Ich lag verkühlt ausgestreckt in meinem Zimmer. An diesem Tag
hatte ich schon zu viele Stunden im Bett verbracht und fand am
Parkettboden eine zweite Ruhestätte.
Es war Sommer, vom Freien herein drangen die Geräusche
entspannten Redens und leisen Gelächters. Am Brunnen, so stellte
ich mir vor, saßen Leute, die ihre Füße baumeln ließen. Ich kannte
diesen Moment, da man sich etwas von der Kante weg schiebt und
sich mit einer Hand leicht zurückgelehnt abstützt, um eben jenes
Baumeln zu ermöglichen. Ich wusste wie es ist, da man den stiit¬
zenden Arm zu sich zieht, damit er sich ausruht, und den anderen
als Stütze verwendet. Es ist nicht immer leicht, dachte ich, dies
in einer flüssigen Bewegung zu vollbringen, und vielleicht fällt es
deshalb oft schwer, sich für solch einen Wechsel zu entscheiden.
Ich kannte den Abdruck des Betons auf der abgestützten Hand.
Ich musste schmunzeln wie ein Großvater, der die Erlebnisse der
Enkel mit seinen eigenen, längst vergangen, vergleicht.
Ich lagam Bauch mit dem Kopf zur Seite. Was ich sah, waren
Tischfüße und altes Gewand. Mir war sehr wohl dabei, im Falle
eines Anrufes auf meine Krankheit verweisen zu können. Ich
hatte bereits zwei Verpflichtungen abgesagt.
Auf der Sesselleiste hinter dem Gewandhaufen befanden sich
die Spuren meines unzulänglichen Ausmalens. Der schönste Tag
zwischen diesen Wänden war jener, als ich diesen Wänden am
nächsten war.
Ich blickte noch eine Weile auf die Sesselleiste und richtete mich
bald soweit auf, dass ich kurz auf allen Vieren stand und mich
fühlte wie inmitten gymnastischer Übungen. Doch dann kam es
mir vor wie eine notwendige Bewegung. Ich zog ein Bein nach
vorne, auf das ich mein gesamtes Gewicht verlagerte, zog das zweite
nach und streckte mich empor, sodass mich der Schwindel fast
wieder niederstreckte. Mein Absagen war nicht gelogen, dachte
ich in der Senkrechten, meine Verhinderung ist wahrhaftig.
Ich ging hinaus und nahm die erstbeste Straßenbahn. Im hinte¬
ren Waggonende nahm ich gegen die Fahrtrichtung Platz und
sah all das, was der Zug hinter sich ließ. Es begann zu tröpfeln,
doch die Leute auf der Straße nahmen den Regen nicht ernst.
Er verweilte nur kurz und beiläufig. Ich schlug ein Bein um das
andere, blickte in den Waggon zurück und schlug das andere Bein
um das eine. Hinter mir stand ein Mann und telefonierte. Er
sprach ununterbrochen, dabei musterte er die Mitfahrenden. Ich
versuchte, mich an der schmalen Leiste am Fenster abzustützen,
doch fand keinen Halt. Ich sank ein und streckte mich wieder,
beunruhigt durch die vielen, dicht aufeinander folgenden Worte
des Mannes. Ich wollte sagen, mein Herr, ihr musternder Blick
steht ihnen nicht, und Ihr Vertrauen darauf, dass Ihr ununter¬
brochenes Reden zumutbar sei, ist ungerecht, und wenn Ihnen
wenigstens der Ellbogen von dieser schmalen Leiste, welche gegen
alle Gemütlichkeit eingerichtet und keinem Ellbogen dieser Welt
gerecht wird, abrutschen würde, doch das kann und will ich von
Ihnen nicht verlangen. Zumal Sie stehend keinen Bedarf haben,
sich abzustützen. Ich sank wieder ein, und konnte mich kaum
gegen meine Müdigkeit wehren. Ich sah geradeaus, die Regungen
der Menschen und Fahrzeuge, von welchen ich mich entfernte und
welche sich ebenfalls entfernten, oder der Bahn, in der ich saß,
folgten. Die Leute bekamen meinen müden Ausdruck zu Gesicht.
Ich hatte die Freiheit jeglicher Mimik, ich nahm die Freiheit nicht
wahr. Ich musste, so abgeschirmt, keine Reaktionen beantworten,
doch dieser Anblick der Lebendigkeit machte mich ernst, und ich
verzog nur ab und zu einen Mundwinkel. Wie starr ich dasaß. Ich
würde rückblickend nicht behaupten, dass ich mich gelangweilt
hatte. Beim nächsten Halt aber stieg ich energisch und unbedacht
aus, blieb am Gehsteig vor der geschlossenen Türe stehen und sah
mich um. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah Bauarbeiter
am Dach eines Hauses und den über ihnen waltenden Kran. Eine
Frau eilte zur Türe, die für sie aufging, ich wich ihr zuerst aus und
folgte ihr dann. Diesmal setzte ich mich an einen zentralen Platz
im Waggon. Mir gegenüber saß ein Jugendlicher, langgelockt,
sein Ausdruck erinnerte mich an eine Trauerweide. Sein Gesicht
war fast verhüllt, doch sein Kummer nicht. Ich fühlte mich nicht
angesehen und blickte aus dem Fenster.
Als ich die Wohnung verlassen hatte, war ich rasch durch den
Hof gegangen, im Vorübergehen hatte ich einige Blätter gepflückt.
Bei manchen war es mir schr schwer gefallen, sie von ihrem Ast
zu lösen. Ich hatte überlegt, kehrt zu machen und noch einmal
pflückend an ihnen vorbeizugehen, doch schon der Gedanke war
demütigend gewesen. Als ich die Haustüre geöffnet hatte, waren
mir zwei Kinder begegnet. Ich hatte den Türflügel wuchtig zu
mir gezogen, und mit derselben Hast meiner Bewegung waren
sie hereingelaufen. Sie hatten wohl darauf gewartet, dass ihnen
vom anderen Ende der Fernsprechanlage geöffnet wird. Ich war
hinaus geschritten, und mir war zuerst nichts anderes eingefallen,
als an meiner Hand zu riechen.
Ich stieg nun aus der Straßenbahn aus, denn ich wollte nicht bis
zur Endstation durchhalten, und ich wollte nicht wissen, wohin sie
fährt. Ich sprang über die letzte Stufe und musste mir verbieten,
wie ein Skispringer zu landen. Mich bedrängte der Gedanke, dass
ein solches Manöver, eine Geste, die Verwunderung hervorruft,
mich später belasten könnte. Dass in einer baldigen Konflikt¬
situation auf meine Landung verwiesen und meine Glaubwür¬
digkeit bezweifelt würde. Mir war nicht aufgefallen, wie sonnig
es geworden war, herzhaft sonnig, in dieser entlegenen, jedoch
noch städtischen Gegend. Ich ging ohne weiteres Umblicken in
die Richtung zurück, aus der ich gekommen war, entlang der
Geleise, die mich hierher geführt hatten.
Auf der Straßenseite gegenüber standen zwei Personen vor ei¬
nem Kaffeehaus. Die Entfernung zwischen ihren Körpern war
winzig. Wie leidig doch solche Abschiede sind, dachte ich, da es
nichts mehr als Formeln auszutauschen gibt, und man verloren
und ohne Halt, meist etwas schwankend, dasteht. Da nun die
Sicherheit eines Tisches fehlt, auf dem man die Hände spielen
lassen konnte und der eine Distanz festlegte, auf die Verlass war.
Es fehlt die Kaffeetasse, die man sich stets zu Munde führen
konnte, in welcher man mit einem Zahnstocher in den Kaffee¬
resten zeichnen konnte. In einer solchen Situation des Abschieds,
dachte ich, möchte man sich an der anderen Person festhalten,
sie umarmen, alles unternehmen, nur um nicht lose und fast
einknickend auf das Ende des Formelaustausches hinzubangen.
Die beiden trennten sich jedoch mit einem Kuss.
Ich ging weiter, kam an einem Würstelstand vorbei und überlegte,