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schlaggebend, sondern auch Familienclans
spielten eine wichtige Rolle. Verwandtschaft¬
liche Beziehungen erfuhren eine politische
Aufladung, die nicht ohne Folgen bleiben soll¬
te für die spätere Entwicklung des Wahlverhal¬
tens in einem begrenzten Raum wie Bad
Gastein. Als weiteres Ergebnis zeigt die Stu¬
die, dass Bürgerliche bei den illegalen Nazis
überrepräsentiert waren, Arbeitslose hingegen,
die eher zur KPÖ neigten, unterrepräsentiert.
Zu der Vielzahl an Quellen, auf die Krisch sich
stützt, gehören beispielsweise auch Briefe, wel¬
che der Kurgast Sigmund Freud, der im Besitz
von ausländischem Bargeld war und somit zu
den Privilegierten unter den Gästen zählte, in
den 1920er Jahren an seine Tochter Anna ge¬
schrieben hat. Auch sie erhellen bestimmte
Aspekte der Lebensumstände im Ort, die pe¬
nibel untersucht werden, um vor dem Hinter¬
grund dieser Kenntnisse die jeweiligen Wahl¬
ergebnisse respektive die Veränderungen im
Wahlverhalten der Menschen, die sich im un¬
tersuchten Zeitraum bis 1938 ergaben, zu in¬
terpretieren.

Es ist nicht zuletzt die Genauigkeit, mit der
Laurenz Krisch arbeitet, die an seinem Buch
fasziniert - Fehleinschätzungen in Diplomar¬
beiten anderer Historiker entgehen ihm eben¬
so wenig wie falsche Angaben in Zeitungen.
So ist in Fußnote 421 zu einem der vielen von
ihm untersuchten Wahlergebnisse zu lesen: „In
den Salzburger Tageszeitungen wurden fäl¬
schlicherweise 421 Christlichsoziale angeführt.
Meine Daten entnahm ich den handschriftli¬
chen Uraufzeichnungen der Wahlkommission
vom 25. März 1928.“ Es wird deutlich, dass
Laurenz Krisch mit der mikrohistorischen
Forschung zu einer ihm gemäßen wissen¬
schaftlichen Methode gefunden hat — fraglos
ein großer Glücksfall für die Feinanalyse der
Ursachen des Aufstiegs des Nationalsozialis¬
mus in einem genau begrenzten Gebiet in der
sogenannten Provinz.

553 illegale Nationalsozialisten sind es, deren
Daten Krisch ausgewertet bzw. zu einer Kol¬
lektivbiographie verarbeitet hat. Er untersucht
die Bevölkerungsstruktur und deren Aus¬
wirkung auf die einzelnen Wahlgänge. Mit vie¬
len Belegen versehen, wird die wirtschaftliche
Lage des Gebietes ebenso eindringlich dar¬
gestellt, wie den Strömungen nachgegangen
wird, welche die Gesellschaft durchpulsten
bzw. erfassten und schließlich zu großen Teilen
mit sich rissen.

Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Anti¬
semitismus und Deutschtum. Immerhin lebte
der Kurtourismus traditionell auch von jüdi¬
schen Gästen. Ökonomische Rücksichten
führen zu unterschiedlichstem Verhalten selbst
von erklärten Nationalsozialisten. Prinzipiell
Bekanntes wird im Detail belegt — etwa die
frühen radikal antisemitischen Bestrebungen
des deutschvölkischen Turnvereins, aber auch
der Christlichsozialen, die sich in einem 1920
getätigten Aufruf wider die Großdeutschen als
die besseren Antisemiten anpreisen:
Deutsche und Antisemiten, lasst euch also
durch das antisemitische Mäntelchen der

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Großdeutschen nicht irre machen und wählt ge¬
schlossen die christlichsoziale Partei.
Aber auch bei den für den Judenhass an sich
weniger anfälligen Sozialdemokraten (die Na¬
zis setzten bekanntlich ihrerseits Sozialismus
und Judentum gerne gleich) kleidet sich in
Gastein — wie anderswo auch — manche Kapita¬
lismuskritik — so etwa gegen jüdische Bankiers
— offen antisemitisch.
Der genaue Blick auf ein begrenztes Gebiet,
den die mikrohistorische Forschung leistet, er¬
gibt in der Fiille der untersuchten Detailaspek¬
te insgesamt ein höchst differenziertes Bild, das
eine Tiefenschärfe erzielt, die in anderen zeit¬
geschichtlichen Untersuchungen auf diese
Weise zwangsläufig nicht immer zu erreichen
ist. So konnte trotz des Resonanzbodens, wel¬
che Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise für
die Unzufriedenheit der Bevölkerung bildeten,
„der Zusammenhang zwischen Wirtschafts¬
krise und NSDAP allerdings bei den Arbeits¬
losen nicht nachgewiesen werden“, resiimiert
Krisch. Von der Wirtschaftskrise in ihrer Exi¬
stenz bedrohte Unternehmer hingegen zeigten
sich viel anfälliger für die Lösungsparolen der
Nazis.
Laurenz Krisch dokumentiert in seiner Arbeit,
deren Titel der Parole eines NS-Klebeflug¬
zettels entnommen ist-— „ZERSPRENGT DIE
DOLLFUSSKETTEN, NUR HITLER
KANN UNS RETTEN!“ -, über viele Einzel¬
ereignisse, wie sich der Aufstieg des Natio¬
nalsozialismus in Gastein vollzogen hat, wie
sich die illegalen Nationalsozialisten im All¬
tag bemerkbar machten — etwa bei den Lan¬
desskimeisterschaften in Hofgastein 1934, wo
an verschiedenen Berghängen Hakenkreuze
abgebrannt und immer wieder Nazilieder an¬
gestimmt wurden -, welche Konsequenzen die
sich als Freiheitskämpfer fühlenden Illegalen
im Ständestaat zu tragen hatten — immerhin
stammten zum Stichtag 1. Februar 1934 „ca.
8 % der Häftlinge“ des Anhaltelagers Kai¬
sersteinbruch aus dem Gasteinertal! —, er un¬
tersucht die Auswirkungen der Politik der
Dollfußregierung auf die Menschen ebenso wie
die Alters- und Sozialstruktur der illegalen
Nationalsozialisten, analysiert Wahlsprengel,
richtet sein Augenmerk auf die Keimzellen und
Träger der illegalen NS-Bewegung usw. usf.
Alles in allem: Laurenz Krisch hat mit seinem
Buch über die Entwicklung des National¬
sozialismus in Bad Gastein bis 1938 eine vor¬
zügliche Arbeit vorgelegt, welche die Qualität
eines Standardwerkes aufweist, und der eine
Vorbildwirkung für die mikrohistorische Un¬
tersuchung anderer Regionen als wichtiger
Ergänzung der Allgemeingeschichte zukom¬
men sollte.

O. P. Zier

Laurenz Krisch: „Zersprengt die Dollfußket¬
ten“. Die Entwicklung des Nationalsozialismus
in Bad Gastein bis 1938. Wien: Böhlau 2003.
272 S. 16 SW-Abb., 156 Tab. u. Grafiken. Euro
35,- (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes
für politisch-historische Studien der Dr.¬
Wilfried-Haslauer-Bibliothek. Bd. 19).

Die Ausnahme des Überlebens
Ernst und Hilde Federn

Die vorliegende umfangreiche Studie ist das
Ergebnis eines langjährigen Forschungs- und
Begleitprozesses, auf den sich alle drei Be¬
teiligten, der Autor und Ernst und Hilde Federn
intensiv eingelassen haben. In der Einleitung
bringt Bernhard Kuschey dem/r Leser/in sei¬
nen innovativen Forschungsansatz auf gut
nachvollziehbare Art näher: Es geht ihm um
den dialogischen Prozeß des Geschichten¬
erzählens, der sich zwischen ihm und den
Federns immer intensiver entwickelt hat, und
um die zeitgeschichtliche Darstellung der in¬
neren Strukturen der Konzentrationslager, um
die Vernichtungspolitik des „Dritten Reiches“
als Kontext und Hintergrund zur biographi¬
schen Überlebens-Geschichte.

Daß sich in diesem intensiven Dialog Über¬
tragungs- und Gegenübertragungsphänomene
(im psychoanalytischen Sinn) einstellen, wird
dem Autor bewußt, und er versucht insbeson¬
dere die Gegenübertragung durch eine be¬
gleitende Supervision bei J. Shaked zu kon¬
trollieren.

Eine der Kernfragen der Studie ist: wie ist es
möglich, unter den Bedingungen einer per¬
manenten Todesdrohung durch das Terror¬
universum des Konzentrationslagers zu über¬
leben und dabei die eigene Identität zu be¬
wahren bzw. weiter zu entwickeln? Die soge¬
nannte ethnische bzw. soziale Identität: Jude/
Halbjüdin ist eine von außen, vom rassistischen
Nazi-Regime zugeschriebene Rolle, die von
Ernst Federn nicht im Sinne eines Zuge¬
hörigkeitsgefühls angenommen wird. Beide,
vor allem aber Ernst Federn, begreifen sich
primär als politische Akteure im Widerstand
gegen Austrofaschismus und Nationalso¬
zialismus, zunächst in sozialdemokratischer
Familientradition, dann bei Ernst Federn als
Trotzkist und Linksoppositioneller, auch ge¬
genüber dem übermächtigen Vater Paul
Federn, der als Pionier der Psychoanalyse und
Stellvertreter Freuds hohes internationales An¬
sehen erwarb.

Aus den Aussagen von Ernst Federn und der
zusammenfassenden Rückschau des Autors
wird deutlich, daß gerade dieses Festhalten an
der eigenen politischen Mission und das psy¬
choanalytische Wissen, mit dem berühmten
Vater im Rücken, gepaart mit einem „gesun¬
den“ Narzißmus Federn die innere Stärke ga¬
ben, den permanenten Terror des KZ zu über¬
leben.

Ohne die Hilfe von außen, durch eine mutige
und sich selbst immer wieder in Gefahr brin¬
gende Hilde Paar-Federn, die den Kampf um
die Befreiung von Ernst Federn aus dem KZ
erst aufgibt, als er objektiv aussichtslos wur¬
de, und die auch danach durch Pakete und die
Weiterleitung der Gelder von Paul Federn an
den Sohn wesentlichen Anteil am Überleben
ihres Mannes hat, scheint das Bestehen im
Terroruniversum schwer vorstellbar.

Dem Autor gelingt es durch ein Pendeln zwi¬