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chen. Das stimmt nicht ganz. Bevor der Kriminalist beginnt, den
Täter zu suchen, muß er sich überzeugen, ob das, was gesche¬
hen ist, auch wirklich geschehen ist.“ Der Zweifel, nicht die
Gewißheit, ist Landauers Antrieb. Ist er aber zur Gewißheit vor¬
gedrungen, dann verteidigt er sie gegen ideologische Einwände
und gegen persönliche Erinnerungen. Er unterschlägt nicht die
kleinen Vergehen und die großen Verbrechen, die während der
Jahre in Spanien und danach im Namen des Antifaschismus be¬
gangen wurden. Ihn ärgern heute noch die oft verächtlichen,
meist verfehlten Charakterbeschreibungen ehemaliger Spanien¬
kämpfer, die sogenannten caracteristicas, die in Moskau von
einem Funktionär der KPD angefertigt worden sind. Für ihren
Verfasser, den nachmaligen Stasi-Generalmajor Gustav Szinda,
hat er den Begriff des Oberverdachtschöpfers geprägt.

Mit Verdachtschöpfern und Skeptikern mußte er sich auch
während seiner Arbeit herumschlagen. Manche haben ihm sei¬
ne Unduldsamkeit angekreidet, die mir nicht fremd ist: Man in¬
fiziert sich unweigerlich mit ihr, wenn man, tief in eine Sache
verstrickt und darin kompetent geworden, sich plötzlich mit
Dingen auseinandersetzen soll, die man längst hinter sich ge¬
lassen hat. Demut und Hingabe sind schwer zu vereinen.

Das Buch sollte eigentlich nur ein Katalog werden, ein Na¬
mensregister, mit dessen Hilfe sich die Schätze in Landauers
Archiv leichter bergen lassen. In den vergangenen neun Monaten,
in denen ich Hans zur Hand gehen durfte — halb Sklaventreiber,
halb Sklave, aber immer gut gelaunt und aufs beste unterhal¬
ten -, ist es zu diesem Lexikon geworden, das auch als eigen¬
ständiges Werk bestehen kann. Es ist aus mehreren Gründen be¬
merkenswert. Erstens, weil mit ihm das bisher umfassendste
Handbuch über ein nationales Kontingent von Spanienkämpfern
vorliegt. Zweitens, weil in ihm die Lebenswege von Frauen und
Männern aufgehoben sind, die zum größten Teil nirgendwo sonst
vorkommen - an Lexika verdienter Persönlichkeiten, Wissen¬
schaftlerinnen, Philosophen, Künstlerinnen, Schriftstellern

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usw. besteht ja kein Mangel. Gut neunzig Prozent der öster¬
reichischen Spanienkämpfer stammen jedoch aus einfachen
Verhältnissen, viele von ihnen sind als Proletarier gefallen oder
umgekommen, und kein prominenter Hahn hat je nach ihnen
gekräht. Drittens treten wir mit dem Lexikon gegen die herr¬
schende Geschichtslüge an, wonach die Österreicher in ihrer
Gesamtheit ein Volk von Duckmäusern seien, das sich mit je¬
dem Regime arrangiert hat, unterschlagen aber nicht die vie¬
len biografischen Bruchstellen, auch nicht die Fälle von Oppor¬
tunismus, Kleinmut, Verrat, Niedertracht, die es auch unter den
Spanienfreiwilligen gegeben hat oder unter denen diese gelit¬
ten haben.

Ich will hier keine Anweisung geben, wie man das Lexikon
richtig lesen soll. Ich möchte nur ein paar Dinge nennen, die
mich besonders berührt haben, abseits jedes einzelnen Schick¬
sals, das wert ist, wahrgenommen zu werden: Zum ersten ist es
auch ein Lexikon verschwundener Fertigkeiten und Berufe. Ich
finde neben vielen Fleischhauern, Bäckern, Krankenschwestern,
Ärzten, Maurergehilfen, Schlossern, Schweißern und Schuh¬
machern einen Hutformdrechsler, einen Kammgarnspinner, ei¬
nen Ankerwickler, einen Marktfieranten, einen Faßbinder, ei¬
nen Sattler - und bin wehmütig gestimmt, weil mir klar wird,
daß mit diesen Berufen auch etwas aus unserem Leben ver¬
schwunden ist, ohne das wir viel schwerer zu uns selbst finden.

Zweitens verändert die Lektüre unsere Wahrnehmung der
österreichischen Geografie. Die reelle Fläche des Landes wei¬
tet sich, Dörfer wachsen sich zu Großstädten aus, die Periphe¬
rie rückt ins Zentrum. Es stimmt zwar — die meisten Freiwilligen
kommen aus Wien, Graz, aus dem Industriegebiet der Obersteier¬
mark, aus Wiener Neustadt, St. Pölten, Steyr, Linz, Klagenfurt,
Arnoldstein. Aber es häufen sich auch Namen wie Weißenbach,
Oberwaltersdorf, Obergrafendorf, Pernegg, St. Konrad — Ort¬
schaften, von denen ich früher nie oder kaum je gehört hatte.
Ich frage mich, weshalb so viele Freiwillige just von dort auf¬
gebrochen sind, um Menschen in einem Land zu helfen, von
dem sie vielleicht gar nicht wußten, wo es eigentlich liegt.

Ferner sind da die vielen Geheimnisse, die das Lexikon nicht
zu lösen vermag, die Lebensläufe, die noch vor Ende des Bür¬
gerkriegs, oder dann in Frankreich, oder vor und nach der Be¬
freiung abreißen: Was ist aus Gusti Jirku geworden, der schrei¬
benden Schloßherrin aus der Krain, deren Spuren sich 1938 in
Paris verlieren; was aus dem Grafiker Georg Teltscher, der als
George Adams noch 1977 an einer nigerianischen Universität
gelehrt hat; was aus dem Schmied Martin Herg, von dem wir
nur wissen, daß er am 7. Februar 1937 auf einer Standesliste
der 15. Division aufschien; was aus dem Arzt Osias Sigall, des¬
sen letzte Station das Demobilisierungslager Almussafes war,
und was geschah dann... Das Lexikon ist also lückenhaft, aber
die Tatsache, daß es erschienen ist, wird Lücken schließen, und
wir danken all jenen, die uns mit Ergänzungen, Hinweisen und
Korrekturen weiterhelfen. Auslassungen sind unvermeidlich, von
der Fülle des Materials erzwungen. Trotzdem haben wir in der
Einführung geschrieben, daß das Buch „durchaus für eine klei¬
ne Ewigkeit gedacht“ sei, was heißt, es ist ein tragfähiges Fun¬
dament für weitere Forschungen.

Lesend stoße ich auch auf die tragischen Zufälligkeiten, die
man am liebsten gar nicht zur Kenntnis nehmen möchte — Her¬
bert Lenhart wurde während des slowakischen Aufstandes 1944
von einer Lawine verschüttet, das gleiche Schicksal erlitt Johann
Hübl im Februar 1945, nach seiner Flucht aus dem Dachauer
Außenkommando Neustift im Stubaital. Franz Limbeck ertrank
am 6. Juni 1937 vor der spanischen Mittelmeerküste, nachdem