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Immer dasselbe Lied: Jahresabschluß 2001 der Theodor
Kramer Gesellschaft und der Zeitschrift Zwischenwelt mit der
Feststellung, daß die Kosten rascher als die Erträge wachsen
und die Spielräume wieder enger geworden sind. Mehr als die
Hälfte ihrer Ausgaben bestreitet die Gesellschaft aus von ihr
selbst aufgebrachten Mitteln. Auch heuer halten sich die
Förderungen durch öffentliche Stellen in Grenzen. Ungezählte
Arbeitsstunden werden nicht bezahlt werden können. Zwar exi¬
stiert kein Rechtsanspruch auf angemessene Förderung. Aber
daß man erheblich schlechter behandelt wird als andere ver¬
gleichbare kulturelle Projekte und Zeitschriften, darf man als
Ungerechtigkeit beklagen. Wir wiederum haben die Pflicht, uns
nicht ruinieren zu lassen.

Palästina/lsrael, dem der von Evelyn Adunka herausgege¬
bene Schwerpunkt dieses Heftes gewidmet ist, nahm als
Exilland eine Sonderstellung ein: Einerseits war es das Ziel und
Sehnsuchtsland der zionistischen Ideologie in ihren verschie¬
denen Schattierungen, deren Vertreter gerade in Wien besonders
aktiv waren. Andererseits war das Land für viele österreichische
Jüdinnen und Juden nach dem „Anschluß“ Österreichs an
Deutschland neben Shanghai die einzige Zuflucht. Sie fühlten
sich in Palästina fremd und im Exil; viele von ihnen verließen
es auch wieder. Aber auch die älteren österreichischen
ZionistInnen konnten sich aufgrund der sprachlichen
Umstellung und zahlreicher anderer Probleme nur überaus
schwer und mühsam einordnen.

Mit dem Palästina/lsrael-Schwerpunkt wird eine Sicht von
innen, aus der Perspektive der dorthin Geflüchteten und Einge¬
wanderten, auf der Grundlage ihrer Arbeit und Kultur ange¬
strebt. Denn das Wissen um das wirkliche Leben in Israel, seine
Geschichte und seine Schwierigkeiten ist nach wie vor abstrakt,
vom Bedürfnis, Lösungsstrategien für einen „Konfliktherd“ zu
finden, diktiert. Israel steht indes für eine einzigartige Kultur, in
der sich Erinnern und rasche Assimilation, Überlieferung und
überlebensnotwendige Modernisierung verschränken.

Keiner) der israelischen AutorInnen dieses Heftes hat ein
Verhältnis kritikloser Hörigkeit zum eigenen Lande; sie wün¬
schen sich Frieden und Versöhnung, verabscheuen jeden Ras¬
sismus, sind sich zugleich der tiefen Risse und Spannungen in
ihrer Region bewußt. Als in Israel in deutscher Sprache Schrei¬
bende sind sie in besonderem Maße mit dem Problem,
vernommen und nicht mißdeutet zu werden, konfrontiert.
Dennoch sind sie ungemein lebendig und produktiv.

Wir betrachten in diesem Heft das Gebiet des heutigen
Israel historisch als Teil des britischen Mandatsgebietes
Palästina, und zwar bis zum 14. Mai 1948, dem Tag der Prokla¬
mation des Staates Israel. Das hat nichts mit einer Anerken¬
nung irgendwelcher territorialer Ansprüche zu tun. Tragisch ist
zwar, daß all jene, die für ein friedliches und demokratisches
Zusammenleben der verschiedenen Religionen und Völker auf
dem Gebiet des ehemaligen Palästina eintraten — ob nun
Martin Buber oder Edward Said -, stets eine ohnmächtige
Minderheit blieben, deren Konzepte von den jeweiligen
Volksgruppenführern bewußt hintertrieben wurden. Doch aus
dem nicht verwirklichten Ideal läßt sich kein Argument gegen
die Daseins- berechtigung eines Landes herleiten, so wenig
wie durch den unerfüllten jugoslawischen Traum die
Eigenstaatlichkeit Sloweniens in Frage gestellt werden kann.

Die Herausgeberin Evelyn Adunka, geboren 1965 in
Villach, hat sich als Historikerin auf dem Gebiet der jüdischen

Geschichte des 20. Jahrhunderts längst einen Namen gemacht.
Unter anderem veröffentlichte sie eine Geschichte der Juden in
Wien von 1945 bis heute (Berlin, Wien 2000). Zuletzt erschie¬
nen ihre Bücher über Österreicher in Israel und über die Plün¬
derung jüdischer Bibliotheken in der NS-Zeit (Innsbruck, Wien
2002). Sie ist Vorstandsmitglied der jüdisch-liberalen Gemein¬
de Or Chadasch und der neugegründeten Österreichischen Ge¬
sellschaft für Exilforschung.

In Europa und Österreich herrscht derzeit große Mißstim¬
mung über die Politik Israels unter Ariel Sharon. So verur¬
sachte der portugiesische Literaturnobelpreisträger Jose
Saramago einige Aufregung durch die Bemerkung, die
Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten erinne¬
re ihn an Auschwitz. In einem Interview mit der Tageszeitung
El pais (Madrid), 31.3. 2002, präzisierte er:

. eingeschlossen vom israelischen Heer, umgeben vom
mehr als 200 Siedlerkolonien, ohne Straßenverbindungen, sind
die palästinensischen Städte und Dörfer zu wirklichen Gettos
geworden, die man ohne Bewilligung des israelischen Militärs
weder betreten noch verlassen kann. Das Verhalten dieser mi¬
litärischen Kräfte und der Geist vor allem, der sie erfüllt,
gleicht in erstaunlicher Weise dem Tun und Denken der Nazis.

Saramago weiß nicht, will nicht wissen, was Auschwitz und
die Nazis waren. Hätte er den Geist und die Tat des israelischen
Militärs mit der Mentalität der in Portugal noch unlängst herr¬
schenden, blutige Kolonialkriege führenden Kreise verglichen,
man könnte vielleicht mit ihm diskutieren. Saramago fährt aber
unbekümmert fort:

Auschwitz ist für die Juden zugleich eine Wunde, die nie¬
mals vernarbt, und eine Mauer, die sie daran hindert, die Rea¬
lität zu erkennen. Indem ich Auschwitz sagte, wollte ich die
Gesellschaft Israels erschüttern und eine Debatte provozieren.
Die Debatte ist eröffnet. Mich einen Antisemiten zu nennen,
bringt nichts. Für die Juden ist jeder, der nicht Philosemit ist,
ein Antisemit.

Auschwitz ist nicht nur für „die Juden“ eine Wunde, son¬
dern für alle Menschen, auch wenn sich Saramago davon aus¬
nimmt. Daß man in Israel mit derart abgegriffenen und
verfehlten Vergleichen eine Debatte provozieren kann, wird
Saramago selbst kaum glauben. Seine Botschaft ist auch nicht
an die Bewohner Israels adressiert. „Die Juden“ sind in seiner
Vorstellung ein durch unsichtbare Fäden des Einverständnisses
und der Verblendung verbundenes Kollektiv. Die Vorstellung
darf als wahnhaft bezeichnet werden. Den Vorwurf, „die
Juden“ seien es, die einen zum Antisemiten stempeln (von sich
aus wäre man ja keiner), hat man schon gehört. Das Folgende
auch:

Wer wie die Juden die ganze Geschichte hindurch so viel zu
leiden hatte, müßte doch allen Grund haben, andere nicht lei¬
den zu lassen.

Jose Saramago erhebt aufgrund der Leiden, die den Juden
zugefügt worden sind, nicht so sehr Forderungen gegen die
Täter als gegen die Opfer. Sie sollen duldsam sein.

Saramagos Äußerungen stehen nicht vereinzelt da; weit ver¬
breitet ist die Gleichsetzung von „den Juden“ und Israel, ist ein
Verständnis für die „palästinensische Sache“, das auch noch
die Selbstmordattentate als „Verzweiflungstaten“ erklärt. Wir
jedenfalls protestieren als Zeitschrift für Literatur gegen die
Äußerungen des Literaturnobelpreisträgers.

Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser