitz vom jiddischen Schriftsteller Josef Burg, von dem auch der Titel stammt, herausgegeben wurde. Eine zweite, überarbeitete Auflage, diesmal nur in deutsch, erfuhr das Buch 1999. Die Gespräche, die auf formlosen Interviews basieren, wurden in durchgehende Erzähltexte transkribiert und in thematische oder chronologische Abschnitte unterteilt. Von den zu Wort kommenden 18 Zeitzeugen leb(t)en 17 noch in ihrer Heimat, nur einer davon gehört nicht der jüdischen Volksgruppe an. Die Erinnerungen erstrecken sich dabei von der österreichischen Zeit bis in die postsowjetische Gegenwart, und geben in ihrer Verschiedenartigkeit einen tiefen Einblick in die Vielfalt jüdischer Lebenswelten und Schicksale in der Bukowina im 20. Jahrhundert: Assimilation an die deutsche Kultur und Festhalten am Jiddischen; Religiosität, Zionismus und Kommunismus; Bildungsbürgertum und Proletariat; Überleben in Sibirien, in der Roten Armee, in den Lagern Transnistriens oder im Czernowitzer Ghetto; die Existenz als Sowjetbürger und schließlich die neue Freiheit in materieller Not. Eingebettet sind die Lebensberichte in einen vorbildlichen wissenschaftlichen Apparat, bestehend aus einem vorzüglichen historischen Überblick, Literaturhinweisen, Be