Österreich ankamen, hörte das ukrainische Exilwesen in Wien
und Prag auf zu existieren und Emil Oplatka kehrte in seine
Geburtsstadt Prag zurück, wo er für die eben gegründete größte
deutschsprachige Zeitung des Landes, die Prager Presse arbeiten
sollte. Diese war im direkten Auftrag von Staatspräsident Tomä$
Garrigue Masaryk ins Leben gerufen worden und sollte das libe¬
rale, halboflizielle Organ der Regierung für die deutschsprachige
Bevölkerung werden. Federführend bei der Gründung war Emil
Oplatkas Schwager, der Journalist, Dichter und Übersetzer Camill
Hoffmann.
Eine komplizierte Geschichte
Die familiäre Bindung zwischen Emil Oplatka und Camill Hoff¬
mann war jedoch etwas komplizierter und gleichzeitig auch skan¬
dalöser, denn Emils Mutter Johanna, auch Jenny genannt, war
zugleich die Schwester von Camill Hoffmann. Zum familiären
Skandal war es 1904 in Wien gekommen, als Camill Hoffmann
seine Nichte Irma, Emils Schwester, die Bibliothekarin war, hei¬
ratete. Die Familie war natürlich gegen diese Verbindung, auch
enge Freunde von Camill Hoffmann, wie Stefan Zweig, rieten
ihm dringendst davon ab, die um fünf Jahre jüngere Nichte zu
heiraten. Die Tochter von Irma und Camill Hoffmann, die be¬
kannte englische Kunsthistorikerin Edith Yapou-Hoffmann hat
sich die Liaison ihrer Eltern folgendermaßen erklärt:
Später habe ich mir zurechtgelegt, warum er [der Vater] viel bei
der ältesten Schwester [Tante Jenny] lebte. Ich glaube, die alte Frau
[die Großmutter] war schon erschöpft von den vielen Kindern [es
waren 11] und da hat sie irgendwie nicht mehr gekonnt. Sie hat es
ihrer Tochter überlassen. Die älteste Tochter hat dann irgendwann
in Böhmen geheiratet und gelebt. Aber sie sind dann bald nach Wien
übersiedelt. Und mein Vater hat dort ein Zimmer gehabt. Dadurch ist
es dann gekommen, dass er die Tochter von seiner Schwester geheiratet
hat. Das ist eine Sache, die bei den Juden nicht erlaubt ist. Und wie
das möglich war, weiß ich nicht. Das konnte kein Rabbiner machen,
er ist aber bei einem Rabbiner getraut worden.“
Edith Hoffmann war somit nicht nur Hans Oplatkas Cousine,
sondern auch seine Tante. Sie hatte 1934 mit 27 in München
dissertiert und war im gleichen Jahr nach England emigriert, wo
sie in London lebte und einige Jahre im British Museum arbeitete.
1939 wechselte sie zur renommierten Kunstzeitschrift Burlington
Magazine, wo sie 1944 für ein Jahr zur ersten weiblichen Chefre¬
dakteurin avancierte. Bis 1995 wird sie, vor allem als Spezialistin
für den Expressionismus, an die 150 Artikel, darunter über Lyonel
Feininger, Marc Chagall, Käthe Kollwitz, Max Beckmann, für die
Zeitschrift schreiben und 1947 nebenbei die erste englischsprachige
Monographie über Oskar Kokoschka verfassen.” Ab 1951 wird
sie mit ihrem Mann, einem israelischen Diplomaten, zumeist
in Israel leben, aber auch in New York, Südafrika und Brüssel.
Kein Traum zieht seinen Zauberkreis...
Camill Hoffmann kam 1900 im Alter von 22 Jahren nach Wien
und schrieb für das Feuilleton der Tageszeitung Die Zeit. 1902
erschien sein erster Gedichtband Adagio stiller Abende, 1910 die
Gedichtsammlung Die Vase. Weiters übersetzte er Baudelaire und
Balzac und tschechische Lyriker ins Deutsche. 1911 brachte er
die Anthologie Deutsche Lyrik aus Österreich seit Grillparzer mit
Gedichten von Franz Grillparzer, Ferdinand Raimund, Betty Paoli,
Marie von Ebner-Eschenbach, Ludwig Anzengruber, Peter Roseg¬
ger, Peter Altenberg, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal
heraus. Im selben Jahr zog er nach Dresden, wo er als Redakteur
im Feuilleton der Dresdner Neuen Nachrichten wirkte. Als er ab
1919 die Wahl hatte, für die deutsche oder die tschechoslowakische
Staatsbürgerschaft zu optieren, kehrte er nach Prag zurück, wo er
die Prager Presse aufbaute, für deren Feuilleton dann Otto Pick,
Franz Blei, Max Brod und Franz Kafka schrieben. Verlegt wurde
die Zeitung vom tschechoslowakischen Regierungsverlag Orbis.
Bevor die Prager Presse jedoch erschien, erhielt Camill Hoffmann
einen weiteren Auftrag, er wurde zum Presse- und Kulturattache
an der tschechoslowakischen Botschaft in Berlin ernannt. Diese
Funktion sollte er bis 1938 innehaben, sie somit 18 Jahre lang
ausüben, was für einen Posten im diplomatischen Dienst äußerst
ungewöhnlich ist. Um ihn bildete sich in Berlin so etwas wie ein
kiinstlerisch-literarischer Kreis mit George Grosz, Berthold Viertel,
Ernst Toller, Bertolt Brecht, Hermann Hesse, Oskar Kokosch¬
ka, Karel Capek. In diesen Jahren übersetzte er Tomä$ Garrigue
Masaryks Weltrevolution, Edvard Bene$’ Aufstand der Nationen
und Karel Capeks Gespräche mit Masaryk ins Deutsche.
Eine Verständigung zwischen Deutschland und der Tschecho¬
slowakei war das Hauptanliegen des Kulturattaches, ein Unter¬
fangen, das ab 1933 zum Scheitern verurteilt war. In den Jahren
zwischen 1932 und 1939 schrieb er ein politisches Tagebuch,
welches dank der Hilfe seiner Tochter in London aus der Tschecho¬
slowakei geschmuggelt werden konnte und eines der wichtigsten
Zeugnisse über das Berlin der Nazis ist.'° In dieser Zeit half er
dank seiner Funktion auch vielen, wie z.B. Arnold Schönberg,
aus Deutschland zu flüchten. 1938 wurde Camill Hoffmann
pensioniert und kehrte nach Prag zurück, wo er begann an einer
Geschichte der Tschechoslowakei, eines Landes, das es bald nicht
mehr geben sollte, zu schreiben. Während der Nazi-Zeit wurde
er immer wieder von der Gestapo verhört, schließlich 1942 mit
seiner Frau ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er Vorträge über
Literatur hielt und ein Tagebuch, welches verschollen ist, sowie
Gedichte schrieb.
Schlaflos
Die Nacht ist einsam. Das Grab
Wird nicht mehr einsamer sein.
Ich taste mich schlaflos ab,
Der Stein da ist mein Herz.
Ich weiß, auch du, ich weiß,
Auch du liegst nun allein.
Kein Traum zieht seinen Zauberkreis
Um Deine Stirn von Erz.
Und morgen oder nächstes Jahr,
Wie kann es anders sein?
Die Nacht währt immerdar
Und dieser Stein ist nichts als Schmerz."
Am 28.10.1944, am tschechoslowakischen Nationalfeiertag, stand
Irma Hoffmanns Name auf der Liste für den nächsten Transport
nach Auschwitz. Da Camill Hoffmann zu alt für den Transport
war, sollte er nicht deportiert werden. Er wollte jedoch seine Frau
nicht alleine in den Tod gehen lassen und bestand darauf, sie zu