„Brave New World“, hielt Suschitzky mitdem Fotoapparat ebenso
fest wie Sir Alexander Fleming oder H.G. Wells.
Suschitzkys optimistischer Weltoffenheit ist die Vielfalt der
Porträtierten zuzuschreiben. Fotografische Denkmäler setzte er
Menschen unterschiedlichster Herkunft, Rasse und Glaubens: er
fotografierte die klugen Alten wie Pandit Nehru, den ersten Mi¬
nisterpräsidenten Indiens, oder David Grün, der als Ben Gurion
"Theodor Herzls Idee vom „Judenstaat“ Wirklichkeit werden ließ.
Er fotografierte junge Palästinenserinnen ebenso wie den britischen
Filmstar Michael Caine. Das Bild wurde während der Dreharbeiten
zu „Get Carter“ gemacht - seit 1950 stand Suschitzky ja auch bei
Spielfilmen hinter der Kamera.
Heute blickt der 100jährige auf ein gewaltiges CEuvre zurück,
aufrund 10.000 Fotografien und ca. 200 Kino-, Dokumentar- und
Fernsehfilme.
Er ist wach und wachsam geblieben. Das Zeitgeschehen kom¬
mentiert er subtil und ohne laute Statements.
Ichglaube, dass der Sozialismus viel für eine gerechtere Weltordnung
beitragen kann. Auch wir Fotografen und Kameraleute können dies
Hilde Spiel / London (August 1937) — Foto: Wolf Suschitzky/Galerie remixx
tun, in dem wir die in der Welt herrschende Ungleichheit, Armut und
Krankheit aufzeigen. Ich denke, man kann getrost sagen, dass der Viet¬
namkrieg rascher zu Ende ging, dank der Fotografen und Kameraleute.
1945 bedeutete das Ende des 2. Weltkriegs fiir Osterreich nicht
nur Zäsur, sondern in vielem das unveränderte, mehr oder weniger
verdeckte Fortleben faschistischer Grundhaltungen. Zudem ging
das wieder erstandene Land, wie kaum ein anderes, der kritischen
Selbstbefragung aus dem Weg. Und es verhielt sich gegenüber
Emigranten äußerst skeptisch.
Suschitzky kehrte nicht nach Österreich zurück, aber auf Besuch
kommtergerne. „Keine Reise istzu lang und zu gefährlich“, schreibt
Claudio Magris, „wenn sie nach Hause zurückführt. Aber gibt es
noch Häuser, in die man zurückkehren kann [...]?“
Oft ist das nicht mehr der Fall. Also beschränkt man sich aufeinen
Besuch und hofft dabei auf Gastgeber zu treffen, die die Bereitschaft
zeigen, das große Schweigen über Schmerz und Schande zu brechen.
Wir hoffen, dass wir für Sie solche Gastgeber sind.
Gerhard Michael Dienes, geb. 1953 in Graz,
Studium der Geschichte, Historische Grundwis¬
senschaften und Kunstgeschichte in Graz, ab
1980 Ausstellungskurator im Stadtmuseum Graz,
1990-2004 dessen Leiter, ab 2005 im Univer¬
salmuseum Joanneum (Auslandskulturprojekte),
1985-94 Lehrbeauftragter an der Grazer Karl¬
Franzens-Universität, Präsidiumsmitglied der
Österreichischen Urania für Steiermark, 2006¬
11 Mitglied des Kulturforderbeirates des Landes
Steiermark, Beirat der Internationalen Otto Gross
Gesellschaft, lebt in Graz.
Kurator von über 90 Ausstellungen im In- und
Ausland, darunter „Die Gesetze des Vaters. Hans
und Otto Gross, Sigmund Freud und Franz Kaf¬
ka“ (Graz 2003), „Ihe Laws Of The Father“
(London, Sigmund Freud Museum, 2008),
„Geschlossene Gesellschaft. Das Kriegsgefange¬
nenlager Knittelfeld, 1914-1918“ (Knittelfeld,
Pumpenhaus, 2009), „Mela Hartwig-Spira: The
Memory Garden“ (London, Austrian Cultural
Forum, 2011), ca. 150 Publikationen zur Stadt-,
Sozial- und Wirtschafisgeschichte, zur Industrie¬
und Verkehrsgeschichte, zum Thema Vorstädte und
Vororte, zur Kultur- und Mentalitätsgeschichte
sowie zur Geschichte des Alpen-Adria-Raumes.
— In ZW Nr. 3/2011 erschien, wie erinnerlich,
eine Text- und Bildreportage von Richard Wall,
der Suschitzky in dessen Londoner Domizil be¬
sucht hatte.