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Lili Grün

Ein Fräulein erwacht in einer fremden Wohnung

Sie schmeckt mir nicht, die so geliebte Morgenzigarette —
Ach, wenn ich bloß ’ne andre Sorte hätte;
Natürlich, ausgerechnet so ein starkes Kraut,
Und überhaupt - ich will nach Haus

In mein Bett!

Und mich ausstrecken

Unter gewohnten, geliebten, vertrauten Decken,
Und ich will meine Zahnbürste

Und meine Badewanne

Und meine eigene praktische Kaffeekanne,
Nicht dieses fremde, scheußliche Ding

Mit diesem ausgefallenen Muster,

Ausgerechnet ne Blume und ein Schmetterling,
Einfach verrückt!

Was hat denn der Junge da nur für Manieren?
Du lieber Himmel, so kann man sich irren?
Gestern abend war er doch wirklich scharmant,
Und heut ist er öd, scheußlich und unbekannt.
Ob denn das wirklich alles nötig ist -?!

Ach, das kommt nur daher,

Daß man immer wieder in Romanen liest,

Daß es so was wie Abenteuer gibt.

Und jetzt in die Lackschuh‘ hinein,

Die tun doch weh, sind eng und brennen,

Und überhaupt - ich mag nach Haus

In mein Bett und flennen!

Ich bin so verknautscht.

Ach ja, mein Liebling,

Am besten ist’s, du rufst mal an

Und kommst dann auf ganz gemütlich zu mir.

Oliva drei drei null vier,

Wo hab’ ich denn bloß die Telephonnummer her?

Ist das nicht die von Hedi Stehr?

Ach was, der Junge macht sowieso keinen Gebrauch davon,
Wenn der anruft, laß‘ ich mich hängen,

Und überhaupt — wir wollen diese Nacht lieber verdrängen!

1931

Das erfahrene Mädchen

Ich bin jetzt fünfundzwanzig Jahre alt

Und habe schrecklich viel erfahren,

Ich weiß, daß früher alles besser war,

So in den guten Achtzigerjahren.

Ich weiß, daß alle Menschen Brüder sind

Und daß wir gleich sind vor Gesetz und Recht,
Ein großer Maler war Herr Moritz Schwind,
Und die Dreigroschenoper schrieb Bert Brecht.

Ich weiß, daß Gottes Mühlen langsam, aber sicher mahlen,
Ich weiß, daß heutzutag‘ ganz andere Leut‘ auch keine Schul¬
den zahlen...
Ich weiß, daß arme Mädchen sitzen bleiben
Und nur die reichen kriegen einen Mann,
Ich weiß, daß wir jetzt das Jahr vierunddreifig schreiben
Und daß man gegen das Kinderkriegen was unternehmen kann.

Ich bin jetzt fünfundzwanzig Jahre alt,

Doch wenn dus niemand weitersagst:

Ich bin noch schrecklich klein.

Ich glaub‘ an Gott und an die große Leidenschaft,
Und daß der Himmel alles Böse straft,

Daß endlich wieder Frühling ist,

Daß du ein Mann mit starken Armen bist,

Daß unsere Liebe dauern wird für Zeit und Ewigkeit
In Gottes Namen

Amen.

1934
Entnommen aus: Lili Grün: Mädchenhimmel! Gedichte und Ge¬
schichten. Gesammelt, hg., kommentiert und mit einem Nachwort

von Anke Heimberg. Berlin 2014, S. 26-27 bzw. 34. Abdruck mit
freundlicher Genehmigung des AvivA Verlags (Berlin).

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