1924 übersiedelte Rheinhardt nach Livorno und begann mit
den Recherchen für eine Biographie über die von ihm verehr¬
te Schauspielerin und Geliebte Gabriele d’Annunzios Eleonora
Duse. „Das Leben der Eleonora Duse“, 1928 bei S. Fischer er¬
schienen, wurde sein erfolgreichstes Buch; er schrieb es 1926/
27 in Rom. Es wurde in der Folge ins Italienische, Englische,
Französische und Portugiesische übersetzt und angeblich auch
von Mussolini geschätzt. Im Nachwort sprach Rheinhardt „be¬
sonderen Dank an Baronin Erica Behr“ aus. Sie war seine
Sekretärin, eine Exilbaltin, die später — während seines Ge¬
fängnisaufenthaltes — eine so große Rolle fiir ihn spielen soll¬
te. Sie war an Tuberkulose erkrankt in Rheinhardts Haus
gekommen und von ihm gesund gepflegt worden. „Seit der
Zeit war sie ihm ergeben“, erinnert sich Gerty Felice Wolmut,
„wie selten eine Frau ergeben ist, sie ging für ihn durch Feuer
und Wasser.‘
Mit seiner Lebensgefährtin, der Engländerin Theodora
Meeres, und Erica de Behr übersiedelte er 1928 nach Le
Lavandou, einem Ort zwischen Marseille und Nizza. Nach
Wien kehrte er nur noch für kurze Besuche zurück und logier¬
te jeweils im Graben-Hotel in der Dorotheergasse.
In der Abgeschiedenheit von Le Lavandou fand Rheinhardt
wieder zu eigener Produktivität zurück. Er wandte sich von der
Lyrik ab und — wie die heute ungleich bekannteren Autoren
Franz Werfel, Stefan Zweig, Lion Feuchtwanger oder Heinrich
Mann — dem biographischen und historischen Roman zu, was
dem Geist der Zeit entsprach.
1930 erschien ,,Napoleon III. und Eugenie. Tragikomdédie
eines Kaisertums“, 1932 „Josephine. Eine Lebensgeschichte“
(über die erste Ehefrau Napoleons, Josephine Beauharnais)
und 1935 „Der große Herbst Heinrichs IV“. Diese Romane
konnten zwar nicht an den großen Erfolg der „Duse“ anschlie¬
Ben, waren aber am Buchmarkt durchaus erfolgreich, wie auch
die Übernahme von „Der große Herbst Heinrichs IV.“ in die
Büchergilde Gutenberg?' zeigt.
Rheinhardts Haus in Le Lavandou wurde ab 1933 zunehmend
Treffpunkt und Zufluchtsstätte für Emigranten aus dem natio¬
nalsozialistischen Deutschland. So fand etwa der Schriftsteller
und Spanienkämpfer Bodo Uhse Unterschlupf; Golo Mann,
Alfred Kantorowicz und andere waren bei ihm zu Gast.
Letzerer war allerdings von Rheinhardts politischer Ein¬
stellung wenig angetan. „Der konservative Rheinhardt war
kein Gesprächspartener zur Klärung der uns bedrängenden
Fragen“, schrieb er in seinen Erinnerungen an das französische
Exil. Und nachdem Rheinhardt einen leichten Schlaganfall er¬
litten hatte, urteilte Kantorowicz: „Er war verbittert, sein la¬
tenter Antikommunismus, den er vordem [...] mich nicht hatte
spüren lassen, trat nun ausgeprägter hervor und schreckte uns
ab.‘“”?
Der sogenannte „Anschluß“ Österreichs an das nationalso¬
zialistische Deutschland traf Rheinhardt schwer, wie aus einem
Brief vom 22. März 1938 an seine Exfrau Gerty Felice Wolmut
hervorgeht: „Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie von Herzen
froh ich bin, daß ihr aus der Hölle heraus seid. Daß es schwer
gewesen sein muß, sich von dem alten Lande, das ja doch die
Heimat war und bleibt, loszureißen, weiß ich aus eigener
schmerzlicher Erfahrung. [...] so bange ich um so manchen mir
lieben Menschen, dem dieser Diebstahl Österreichs eben nicht
als eine hohe nationale Tat erscheinen mochte. Von mir selber
kann ich nur sagen, daß ich in diesen Wochen um zehn Jahre
älter geworden bin und daß man mir es auch ansieht. Es wird
schwer sein, wieder genug Positives in sich zusammenzukrat¬
zen, um wieder die Arbeit anzufangen, mit der ich vor dem 12.
Februar [ein Schreibfehler, gemeint ist der 12. März 1938] be¬
schaftigt war.“ Tatsächlich erschien bis zu seinem Tod kein
neues Buch mehr.
Aufgrund des Schocks, den die Auslöschung Österreichs bei
Rheinhardt auslöste, beschloß er, der bereits seit zehn Jahren
in Frankreich lebte, die französische Staatsbürgerschaft zu be¬
antragen. Sein Ansuchen wurde jedoch von der französischen
Bürokratie abgelehnt, wohl auch deswegen, weil das offiziel¬
le Frankreich im Gegensatz zu Großbritannien und den USA
keinerlei Bemühungen unternahm, die vor den National¬
sozialisten geflohenen Menschen zu integrieren.
Rheinhardt, den man wohl am ehesten als liberalen In¬
tellektuellen bezeichnen kann, versuchte nun über alle politi¬
sche Lager hinweg eine antifaschistische Organisation
aufzubauen, die sich für die Eigenständigkeit Österreichs ein¬
setzte. Erstaunlich daran ist, daß sich der seit 1920 nicht mehr
in Österreich lebende Autor dabei so für dieses Land einsetz¬
te. Er publizierte in politisch so gegensätzlichen Exilzeit¬
schriften wie der traditionsverbundenen „Österreichischen
Post“ und den vom Kommunisten Erwin Zucker-Schilling re¬
digierten „Nouvelles d’Autriche (Österreichische Nachrich¬
ten)“, die zweisprachig erschienen. In der „Österreichischen
Post“ erschien etwa in der Ausgabe vom 1. Juni 1939 die kur¬
ze Erzählung „Anekdote‘”*, in den „Nouvelles d’Autriche“ im
April 1939 ein Artikel über Franz Grillparzer, der den anti¬
deutschen Zitaten des „größten Dramatikers Österreichs“ brei¬
ten Raum gab”. Ebenfalls in den „Nouvelles d’Autriche“
veröffentlichte er im Juni 1939 einen Essay mit dem Titel
„Frankreich und Österreich. Anmerkungen über kulturelle
Gemeinsamkeiten“.