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Darum geht es aber ohnehin nicht, der Paragraph - im übrigen
dem Spätheimkehrergesetz aus dem Jahre 1958 entnommen —
kann getrost als Alibi bezeichnet werden. Das zeigt vor allem
die Art seiner Anwendung. Denn „umgesetzt“ wird der
Ausschließungsgrund über einige Fragen, die in den Antrags¬
formularen für die Entschädigung zu beantworten sind. Jeder
Antragsteller muß darin zunächst bestätigen, daß er „weder
durch ein Gericht der Republik Österreich, ein Gericht der vier
Alliierten Besatzungsmächte noch durch ein Gericht eines an¬
deren Staates im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen
oder der NS-Herrschaft — insbesondere weder nach dem
Kriegsverbrechergesetz noch nach dem Verbotsgesetz — rechts¬
kräftig verurteilt wurde“. Zu bestätigen ist außerdem, „daß
diesbezüglich auch keine bereits getilgten Verurteilungen er¬
folgten“. So weit so gut. Damit wäre durchaus jenes „diffe¬
renzierte“ Vorgehen gegeben gewesen, von dem Bundes¬
kanzler Schüssel noch im Oktober 2000 gesprochen hatte.

Letztlich ist davon nichts mehr übrig geblieben. Im Gegen¬
teil: Wer verurteilt worden ist, dem hilft die österreichische
Entnazifizierungspraxis in den 1940er und 1950er Jahren.
Denn im nächsten Punkt des Antrags wird der Antragsteller
höflich gefragt, ob er für eine eventuelle Verurteilung rehabi¬
litiert wurde.’ Und da wird selten einer Nein sagen müssen.
Denn als Folge der NS-Amnestie vom 14. März 1957 wurden
die Verurteilten der Volksgerichte in zahlreichen Fällen reha¬
bilitiert, was dann oft auch mit der Auszahlung von Haftent¬
schädigungen verbunden war.‘ Bereits 1955 waren die Volks¬
gerichte aufgelöst und die mehr als 4.700 noch anhängigen
Verfahren bis auf 46 Fälle eingestellt worden. Die westlichen
Alliierten hatten mit dem beginnenden Kalten Krieg schon
Ende der 1940er Jahre ihre Kriegsverbrecher-Programme be¬
endet, es folgten Amnestierungen vor allem durch die USA.
Nach den ambitionierten Anfängen hieß Entnazifizierung sehr
bald „Reinigung der Nazis von jedem Schuldvorwurf“, wie
Josef Haslinger dieses österreichische Phänomen einmal
nannte, das nach den kontroversen Debatten der letzten 20
Jahre nun fröhlich fortgesetzt wird.

Vor diesem Hintergrund können ehemalige Parteigenossen,
Nazi-Funktionäre, Mitglieder der SS-Mannschaften ebenso
wie verurteilte und rehabilitierte Kriegsverbrecher mit Ent¬
schädigungen rechnen. Darüber hinaus könnte sich ein Ernst
Lerch etwa, würde er noch leben, über die monatliche Zusatz¬
pension für seine kurzfristige Internierung durch die Briten im
Lager Wolfsberg freuen. Niemals für seine Beteiligung am
Massenmord an den Juden in Polen verurteilt, ja in den 1970er
Jahren trotz erdrückender Beweise in einem Prozeß freige¬
sprochen, würde der SS-Sturmbannführer und Mitarbeiter von
Odilo Globocnik die „Prüfung“ durch eine der Pensionsver¬
sicherungsanstalten glatt bestehen.

Berücksichtigt werden sollen — so das Sozialministerium —
aber auch Ausschließungen, die 1958 bei Entschädigungen für
Spätheimkehrer vorgenommen wurden. Das allerdings könnten
potentiell Betroffene eher als Hoffnung denn als Drohung auf¬
fassen. Ein Beispiel: Josef Waiszl, Mitglied des Sicherheitsdien¬
stes der SS und Mitarbeiter von Adolf Eichmann, war an der
„Judenaushebung“ in Wien, Prag, Paris und Lyon beteiligt und
wurde dafür in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt. Im
Jahre 1955 begnadigt, kehrte er nach Österreich zurück. Hier
machte Waiszl eine einschlägige Erfahrung: „Bei meiner Heim¬
kehr nach Österreich wurde mir von Seiten des Bundeskanzler¬
amtes mitgeteilt, daß ich unter die Bestimmungen der Spätheim¬
kehrer falle.‘“ Waiszl wurde prompt für seine Haft entschädigt.

Leicht möglich, daß sich aufgrund von Schüssels Optik und
der Haupt’schen Gerechtigkeit so mancher Zwangsarbeiter, so
manche Zwangsarbeiterin tatsächlich neben einem ihrer
Peiniger im Spiegel der Koalition wiederfinden könnte. Mit
der Novellierung des KGEG ist das sogar sehr wahrscheinlich
geworden.

3.
Nach ihrer politischen Rehabilitierung erfahren ehemalige
Nazis über die Eselsbrücke der Kriegsgefangenen nun neuer¬
lich staatliche Anerkennung — mit Genugtuung werden sie die
Zusatzpension entgegennehmen. Fiir die FPO ging jedenfalls
„ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung“, wie Ex-Sozialmini¬
sterin Sickl schon angesichts der ersten Fassung des Gesetzes
betont hatte. Ein Wunsch der in Glasenbach begann, in der
VdU Gestalt annahm, in der FPÖ wachsen konnte und mit der
Regierungsbeteiligung schließlich verwirklicht wurde: Die
volle Rehabilitierung ehemaliger Nationalsozialisten und des
nationalen Lagers im Gesamten, die neuerliche Stilisierung der
Wehrmachtssoldaten zu Opfern der Alliierten, die Gleich¬
setzung von Kriegsopfern und Opfern der nationalsozialisti¬
schen Verfolgung sowie die Nivellierung der Nazi-Barbarei auf
einen Aspekt unter vielen im „grausamen Völkerringen“ des 2.
Weltkrieges. Von „Tätern“, „Schuld“ und „Scham“ soll forthin
nicht mehr gesprochen werden können.

Freuen dürfen sich darüber die nationalen „Schriftleiter“:
Andreas Mölzer mokierte sich in seiner Wochenzeitung Zur