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daß sehr vielen die Erlernung des Hebräischen besonders
schwer fiel. Ein psychologisch hemmendes Moment ist nicht
auszuschließen.

Die notorischen Schwierigkeiten mit dieser Sprache waren
auch bei anderen Volksgruppen, die in ihrer ehemaligen
Heimat als assimiliert gelten konnten, bedeutend, wie viel spä¬
ter auch bei den Einwanderern aus den GUS-Staaten. Die
großen Gruppen aus den arabischen Ländern waren viel mehr
bibel- und synagogenverbunden und brachten daher Grund¬
kenntnisse des Hebräischen, vor allem der hebräischen Schrift
mit, die den deutschen Juden zum Großteil völlig fehlten.
Daher entwickelte sich nie eine arabisch-jüdische Presse im
Lande und auch französischsprachige Zeitungen hatten nur
eine kurze Lebensdauer. Die jüngeren dieser Einwanderer he¬
bräisierten sich schnell, die alten waren meist nie Zeitungsleser
gewesen.

Jene deutschen Juden, die einen religiösen Hintergrund hat¬
ten, wie die oben angeführten Familien Schocken und Carle¬
bach, oder der später jahrelang als Minister tätige Dr. Josef
Burg aus Dresden, hatten keine Sprachschwierigkeiten. Sie
brachten ausgezeichnete Hebräischkenntnisse mit und kamen
daher als Leser einer deutschsprachigen Tagespresse nicht in
Frage.

Ganz anders verhielt es sich aber bei einem Großteil der an¬
deren „Jeckes“. Einerseits fehlte es ihnen objektiv an Zeit und
Kraft zum Hebräischlernen. Sie mußten eine materielle
Existenz gründen, oft einen neuen Beruf erlernen oder einer
schlecht bezahlten anstrengenden körperlichen Tätigkeit nach¬
gehen, die einen neun- bis zehnstündigen Arbeitstag mit sich
brachte. Da waren sie dann am Abend „zu müde“, das
Hebräische „ging ihnen nicht in den Kopf hinein“, oder sie
mußten gar noch nachts im Rahmen der „Hagana“, der unter
den Briten illegalen jüdischen Selbstverteidigungsorganisation,
wegen möglicher Überfälle Wachdienst leisten. Zwar wurden
im Rahmen ihrer eigenen Hilfsorganisation „Hitachdut Olej
Germania“, später „Hitachdut Olej Germania we Austria“
(Vereinigung der Einwanderer aus Deutschland und Öster¬
reich) Sprachkurse angeboten, aber deren Erfolge waren ge¬
ring. Ein Witzwort besagte, die Jeckes würden so lange
hebräisch lernen, bis sie in der Lage seien, die (englischspra¬
chige) Palestine Post zu lesen.

Die Kinder aus jeckischen Familien hatten nach einer meist
schweren Anlaufzeit in der hebräischen Schule keine sprach¬
lichen Integrationsprobleme mehr. Für Menschen im mittleren
Alter hingegen ist es überhaupt schwer, eine neue Sprache zu
erlernen. Hinzu kam hier zweifellos die oben angedeutete psy¬
chologische Blockierung, eine Art Haßliebe zu der bisher ge¬
sprochenen Sprache, die zwar inzwischen (1933-1945) die des
Feindes geworden war, in der man aber dachte, zählte, träum¬
te und assoziierte.

Da die Neueinwanderer dazu tendierten, sich geschlossen in
gewissen Stadtvierteln niederzulassen, die ja zum Teil über¬
haupt erst nach ihrer Ankunft gebaut wurden, um der steigen¬
den Nachfrage nach Wohnungen gerecht zu werden, entstanden
richtige „Sprachinseln“. Hier bestand keine absolute
Notwendigkeit, hebräisch zu sprechen. Man konnte sich auf der
Straße, in den Geschäften, in Gastlokalen deutsch verständigen.
Während man außerhalb, zum Beispiel im Bus, mit lautem
Deutsch damals feindselige Reaktionen auslösen konnte, fiel
das im eigenen Viertel („Kanton Iwrit‘ — kein Ton Iwrit) weg.
Zudem waren viele „Jeckes“ Perfektionisten, sie zogen es vor,
gut deutsch als schlecht hebräisch zu sprechen. Das alles för¬

derte nicht gerade die
Möglichkeit, die Ta¬
gesereignisse in ei¬
nem gut verstandenen
Hebräisch gedruckt zu
verfolgen.

Anfangs lasen die
Einwanderer aus
Deutschland noch im¬
portierte deutschjüdi¬
sche Zeitungen wie |
die Jüdische Rund¬
schau (Berlin), deren |
Verbreitung in Palä¬
stina vor ihrer Ein¬
stellung auf 6.000
bis 7.000 Exemplare geschätzt wurde. Viele deutsche Ein¬
wanderer waren auf das Pariser Tageblatt abonniert, mit ei¬
ner Verbreitung von bis zu 1.200 Exemplaren in Palästina.
Diese Zeitungen kamen aber — natürlich per Schiffspost —
mit mehrtägiger Verspätung an. Und so begannen trotz der
Anfeindungen deutschsprachige Informationsblätter zu er¬
scheinen.

Ab 1932 erschien das Mitteilungsblatt (MB)der „Hitachdut
Olej Germania“ als zweiseitiges hektografiertes Blatt zuerst
dreimal, ab November 1933, bereits in gedruckter Form, ein¬
mal im Monat, dann alle zwei Wochen. Ab Dezember 1939
kam es wöchentlich heraus. Es erscheint bis heute einmal im
Monat bis alle sechs Wochen. Es wurde und wird nicht im
Straßenhandel verkauft, sondern nur an die Verbandsmitglieder
verschickt. Vielleicht wegen der betont zionistischen Einstel¬
lung der Herausgeber wurde es von Anfang an geduldet, ent¬
hielt auch als ausgesprochenes Informationsorgan sehr viele
Mitteilungen über Arbeits- und Wohnungsbeschaffung, wirt¬
schaftliche und gesellschaftliche Fragen, über die hygienischen
Verhältnisse in Palästina u.a.m. Heute wird es in einer Auflage
von 4.000 Exemplaren verschickt, enthält meist einen politi¬
schen Leitartikel, einen Kultur- und Wirtschaftsteil und ist zu
mehr als einem Drittel des Inhalts bereits hebräisch „für die 2.
und 3. Generation“.

Ein Kapitel für sich war das Wochenblatt Orient, herausge¬
geben von Wolfgang Yourgrau, ausgebildeter Physiker und ge¬
legentlicher Mitarbeiter der Weltbühne. Ein wesentlicher
Spiritus rector und Mitarbeiter des Blattes mit dem Untertitel
„Unabhängige Wochenschrift/Zeitfragen/Kultur/Wirtschaft“
war der Schriftsteller Arnold Zweig. Wegen verschiedener
Überfälle und Drohungen hatte das Blatt mehrmals die
Druckerei gewechselt. Höhepunkt des Widerstands und das
Ende der Zeitung war ein Brandanschlag auf eine Druckerei in
Jerusalem im Februar 1943. Am 7. April 1943 gab Yourgrau
den Orient — in hektografierter Form — das letzte Mal heraus.
Zu betonen ist aber, daß der Widerstand nicht nur sprachliche
Gründe hatte. Das „antifaschistische Blatt“ war rabiat antizio¬
nistisch, was vielen der prospektiven Leser mitten im Krieg ge¬
gen die Nazis untragbar erschien. Die Bildungsbürger aus
Deutschland waren seit jeher liberal, antiradikal, gesetzestreu
und gemäßigt gewesen und lehnten das „Radaublatt“ ab. Cafes
stellten das Abonnement ein, Ärzte legten es nicht mehr ins
Wartezimmer. Die Auflage „erreichte niemals die Zahl Tau¬
send“.

Ab 1. März 1935 erschien der Orient-Expreß als „deutsche
Beilage‘ der in Beirut herausgegebenen französischsprachigen

Alice Schwarz-Gardos. Foto: Edwin Roth

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