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hat sich nämlich die politische Landschaft ziemlich verändert.
Die demonstrierenden Arbeiter kamen zu Fuß von Stadlau über
die Reichsbrücke herüber, und Nazi-Schiffe führten von der
Lände aus Propagandafahrten in die Wachau durch, weil in der
Wachau besonders viele Nazis waren. Und dann...

Dann hieß die Lassallestraße auf einmal Reichsbrücken¬
straße und der Volkswehrplatz wieder Erzherzog Karl-Platz.

Einmal bin ich von der Arbeit nach Hause gekommen. Da
hab ich gesehen, wie vor der Jubiläums-Kirche irgendwelche
Leute den Juden ganz komische Turnübungen befohlen haben.
Schon mehr Verrenkungen als Turnübungen. Dann haben sie
irgendwelche Schmiererein wegputzen müssen.

Meine Schwester, sie war eine Krankenschwester, hat dann
einen polnischen Juden geheiratet, den Doktor Karpel. Der
war Lungenfacharzt auf der Baumgartner Höh. Er ist nicht erst
in den Dreißigerjahren nach Österreich, er muß schon länger
da gewesen sein, weil er schon in Österreich beim Militär war.
Nach 1938 wollte er erst mit meiner Schwester nach Amerika
flüchten, da haben die beiden kein Visum bekommen. Also sind
sie mit dem Schiff nach Shanghai. Dort hat er eine Ordination
aufgemacht, wahrscheinlich hat man dort Ärzte wie ihn
benötigt. Wir haben sogar Postkontakt mit ihnen gehabt, über
Mittelsmänner, aber meiner Frau wäre das beinahe zum Ver¬
hängnis geworden, weil sie mit ihrer Schwester verwechselt
worden ist.

Nach 1945 sind die beiden wieder nach Wien zurückgekehrt,
und der Doktor Karpel, also mein Schwager, war in Felbring
als Lungenfacharzt. Ich hab ihm dann meinen Garten über¬
lassen, weil er nebenbei ein ausgezeichneter Gärtner war. Jetzt
liegt er auf dem Kagraner Friedhof.

Der Kellner schaut dienstbeflissen vor¬
bei. Herr Kugler erklärt, daß das Essen
schon kalt und das Schweinerne außerdem
viel zu hart sei. Der Kellner serviert seuf¬
zend ab. Herr Kugler ruft ihm noch nach,
daß er das aber nicht in der Küche ausrich¬
ten soll.

Wir Instrumentenbauer sind ja zusam¬
men mit den Philharmonikern — so etwas
wie Staatsbetriebe — der Partei beigetreten.
Im Krieg war ich bei den Landschiitzen.

in Mexikoplatz umgenannt. Mexiko war eines der weniger
Länder, das gegen den Einmarsch der Hitler-Truppen in Oster¬
reich und die daraus resultierende Annexion protestiert hatte.
Auf einem Gedenkstein im Park steht fälschlicherweise,
Mexiko sei das einzige Land gewesen.

Bei Hofmann und Cerny habe ich endlich die Meister¬
prüfung abgelegt, ich bin dann wieder zum Stübinger und habe
dort Geigen gebaut. Dort bin ich bis zur Pension geblieben. Ich
habe aber dann privat weitergebaut. Zu Hause in meiner
Küche. Zweihunderttausend Schilling war damals der Preis für
eine Geige, man hat eben den Namen mitbezahlı.

In der Zwischenzeit wurde der Mexikoplatz umgestaltet.
Freilich, die Kirche, die ist stehen geblieben, ebenso der
Brückenwirt und auch das Blumengeschäft.

Auf dem Mexikoplatz sammelten sich in den Siebziger¬
jahren die polnischen Flüchtlinge, die im Zuge des relativen
Wirtschaftsaufschwunges ihre Textilien im Westen verkauften.
Abgelöst wurden sie von den Zonenashvilis, Davidashvilis,
Tzachvashvilis, also von den Georgiern, den Schwilis, wie sie
kurz genannt wurden. Etwas später kamen die russischen
Juden dazu, und nun konnte man praktisch alle Ost-Wäh¬
rungen auf dem Wiener Mexikoplatz erwerben.

Zahlen! ruft Herr Kugler. Dann greift er zum Gehstock und
verläßt das Brückenbeisl. Auf dem Mexikoplatz geht es recht
ruhig zu. Ein paar Buben spielen Fußball vor der Kirche. Auf
den Bankerln sitzen zwei Mütter mit ihren Kindern. Herr
Kugler kann hier unbesorgt nach Hause gehen.

Erst haben wir im Osten gekämpft, bis nach
Leningrad sind wir gekommen, nach Narva,
nach Tallin. 1944 bin ich durch eine Schrap¬
nellkugel verwundet worden. Dann das La¬
zarett in Karlsbad, und mit der Genesungs¬
kompanie ab an die Westfront.

Nach dem Krieg habe ich als Minderbe¬
lasteter erst nicht beim Stübinger arbeiten
dürfen. Da habe ich bei den Russen Erd¬
äpfel klauben müssen. Dann bin ich bei ei¬
nem Klavierbauer untergekommen, bei
Hoffmann und Cerny. Der war in der Lin¬
zerstraße 180, gibt es heute nicht mehr. Vor
dem Krieg hat die Klavierfabrik einem
Juden gehört, und jetzt wurde ein Kom¬
munist eingesetzt als Leiter, weil es ihnen
gelungen ist, die Fabrik als deutsches
Eigentum einzustufen. Der hat mich ge¬
nommen, obwohl ich minderbelastet war.

In der Zwischenzeit heißt die Lasalle¬
straße wieder Lassallestraße, der Platz wird

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