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Viele Artikel wurden in letzter Zeit über die Zeitung Israel
Nachrichten in deutschen Tageszeitungen und Zeitschriften er¬
schienen, und das verwundert nicht, denn es handelt sich um
ein Unikum. Die Israel Nachrichten sind die einzige und letz¬
te deutschsprachige Tageszeitung Israels und die einzige
deutschsprachige jüdische Tageszeitung der Welt. Sogar eine
Diplomarbeit wurde ihr gewidmet. Die im Institut für Jour¬
nalistik an der Universität Dortmund entstandene Arbeit von
Miriam Schuler trägt den Titel Die Brücke zur Wirklichkeit —
Von der Privaten Correspondenz bis zu den Israel Nachrichten
— eine deutschsprachige Tageszeitung in Palästina und Israel.
Einige von Frau Schuler erarbeitete Informationen wurden
auch in diesen Ausführungen verwendet.

Die Gründung der Israel Nachrichten beziehungsweise ih¬
rer direkten Vorgänger unter verschiedenen Namen ist aufeine
bittere Notwendigkeit zurückzuführen. Sie wurden Sprachrohr
und Informationsorgane der vom Nationalsozialismus ver¬
folgten Juden Mitteleuropas, die in den 30er Jahren in das da¬
malige Mandatsland Palästina, heute Israel, kamen.

Obwohl sich unter den damaligen Einwanderern nicht we¬
nige in ihrer einstigen Heimat bekannte Journalisten befanden,
war es keineswegs von vornherein ihre gezielte Absicht, hier
ein deutschsprachiges Blatt zu gründen. Viele setzten dann
auch ihre journalistische Laufbahn entweder in hebräischen
Blättern oder in der Palestine Post (heute Jerusalem Post) fort,
in der es zeitweise viele aus dem deutschsprachigen Sprach¬
gebiet stammende Mitarbeiter gab. Die altansässigen hebräi¬
schen Blätter wie auch das englischsprachige Blatt übertrafen
damals die deutschsprachigen Publikationen an Renommee
und hatten auch mehr Mittel, außerdem war die öffentliche
Meinung der jüdischen Bevölkerung mehrheitlich auf ihrer
Seite, während die deutschsprachigen Organe den anfängli¬
chen Charakter der „Nothilfe“ hatten. Die ersten waren über¬
haupt nur hektographierte Blätter mit kurzen, zusammen¬
fassenden Übersetzungen aus der hebräischen Tagespresse.

Die ersten hebräischen Monatsschriften waren 1863 ge¬
gründet worden, 1908 erschien die erste hebräische Tages¬
zeitung. Es entwickelte sich eine blühende Presselandschaft,
wobei zu betonen ist, daß auch das bis heute angesehendste he¬
bräische Meinungsblatt, Haaretz, von einem Einwanderer und
bekannten Verleger aus Deutschland, Gershom Schocken, ge¬
gründet und geleitet wurde. Neben der Gewerkschaftszeitung
Davar, die zeitweise später auch eine deutschsprachige
Chefredakteurin (Hanna Zemer aus Bratislava) hatte, und der
englischsprachigen Palestine Post wurde eine hebräische
Abendzeitung, das auflagenstärkste Blatt Jedioth Achronoth,
gegründet und anfangs von Dr. Esriel Carlebach aus einer
berühmten Haburger Rabbinerfamilie redigiert.

In dieser breit gefächerten Presselandschaft wollte das jü¬
dische Establishment keine anderssprachigen Zeitungen dul¬
den, schon um die hebräische Sprache zu fördern, deren Pflege
zum zionistischen Programm gehörte. Das war und ist ver¬
ständlich angesichts einer allmählichen Einwanderung aus 171
Ländern mit mehr als 70 verschiedenen Sprachen. Heute hat

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sich aber längst die Erkenntnis durchgesetzt, daß man beson¬
ders großen sprachlich homogenen Einwanderergruppen (wie
derzeit z.B. den Russen) eine eigene Presse zugestehen muß.
In den dreißiger Jahren konnte sich diese notgedrungene Tole¬
ranz noch nicht behaupten.

Bald nach Beginn der starken Einwanderung aus Deutsch¬
land nach 1933 ergab sich aber die Notwendigkeit der Veröf¬
fentlichung deutschsprachiger Informationsblätter, obwohl die
Widerstände anderer Gruppen der damals hier ansässigen
Juden nicht gering waren. Aus Deutschland, Österreich und der
Tschechoslowakei wanderten in den Jahren 1933 bis 1945
etwa 90.000 deutschsprachige Juden ein, davon 70 bis 80 Pro¬
zent bis 1939, und sie hatten große Sprachschwierigkeiten zu
überwinden. Für sie erwies sich ein leicht verständliches Nach¬
richtenorgan als unverzichtbar.

Die vorherigen Einwanderungswellen - die Erste bis Vierte
Alija — kamen vorwiegend aus Osteuropa. Die sogenannte
„Fünfte Alija“ aus Mitteleuropa bestand zum Großteil aus
Flüchtlingen, „der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe“.
(„Kommen Sie aus Deutschland oder aus Überzeugung?“ hieß
es). Sie erlebten einen Kulturschock, der übrigens auch den be¬
reits angesiedelten „Ostjuden“ angesichts des Zusammen¬
treffens mit den „anders gearteten“ Neuankömmlingen und
ihrer Mentalität nicht erspart blieb.

Die vorherigen Einwanderer aus Osteuropa stammten
meist aus großen und oft armen Familien des „Schtetl“, sie wa¬
ren Rebellen gegen die Lebensform der oft frommen Eltern ge¬
wesen und erstrebten eine soziale Umgliederung ihres Volkes.
Sogar jene, die aus intellektuellen Kreisen stammten, wünsch¬
ten die „Umkehrung der auf dem Kopf stehenden Pyramide“
des Volkes mit einer breiteren Basis von Landwirten und
Arbeitern und einer geringeren „Spitze“ von Intellektuellen
und Akademikern, während die Juden in der Diaspora die als
negativ empfundene „Kopflastigkeit‘“ bewirkt hätten.

Die aus Mitteleuropa einwandernden deutschsprachigen
Juden gehörten meist zum Mittelstand, es gab eine proportio¬
nell hohe Zahl von Akademikern. Die meisten waren zur
„Umschulung“ bereit und übernahmen - notgedrungen, aber
tapfer — jede Arbeit, die sich ihnen anbot. Jedoch zogen sie das
Leben in der Stadt dem Landleben vor, nur wenige waren be¬
reit, das entbehrungsreiche Dasein der „Chaluzim“ (Pioniere)
im Kibbutz auf sich zu nehmen. Die meisten tendierten, sobald
es ging, wieder zu einem mittelständischen Beruf. Vor allem
aber hielten sie an mitgebrachten Werten und Kulturvor¬
stellungen fest. Die „Jeckes“ wollten auf gewisse Sitten und
Gebräuche nicht verzichten. Dazu gehörte auch die Lektüre ei¬
ner Tageszeitung.

Die „Jeckes“ galten in der Volksvorstellung der bereits
Ansässigen als pedantisch, kleinkariert, ja begriffsstutzig, und
waren eine beliebte Zielscheibe für Witze. Später errangen sie
mit den ihnen zugeschriebenen „typisch deutschen“ Eigen¬
schaften wie Pünktlichkeit, Sauberkeit, Disziplin, Fleiß und
Gewissenhaftigkeit die allgemeine Anerkennung; aber die an¬
fängliche Ablehnung dürfte auch mit dazu beigetragen haben,