Aus dem neuen Band „Seit ich am Meer bin“
IN MEINER STADT SIND JETZT DIE BARBAREN ZU
HAUSE.
Lässig tragen sie ihre Körper durch alte Straßen. Sie
Riechen nach teurem Parfum und lächeln, versorgt
Vom Geld ihrer Eltern. In Unschuld erbeutete
Millionen. Ihre Blicke nehmen mir allen Mut! Die Stadt
Riecht nach Tod an solchen Tagen, wenn sie vorbei
Gehen, als wäre ich Luft. Ja, trügen sie Schwerter und
Harnisch und fielen als Meute ein in die Häuser,
Mein Zorn wüchse stetig und jeder verstünde ihn.
Doch Alles bleibt in der Ordnung! Sie blicken
Charmant und tragen den Kindern die Schulranzen.
Verliebt sind sie, verliebt in sich selbst! über beide
Ohren. Verliebte nehmen die Welt nicht wahr, teilen ihr
Neue Herzen zu und lächeln, genau wie in Journalen
Leute lächeln, die zeigen sollen, daß sie verliebt sind.
Dann ist die Stadt, in der ich so lange schon lebe, plötzlich
Ein Film mit dürren Dialogen aus den Mündern
Von Stars. Weich gezeichnet verschwimmen meine Orte,
Verbraucht wie die Luft, hinab in die Zukunft.
Mit ihrem Sinn fürs Detail haben sie Häuser gekauft,
Tiefgaragen, üppige Balkone. Lange mussten sie
Warten auf diesen Moment, bis der Mut reichte, fast
Zwanzig Jahre, diese Stadt zu erobern! Musterten
Ihre Beute, wägten Chancen! Dann schlugen sie zu,
Lautlos! Das Kichern der Notare, das fast unhörbare
Anstoßen der Prosecco-Gläser kündete vom Sieg.
Fortan schonten sie keinen und änderten alles:
Organisierten Fußgänger-Überwege, Spielplätze,
Cafes. Als die Preise der Speisen anwuchsen trieben
Fast nebenbei sie die aufdringlichen Säufer der Parks,
Großmäulige Haudegen der Kioske und Pissoirs
Ins Weite. Nicht, daß die Barbaren sie nicht mochten!
Sie lächeln gern und haben die Welt bereist, sie spenden
Monatlich verhungerten Kindern Afrikas und hassen
Armut und Dummheit, wo immer sie ihnen im Weg.
Sie sind tolerant. Abgeklärte Fürsten. Aber
Ihr Reichtum hat sie verdorben. Die jungen Frauen,
Die sonst mein Herz antrieben, schneller als nötig
Zu schlagen, gehen vorüber wie Greisinnen, ohne Freude
Wiegen ihre Hüften, ohne Bögen, die mein Begehren
Zerreiben könnten in anthropologischer Erinnerung.
Keine Spur wirrer Sehnsüchte, kein Flimmern in ihren
Augen, kein Gedanke an obskure Mittagstunden im
Hinterhof bei offenem Fenster, nackt und schweißnass
Vom Glück. Sie gehen nüchtern auf und ab, präsentieren
Kinderwagen mit Königen kommender Zeiten. Sie
Zeigen und reden. Aber sie können nicht sehen. Sehen
Nicht, was sie gekauft, was sie schmückt und begehrt.
Ihre Leidenschaft hat sich erschöpft im Sieg. Das ist
Üblich: Sieger zeigen ihre Trophäen. Diese Armee,
Unzerstörbar, unsterblich! Ihre Legionen, das leise
Langweilige Geld. Seit die Barbaren da sind
Ist der Frohsinn fort, Parkplätze und Tische beim Italiener
Reserviert. Ich gehöre nicht mehr in meine Stadt.
Sie lachen über mich, halten mich für schwach. Mein
Römischer Hochmut berührt sie an keiner Stelle.
Sie sind klar, sind die neue Zeit. Sie haben den Limes
Und das Limit überschritten. Sie wissen genau, was sie
Wollen. Ich lehne mich an die Fassade und sch ihnen zu:
Beim Warten, beim Essen, beim Reden. Es ist Sommer.
Wären sie reich genug, sie würden die Stadt verschieben
Auf einen Gletscher, verwandeln in eine Insel im Meer
Des Unsinns unter Palmenfedern bei Cocktails und
Evergreens. Aus der Tiefe wäre das Summen zu hören,
Das erzählt von Zeiten, ehe die Stadt eine Stadt war,
Bevor den Barbaren all dies gehörte, in langen,
Langen Äonen, weit vor der Eiszeit des Geldes.
ERINNERUNG DER BILDER
für Theodor Kramer
Wenn die Akazie blüht, denk ich an deine Zeilen,
Sie haben mir den Duft noch würziger gemacht.
Der Weg liegt weiß und bleich, die Tage eilen
Durch weichen Junischnee, gefallen über Nacht.
Ich steh am Bahndamm, sch die krummen Gleise
Durch Meere Raps entfliehn weit übern Rand.
Ich geh mit dir noch einmal auf die Reise
Auf alten Wegen durch verschwundenes Land.
Das Lied verklingt vor Nacht, gestorben sind die Sänger.
Man hört noch ferne, wie ein Hund lang bellt.
Die Bilder leben noch ein wenig länger,
Als lägen schützend sie auf dieser Welt.