Hannelore schreibt
ein Gedicht
Hannelore, ein Idiähriges Mädchen, das
erst vor wenigen Wochen aus Devisch¬
and fliehen mußte, schickt uns ous einem
Kinderheim bei Poris das nochstehende
Gedicht: Hannelore hot trotz ihrer jun
gen Johre schon Furchtbares erlebt. und
da sie weiß, wie Faschisten sind, verfolgt
sie auch mit größter Anteilnohme die
Kömpfe in Spanien. Togelang hot Hanne¬
lore sich gonz ollein geplogl, um ın Arem
Gedicht für die Kinder-VJ all das owzu
drücken, wos sie bewegt. Das Gedicht
heißt
SPANIEN
Das tand ist Uberschwemmt von Not,
Die Wüst ist leer, der Sond ist rot
Tovsende werden hingeschlochr,
von Froncos Bomben niedergemacht
Viel Mütter haben ihre Kinder verloren,
die sie in Not und Armut geboren
Dos Volk weiß: es konn sich nur 1e'ber
eiretten,
indem es sprenot die Elendsketien
Mit geballter Faust für Freiheit und Brot,
zieht es gegen Foschismus und Not
lungen und Kerker nicht
unter dem faschistischen
Joch beugte, und dann füh¬
le ich neue Kraft, um allen
Schikanen der Henlein¬
Kinder und Lehrer mutig
entgegenzutreten. Sie wer¬
den mich nicht unterkrie¬
gen, trotz alledem!*
In einer Kinderzeich¬
nung und dem dazugehö¬
renden Text erzählt ein
„kleine[r] Leser“ der Kin¬
derbeilage der V/, wie er
die „Nacht vor der Wahl‘
erlebt hat. Die Bedrohung
durch die Faschisten wird
geschildert, zugleich im¬
mer wieder verdeutlicht,
daß die Kinder sich der po¬
litischen Situation durchaus bewußt seien. Sie erkennen die
Gefahr, die zunächst ihre Eltern, das heißt die Erwachsenen,
dann aber auch sie selbst betrifft.
Einen wichtigen Bestandteil bildete hier wie in der Kinder¬
AIZ die Korrespondenz mit den Kindern. Die jungen LeserIn¬
nen kamen aus unterschiedlichen Regionen Europas: Basel,
der Krim, Ketten bei Grottau, Luzern, Moskau, Brünn, Prag,
Bukarest... Ihre Briefe selbst wurden in der Regel nicht abge¬
druckt - lediglich die Briefe, die ihre Armut oder besondere
Ereignisse schilderten. Allerdings konnten die Kinder in der
Kinderpost die Antworten der Redaktion auf ihre Briefe nach¬
lesen. Die Kinder nutzten die Briefe unter anderem dazu,
Brieffreundschaften mit deutschen oder spanischen Kindern zu
suchen, Briefmarken zu tauschen oder für exilierte Kinder zu
sammeln. Die Aufrufe für das Emigrantenheim Strasni¢ée, die
sich bereits in der Kinder-AIZ fanden, wurden fortgesetzt. Hier
fand also ein offener Austausch zwischen der Redaktion und
den Kindern sowie den Kindern untereinander statt. Manche
Kinder wünschten sich Exilierte als Brieffreunde. Ein Beispiel:
WADIM KOSAKOWSKY, [...] möchte mit einem 14-17jäh¬
rigen Jungen, der sich für Radio, Briefmarken und Tagesfragen
interessiert, in Briefmarken- und Brieftausch treten. Einen
deutschen Emigranten würde Wadim bevorzugen.”
Die V/ bot den Kindern zusätzlich die Möglichkeit, Fotos
von sich und/oder ihrer Familie zu publizieren, um sich den
anderen vorzustellen. Neben Geschichten, Zeichnungen und
Briefen schickten Kinder auch Rätsel und Witze an die Kinder¬
seiten der V/ und AIZ.
In der Vielfalt der Beiträge der Kinder zeigt sich, daß sich
Kinder auch zu ausgesprochen politischen Themen äußern
konnten und die politische Situation der 1930er Jahre erkannt
haben. Die Redaktion der Kinderseiten der V/ und der AIZ ih¬
rerseits sah in den Kindern durchaus potentielle Kämpfer ge¬
gen den Faschismus und Kapitalismus.
Für die kleinen Leser. In:
Die Volks-Illustrierte vom 30.6.
1 Zeichnungen von Kindern werden an dieser Stelle nicht diskutiert.
Im Rahmen der Kinderseiten entsteht in Siegen eine Ausstellung zu
Kinderzeichnungen des Exils.
2 Das Prager Tagblatt, eine bürgerlich-liberale Zeitschrift in Prag,
hatte ebenfalls einen Kinderbeilage - die „Kinderwiese“ — die von der
Exilautorin Alice Rühle-Gerstel redigiert wurde.
3 Angela Huß-Michel: Literarische und politische Zeitschriften des
Exils 1933-1945. Stuttgart 1987, 30. Nach anderer Angabe (vgl.
Lieselotte Maas: Handbuch der deutschen Exilpresse 1933-1945. Bd.
4, München 1990, S. 96) sollen es nur 300.000 gedruckte Exemplare
gewesen sein.
4 Die AIZ hatte seit Anfang der dreißiger Jahren eine Filiale im
böhmischen Reichenberg, so daß der Umzug 1933 relativ reibungslos
verlaufen konnte.
5 Alex Wedding (Ps.: Grete Weiskopf; geb. Margarete Bernheim),
geb. 11.5. 1905 Salzburg, gest. 15.3. 1966 in Berlin (DDR) schrieb in
der Weimarer Republik das Kinderbuch Ede und Unku, im Exil folg¬
te dann das Kinderbuch Das Eismeer ruft sowie ihre historischen
Kinderbücher Die Fahne des Pfeiferhänsleins (1948) und Söldner
ohne Sold (1948; 1951 unter dem Titel Das große Abenteuer des
Kaspar Schmeck), die leider nicht im Exil publiziert wurden, sondern
erst nach 1945. Alex Wedding sieht die Kinder als einen Teil der pro¬
letarischen Klasse, der durchaus auch in den Klassenkampf integriert
werden soll. Sie will Kinder politisch aufklären und spricht sich für
politische Kinder- und Jugendliteratur aus.
6 Kinder-AIZ, 25.3. 1933.
7 Unsere Kinderpost. In: Kinder-AIZ, 1.3. 1934.
8 Unsere Kinderpost. In: Kinder-AIZ, 6.7. 1933.
9 Kinderpost. In: Kinder-AIZ, 12.8. 1936.
10 Kinderpost. In: Kinder-AIZ. 24.6. 1936.
11 Mila darf nachts nicht schlafen. In: Kinder-AIZ, 18.5. 1933.
12 Zwei Briefe — Zwei Welten. In: Kinder-AIZ, 14.6. 1934.
13 Zwei Briefe — Zwei Welten. In: Kinder-AIZ, 14.6. 1934.
14 Zwei Briefe — Zwei Welten. In: Kinder-AIZ, 14.6. 1934.
15 Vgl. hierzu den Artikel: Der Lehrer unser Freund. In: Kinder-AIZ,
17.1. 1934.
16 Henry Jacoby: Davongekommen. 10 Jahre Exil 1936-1946. Prag
— Paris — Montauban — New York — Washington. Erlebnisse und Be¬
gegnungen. Frankfurt/M. 1982, 143. — Henry Jacoby schreibt hier:
„Erst in dieser Massenunterkunft kam einem das Elend der Emi¬
gration so recht zu Bewußtsein. Ein Haufen von Menschen hockte
hier miteinander, die nichts Rechtes mit sich anfangen wußten, sich
gegenseitig im Wege waren, von der Partei mit allerlei Scheinakti¬
vitäten in Gang gehalten und gleichzeitig auf jedes Wort hin beob¬
achtet wurden.“ (S. 31).
17 Unsere Kinderpost. In: Kinder-AIZ, 6.5. 1936.
18 Vel. in diesem Zusammenhang: Alex Wedding: Bobby, der Hund
der Kinderkommune. In: Kinder-AIZ, 23.11. 1933. Dort heißt es un¬
ter anderem: „‚Kapitalist!” schrie Mi, ‚deshalb wird dir der Hund noch
lange nicht gehören. Solange du im Kollektiv lebst und solange
Bobby im Kollektiv lebt, ist er der Hund von uns allen [...]’.“
19 Eine kleine Heldin. In: Kinder-AIZ, 31.8. 1933.
20 Ebenda.
21 Unsere Kinderpost. In: Kinder-AIZ, 27.5. 1936.
22 A. Huß-Michel: Literarische und politische Zeitschriften des Exils
1933-1945. Stuttgart 1987, S. 33.
23 Ein Brief aus Spanien. In: Für die kleinen Leser, 30.6. 1937
24 Hannelore schreibt ein Gedicht. In: Für die kleinen Leser, 30.6. 1937.
25 Hallo! Nicht vergessen! In: Für die kleinen Leser, 20.10. 1937. —
Gemeint ist vermutlich der Arzt und Sexualpädagoge Max Julius
Hodann (1894-1946), der 1937-38 als Militärarzt auf der Seite der
Spanischen Republik tätig war.
26 Wie es uns sudetendeutschen Kindern bei tschechischen Pflege¬
eltern erging. In: Für die kleinen Leser, 28.9. 1938.
27 In der Nacht vor der Wahl... In: Für die kleinen Leser, 6.7. 1938.
— Der Text ist nicht leicht zugänglich. Daher hier ein Auszug: „In der
Nacht vor der Wahl kamen zu uns Gendarmen, weil vor unserem Haus
Nazis die ganze Nacht ‚Wache’ hielten. Sie wollten wahrscheinlich
Feuer legen. In der Umgegend haben sie es zweimal so gemacht. Als
die Nazis die Gendarmen mit aufgepflanztem Bajonett sahen, wurden
sie ganz blaß. Die Hälfte der Nazis ist weggelaufen. Die andern wur¬
den aufgeschrieben. Bei K.’s waren in derselben Nacht auch Nazis,
aber Vater K. hat sie mit einer Taschenlampe verjagt! Die sind gelau¬
fen wie die Hasen! Da seht ihr es!“
28 Unsere Kinderpost. In: Für die kleinen Leser, 20.10. 1937.