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1.

Man wähnte sich an den Stammtisch eines ländlichen Kame¬
radschaftsbundes versetzt: Die Zitate in den Aussendungen
von FPÖ, ÖVP und SPÖ zum Kriegsgefangenenentschädi¬
gungsgesetz riefen Erinnerungen an die Gespräche der alten
Krieger im Dorfgasthaus wach. Wer am Stammtisch eine
Geschichte aus der russischen Gefangenschaft zum besten gab,
dem fiel gewöhnlich ein Kamerad ins Wort: „Die Franzosen,
die waren auch nicht viel besser und vom ersten Krieg redet so¬
wieso keiner mehr.“ Das aus der Kriegsniederlage entstande¬
ne „Unrecht“ war noch nicht abgegolten.

In den Aussendungen wurde also um weitere Entschädi¬
gungen für Kriegsgefangene aus der deutschen Wehrmacht ge¬
fochten. Karl Blecha beschwerte sich für die SPÖ über die
Ungerechtigkeit, daß im Gesetz aus dem Jahr 2000 bloß
Kriegsgefangene osteuropäischer Staaten, nicht aber der west¬
lichen Alliierten berücksichtigt seien, und forderte mit lautem
Trara eine Ausweitung, die von FPÖ und ÖVP ohnehin längst
vorgesehen war. Ansonsten fiel den Sozialdemokraten zu dem
Gesetz nichts ein (außer, daß auch der Erste Weltkrieg zu
berücksichtigen sei). Sozialminister Haupt, zuständig für das
Gesetz, konnte Ende Jänner 2002 schließlich Vollzug melden:
„56 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges erfahren endlich auch
die Gefangenen der Westalliierten Gerechtigkeit.“

Was ist schon gegen eine kleine Zusatzpension (zwischen
14,5 und 21,8 Euro monatlich) für die hochbetagten Männer zu
sagen? So unverfänglich das Gesetz daherkommt, so klar sind
bei näherer Betrachtung die vergangenheitspolitisch weitrei¬
chenden Implikationen der jüngsten schwarz-blauen ,,Errun¬
genschaft“. Nach der Novellierung des Gesetzes vor wenigen
Wochen läßt sich klar erkennen, welche Ausformungen das of¬
fizielle österreichische Gedächtnis unter der ÖVP-FPÖ-Koali¬
tion annimmt und welche Wendungen in der Vergangenheits¬
politik noch zu erwarten sind

2.

Als die Bundesregierung im Herbst 2000 das Kriegsgefange¬
nenentschädigungsgesetz (KGEG) beschloß, setzte sie die
Entschädigungspraxis der 2. Republik durchaus fort. ÖVP und
FPÖ hatten in ihrem Regierungspakt nicht nur Zahlungen an
Zwangs- und Sklavenarbeiter des NS-Regimes vereinbart, son¬
dern zugleich auch eine Zusatzpension für ehemalige Wehr¬
machtssoldaten, die nach der Niederlage des Dritten Reiches in
Gefangenschaft der Alliierten waren. In das Gesetz wurden
dann auch zivile Personen inkludiert, die während der Beset¬
zung Österreichs von einer alliierten Macht „aus politischen
oder militärischen Gründen“ in Österreich festgenommen und
in osteuropäischen Staaten angehalten wurden.'

Wie gewöhnlich in der Zweiten Republik ging also eine
Maßnahme zugunsten der Opfer des Nationalsozialismus Hand
in Hand mit einer zeitgleichen Maßnahme für Angehörige der
Täterseite. „Eine spiegelgleiche Lösung“ nannte das damals
Bundeskanzler Schüssel zufrieden. Ist das Schicksal von

Zwangsarbeitern, die nach Österreich verschleppt wurden,
wirklich „spiegelgleich“ mit dem von Wehrmachtssoldaten, die
im Zuge des Überfalls auf die osteuropäischen Staaten nach
der Niederlage gefangengenommen wurden? Mit einem eini¬
germaßen klaren Blick auf die historischen Tatsachen könnte
das wohl nicht behauptet werden. Was sich da vor allem spie¬
gelt, ist Schüssels Hang zu einer weiteren Variante der Opfer¬
these. Auch Wehrmachtssoldaten sollten sich in dieser Optik
als Opfer (wieder)erkennen können.

Das Schema des Abgleichens wiederholte sich nämlich vor
wenigen Wochen: Einerseits wurde im Parlament endlich das
Pflegegeld für NS-Opfer beschlossen, andererseits wurden alle
geografischen Einschränkungen aus dem KGEG gestrichen.
Anspruch haben neben den Kriegsgefangenen nun alle „öster¬
reichischen Staatsbürger, die im Verlauf des Zweiten Weltkrie¬
ges oder während der Zeit der Besetzung Österreichs durch die
Alliierten Mächte von einer ausländischen Macht aus politi¬
schen oder militärischen Gründen angehalten wurden (...).“?

„In den Genuß der Entschädigung“, so Sozialminister
Haupt, können damit sehr unterschiedliche Personengruppen
kommen. Vom einfachen Landser, der unfreiwillig in den
Krieg zog, über Wehrmachtsangehörige und SS-Männer, die
von einer alliierten Macht wegen Kriegsverbrechen oder an¬
derer Vergehen (soll es speziell im Vernichtungskrieg im Osten
gegeben haben) verurteilt und dann in Lagern festgehalten
wurden, bis hin zu internierten Volksdeutschen, die möglicher¬
weise mit den Nazis oder Faschisten kooperiert hatten. Aber
anspruchsberechtigt sind nun auch — und damit schlug die
Regierung gegenüber den letzten Jahrzehnten ein neues
Entschädigungskapitel auf — jene Funktionäre des National¬
sozialismus, die von den westlichen Alliierten in Österreich im
Rahmen der Entnazifizierung festgenommen und in den La¬
gern Glasenbach, Wolfsberg oder Schwaz angehalten wurden.
Rund 30.000 Österreicher hatten die Alliierten bis September
1946 verhaftet, um den Einfluß der Nazis im öffentlichen
Leben zu unterbinden. Im August 1947 übergaben die Briten
mit der Schließung des Lagers den österreichischen Behörden
rund 5.000 Internierte, etwas mehr als die Hälfte kam auf frei¬
en Fuß, der Rest mußte sich vor einem österreichischen Volks¬
gericht verantworten.

Im Gesetz gibt es daher natürlich eine Ausschlußklausel.
Welche vergangenheitspolitischen Kapriolen die Regierung
aber schlagen muß, um letztlich doch mehr oder weniger pau¬
schal entschädigen zu können, wird schon im Wortlaut des $
2 deutlich. Die Entschädigung soll demnach Personen ver¬
wehrt bleiben, „deren Verhalten in Wort oder Tat mit den
Gedanken und Zielen eines freien, demokratischen Österreich
unvereinbar war“. Nähme man den Ausschließungsgrund
ernst, bliebe ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehr¬
macht — abgesehen von Deserteuren — eine Entschädigung
wohl verwehrt, kämpften sie doch objektiv für Nazi-Deutsch¬
land, was per se im Widerspruch zu einem demokratischen
Österreich stand.