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Ihr Leben ist schal und leer,

ein Nichts, ein Hauch.
Manchmal schrecken sie auf,
gedrückt vom Alb der Nacht.

So liegen sie da, zu Hauf.

Was hat man aus ihnen gemacht.

Im November 1940 konnte Adolf Unger endlich nach sieben
Monaten Sorge und verzweifelten Nachforschungen seine Frau
und Tochter im Lager Argeles sur mer ausfindig machen. In ei¬
nem Bittbrief vom 29. November 1940 aus dem Lager Gurs, wo
er als Sanitäter arbeitete, an den Polizeiprafekten von Pyrénées¬
Orientales ersuchte er um Verlegung ins Lager seiner Angehö¬
rigen, denn „es wäre viel einfacher für uns, unsere Emigration
vorzubereiten, wenn wir gemeinsam im Lager sein könnten.“
Die Häscher des Dritten Reiches waren schneller. Unger gelang
es zwar noch, Briefe über die Zustände in den Lagern an seinen
Bruder Max in die Schweiz zu senden. So berichtete er etwa am
20. August 1942 aus dem Lager Mont Louis:

Lieber Max! Man spürte das Unheil kommen. Dann war es
da. Wie die Hasen jagte man die Unglücklichen zusammen.
Geld, Gold, Schmuckstücke, Ehering, Bagage wurden abge¬
nommen. Vieles wurde gestohlen. Verschwand spurlos. Es war
so ein richtiger Jom Kippur. Angst und Schrecken herrschte im
Lager. Man riß Familien auseinander ...

Die Familie Unger wurde am 2. September 1942 in das
Lager Rivesaltes überstellt. Zwei Tage später erfolgte die De¬
portation von Adolf und Sobel Unger. Auf der Eisenbahnfahrt
nach Drancy verfaßt er sein letztes Schreiben, ein Dokument
des Schreckens:

Lieber Max! Ich schreibe während der Fahrt. Viehwaggon.
25 Personen mit Gepäck, Ziel unbekannt ... Vom Kind ein Ab¬
schied mit Tränen. Ich muß das Weinen unterdrücken, wenn ich
an es denke. Jetzt kommt das Schwerste. Ich weiß, es ist eine
Fahrt in den halben Tod und ins ganze Elend. Den Eltern
schreibe du. Bei jeder Gelegenheit schreibe ich dir. Wenn nicht
direkt, durchs Rote Kreuz. Viel liegt mir am Herzen, aber ich
kann nicht ... Halte dich aufrecht! Ein Gruß an alle noch. Dir
ein Lebewohl.

Am 5. September 1942 wurde die Tochter Hanna von der im
Lager Rivesaltes tagenden Kommission von einem Transport
nach Drancy ausgenommen und in eine Kinderkolonie über¬
stellt. Sie überlebte. Am 11. September 1942 ging der Tran¬
sport Nr. 31 von Drancy nach Auschwitz-Birkenau ab. Zwei
Tage später kam der Transport in Auschwitz an. Trocken ver¬
merkt das Kalendarium von Auschwitz:

13. 9. RSHA-Transport aus dem Lager Drancy, 1.035 Juden.
Nach der Selektion lieferte man 2 Männer als Häftlinge ins
Lager ein, sie bekamen die Nr. 63529 und 63530. Sowie 78
Frauen, sie bekamen die Nr. 19530-19607. Die restlichen 955
Personen wurden vergast.

Adolf und Sobel Unger waren unter diesen 955 Personen.

Nach der Befreiung von der nazistischen Barbarei bemüh¬
ten sich Max und Bernhard mit seiner Familie das Andenken
an ihren ermordeten Bruder nicht erlöschen zu lassen. So ver¬
öffentlichte die Zeitschrift „Lettres“ in Genf, sicher durch Max
Unger angeregt, bereits 1945 die Gedichte „‚Gurs“ und „Zorni¬
ges Lied“ in deutscher Sprache und französischer Übersetzung.
Max Unger legte auch eine Sammlung von Gedichten seines
Bruders aus den Jahren 1941 und 1942 an und stand im Brief¬
verkehr mit Freunden des Bruders. So schrieb ihm am 12. No¬
vember 1955 Josef Luitpold Stern, der von Alfred Werner als

Entdecker von Adolf Ungers literarischem Talent bezeichnet
wurde, unter anderem:

Eine schöne und ergreifende Mitteilung: Es ist soeben im
Amandus-Verlag, Wien, eine Anthologie im Umfange von nicht
weniger als 400 Seiten erschienen: Dein Herz ist deine Heimat.
Herausgegeben von Rudolf Felmayer. Darinnen sind alle be¬
deutenden österreichischen Dichter in der Zeit des Faschismus
vertreten. Darunter auch unser Adolf Unger mit 4 Gedichten
(Bekenntnis, Der Song von uns, Arbeiterdichtung, Mensch
ohne Arbeit) ... Damit ist das Andenken Ihres Bruders sicher¬
lich gerettet.

Sein in Israel lebender Bruder Bernhard brachte gemeinsam
mit seiner Frau Pepi und seinen Töchtern Batja und Esther
1986 eine ansprechend illustrierte Gedenkschrift für seinen
Bruder Adolf in Hebräisch heraus.

Seit 21. Oktober 1969 erinnert in einer großen Wiener kom¬
munalen Wohnhausanlage im 10. Bezirk eine Adolf Unger¬
Gasse an diesen ermordeten österreichischen Schriftsteller. Am
19. März 1997 wurde eine von der Theodor Kramer Ge¬
sellschaft gestiftete Gedenktafel im Beisein seiner Tochter
Hanna und ihrer Cousinen Batja und Esther auf dem Ge¬
burtshaus Adolf Ungers in der Leopoldstadt, Springergasse 4,
enthüllt. In ihren Dankesworten kam Batja Golan auf die nach
wie vor wichtige Erinnerungsarbeit zu sprechen:

In unseren Herzen wird Adolf immer als junger, liebender
Papa und Onkel weiter leben. Wir und die kommenden Gene¬
rationen wollen den Holocaust und die Millionen unschuldiger
Opfer nicht vergessen. Ich danke Ihnen allen innigst im Namen
meiner Cousine, der Tochter Adolfs, Frau Hanna Planat und
der Familie Unger.

Literatur

Herbert Exenberger: Adolf Unger (1904-1942). Ein jüdischer Arbei¬
terschriftsteller aus Wien. In: Archiv 1985. Jahrbuch des Vereins für
Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien 1985, 54-65.

H. Exenberger: Eine Gedenktafel für Adolf Unger. In: MdZ Nr. 4/
1996, 3-6.

H. Exenberger: Als stünd’ die Welt in Flammen. Eine Anthologie er¬
mordeter sozialistischer SchriftstellerInnen. Wien: Mandelbaum 2000.
Erich Hackl: Leider zu spät? In: MdZ Nr. 1/1997, 3f.

Alfred Werner: Dichter ohne Sprache. In: Österreichisches Tagebuch,
Nr. 32, 23. August 1947, 11f.

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