Durch die Notwendigkeit, das österreichische Exil, zumindest
nach seiner literarischen Seite, endlich zu erforschen, haben wir der
Internationalität des Exils oft geringere Aufmerksamkeit geschenkt.
Hier geht es ja nicht oder nur bedingt um jene Internationalität, die
wir heute angesichts der vielen nach Europa zu uns Geflüchteten
vielleicht erst entwickeln müssen, also um eine Aktualisierung des
Exilmotivs, sondern um die Gleichzeitigkeit der Exile - Österreich
und Deutschland waren eben nicht die einzigen Länder, aus denen
Menschen vor rassistischer und politischer Verfolgung vor und
während des Zweiten Weltkriegs flüchten mussten und im Exil
bedeutende künstlerische und wissenschaftliche Werke schufen.
Geflüchtet wurde, in der Reihenfolge der Geschehnisse, auch aus
Ungarn, Portugal, Italien, Spanien, der Tschechoslowakei, Polen,
Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Norwegen, den baltischen
Staaten, Dänemark... Und die Fluchtbewegungen endeten nicht
mit dem 8. Mai 1945 — Ungezählte, die schon unter dem Nati¬
onalsozialismus und seinen Verbündeten Verfolgte waren, sahen
sich, namentlich in Ländern des späteren ‚Ostblocks‘, aufgrund von
Bedrohung ihres Lebens und neuerlicher Repression gezwungen,
ihr Land, aufwelchem Weg auch immer, zu verlassen. Es herrscht
zwischen dem historischen Exil und den bis heute andauernden
Fluchtbewegungen oft allzu viel fatale Kontinuität.
Das Fest zum 30. Jahrgang dieser Zeitschrift am 20. Juni im Bruno
Kreisky Forum für internationalen Dialog — hätte es einen besseren
Ort dafür geben können? — widmete sich der „Internationalität des
Exils“, versuchte eine Annäherung. AutorInnen aus Österreich,
Griechenland, dem Iran, Rumänien, der Türkei stellten Autor¬
Innen aus dem Iran, der Tschechischen Republik, der chemaligen
Sowjetunion, Frankreich, Slowenien, Rumänien und Polen vor.
Einige Ergebnisse dieses langen Nachmittags und Abends sind
im vorliegenden Heft nachzulesen.
Aber lassen Sie mich abschließend einen Blick zurück tun in die
für Innsbrucker Verhältnisse so eigenartige Bibliothek meiner
Eltern, und zwar mit den berühmten Zeilen Nazim Hikmets,
mit denen er seine „Menschenlandschaften“ einleitet:
Sie, die zahlreich sind,
wie Ameisen auf der Erde,
Fische im Meer,
Vögel in der Luft,
die feige,
tapfer
unwissend,
entschieden
und kindlich sind,
Zerstörende
und Erschaffende sind sie:
Ihre Abenteuer nur stehen in unserem Buch.
Gesprochen bei der Veranstaltung aus Anlass des 30. Jahrganges ZW
im österreichischen Parlament
Sehr geehrte Frau Präsidentin des Nationalrats Barbara Prammer,
sehr geehrte Frau Präsidentin Anna-Elisabeth Haselbach, liebe
Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und
Freunde, es ist schön, dass wir heute alle hier versammelt sind!
Und herzlichen Dank für die wichtigen einleitenden Worte,
Frau Nationalratspräsidentin, und für ihre Einladung ins Hohe
Haus, um 30 Jahre Zwischenwelt, ehemals Mit der Ziehhar¬
monika, im Rahmen einer Epstein-Vorlesung, zu feiern. Die
Theodor Kramer Gesellschaft ist ja nicht zum ersten Mal Gast
im Parlament, sondern dank Ihnen, wenn ich mich nicht irre,
nun schon zum vierten Mal. Dies und vieles andere, was Sie
tun, Frau Präsidentin, zeigt, dass die Auseinandersetzung und
die Ehrung des Exils und des Widerstands, und beider Litera¬
tur und Erforschung, im Herzen der Republik, im Parlament
angekommen sind. Danke!
An dieser Stelle möchte ich mich auch herzlich bei den
MitarbeiterInnen des Parlaments, vor allem bei Elisabeth Gneisz
und Valerie Watzek, für die schöne und konstruktive Zusam¬
menarbeit bedanken!
Otto Lechner, der weltberühmte Akkordeonist, der „in Gast¬
und Kunsthäusern, vor Wein- und Bildhauern, als Ton- und
Kleinkünstler, als Kompo- und Pianist, nach Litera- oder Partitur,
als Urlaubs- oder Ehrengast musiziert“, spielt heute für uns mit
der Ziehharmonika in die Zwischenwelt im Parlament.
Felix Mitterer hat eben Gedichte von Theodor Kramer gelesen,
zwei davon sind in der letzten Ausgabe der Zwischenweltzum ersten
Mal abgedruckt worden, überhaupt wird in der Zwischenwelt sehr
viel zum ersten Mal abgedruckt, das schon längst hätte publiziert
werden sollen, aber das ist ja ihre Aufgabe, nämlich, wie Viktor
Matejka einmal über die Zeitschrift gesagt hat: „eine moderne
Ausgrabungsfabrik mit Gegenwart und Zukunft“ zu sein. Zu
Felix Mitterer möchte ich noch speziell etwas sagen, er gehört zu
jenen doch seltenen Schriftstellern, die sich seit Jahrzehnten für
ihre Kollegen und KollegInnen des Exils und des Widerstands
und für ihr Werk einsetzen, so für Josef Burg oder Alfredo Bauer.
Irene Suchy ist Autorin und Radiomacherin, sie ist seit Jahren
in der Exilforschung tätig, vor allem zu Musikern und Musiker¬
Innen forschend, und in der Shoahforschung, Stichwort Strass¬
hof. Sie arbeitet in erster Linie — neben ihren Lehraufträgen an
diversen Unis und ihrem Schreiben - für ein Medium, das mehr
Menschen erreicht als eine Zeitschrift wie die unsere, nämlich
fürs Radio, konkret für Öl. Und dort bringt sie z.B. im mor¬
gendlichen Pasticcio nicht selten auch die Musik der einen oder
anderen aus Österreich vertriebenen, berühmten oder vergessenen
KomponistIn oder InterpretIn.
Marcus G. Patka ist Kurator beim Jiidischen Museum Wien,
die von ihm mitgestaltete Paul-Celan-Ausstellung 2001 war si¬
cher eine der ftir mich wichtigsten Ausstellungen seines Hauses.
Auch haben wir Marcus G. Patka viel Wissenswertes zu Egon
Erwin Kisch, zum Exil in Mexiko, zum Kabarett im Exil und
zum Exil der österreichischen Freimaurer zu verdanken. Er ist