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Adolf Opel
Der Illustre Unbekannte

Erinnerungen an Hugo Haas (1901 — 1968)

Mitte der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts konnte
man im „Opern-Cafe“ gegenüber der Wiener Staatsoper (heute
befindet sich dort ein Autohaus) an Nachmittagen des öfteren
einen älteren etwas bohemienhaft wirkenden Herrn sitzen schen,
der englischsprachige Zeitungen las und mit seinem weißen Pudel,
der ihn überallhin begleitete, redete oder auch schimpfte; mit
seinem markanten Profil und einem bei fast jeder Witterung um
Hals und Schultern gewundenen Schal konnte man ihn für einen
stets um seine Stimme besorgten Tenor halten. Diese Stimme war
auch nicht leicht zu überhören, wenn er eine Bestellung aufgab,
für sich oder seinen Hund. Manchmal zog er diskret einen In¬
halator aus der Tasche, um einem Asthma-Anfall vorzubeugen.
Die Kellner bedienten ihn gewissenhaft, er gab auch stets gute
Trinkgelder, besondere Beachtung schenkten sie ihm aber ebenso
wenig wie die anderen Caf£hausgäste. Besondere Beachtung fand
hingegen die Schauspielerin Johanna Matz — Burgschauspielerin
und beliebter Star erfolgreicher Filme — die sich ebenfalls ab und
zu im Cafe sehen ließ.

Hugo Haas wohnte damals im Haus Opernring 4, V. Stock, Tür
18, direkt über dem Cafe, und Johanna Matz zwei Stockwerke
über ihm. Die beiden kannten einander nicht und nahmen auch
nie Notiz voneinander.

Hugo Haas hatte sich 1961 oder 62 in Wien niedergelassen und
hatte die Absicht - da er in die kommunistische Tschechoslowakei
nicht zurückkehren konnte oder wollte — hier weiterhin als Re¬
gisseur und Schauspieler tätig zu werden. Finanziell durch seine
in Hollywood verdienten Gagen bestens abgesichert, dachte er,
sich nur für Projekte zu engagieren, die ihm ein Anliegen waren
und Freude bereiteten. Ich lernte Hugo Haas durch Vermittlung
von Paula Elges kennen — DIE Paula Elges, die damals so etwas
wie ein Monopol auf Gesellschafts- und Klatschberichte hatte,
daher eine von vielen hofierte oder gehaßte Wiener Institution:
Sie war jahrelang die einzige österreichische Journalistin, die zu
den Filmfestspielen von Cannes eingeladen wurde, sie hatte ihre
eigene tägliche Kolumne, „Paula erzählt“ (ich glaube, im Kurier
— oder war es der „Express“?“) und — aus der englischen Emigra¬
tion zurückgekehrt, konnte sie durch ihre gewinnende Art und
großen Fleiß über Jahre hinaus ihre Position behaupten. Sie stieg
auch trotz ihrer Leibesfiille die Treppe des ,, Theaters der Courage“
in der Biberstraße hinab, um wohlwollend über bevorstehende
Premieren zu berichten - und dort stellte mich Stella Kadmon als
ihre „Neuentdeckung“ der gefürchteten Paula vor. Sie schenkte
mir ihr Wohlwollen und so blieben wir auch in der Folgezeit in
freundschaftlichem Kontakt. Paula kannte natürlich die nach
Österreich zurückgekehrten jüdischen Emigranten und setzte
sich für sie alle ein, soweit es in ihrer Macht stand. So kam ihr
eines Tages die Idee, daß ich Hugo Haas treffen sollte, es könnte
interessant und vielleicht von Vorteil für mich sein — aber auch
für ihn, da er in Wien recht vereinsamt war und vor allem den
Kontakt zu jüngeren Leuten vermißte.

So kam es zu einer ersten Begegnung im „Opern -Cafe“, der bald
weitere folgten - und da mich auch der Pudel akzeptierte, lud er
mich ein, ihn in seiner Wohnung zu besuchen. Hugo Haas lebte

dort allein, nur mit seinem Hund zur Gesellschaft. Er war zwar
schon die längste Zeit verheiratet, mit einer vermutlich etwas
exzentrischen Russin, die in einem Kloster außerhalb Wiens lebte
und sich dort um elternlose Kinder kümmerte, wie er erzählte.
Sie kam nur selten zu Besuch, ich habe sie im Laufe der Jahre nie
zu Gesicht bekommen. Ab und zu kam seine Nichte „Ulinka“
— Olga Haasova — Schauspielerin in Brünn, also damals jenseits
des „Eisernen Vorhangs“, wo sie sich ihr eigenes Leben aufgebaut
hatte und daher immer nur kurz bleiben konnte.

In seine alte Heimat — Haas stammt ja aus Brünn und hatte
dort seine Schauspieler-Karriere begonnen — zurückzukehren,
kam ihm nicht in den Sinn; und selbst gegen einen kurzen Besuch
in der Tschechoslowakei sträubte er sich die längste Zeit. Hugo
Haas war mir — schon bevor ich ihn persönlich kennenlernte - als
Schauspieler in amerikanischen Filmen durchaus ein Begriff: er
war der schurkische Großwildjäger in der MGM-Superproduktion
„König Salomons Diamanten“, man sah ihn als Gegenspieler von
John Wayne in mehreren Westernfilmen, aber auch in Komödien
mit den Stars Bob Hope oder Red Skelton oder als berühmten
Dirigenten in Musikfilmen mit Father Williams, die weniger durch
ihre Schauspielkunst als durch ihre Wasserballett-Einlagen ein
Millionenpublikum in aller Welt bezauberten... Immer waren
es „supporting roles“, also Nebenrollen, die er aber tatsächlich zu
„tragenden“ gestaltete. Meist spielte er Ausländer, Mexikaner, Rus¬
sen, Orientalen oder böse Deutsche — und meist in sein Aussehen
verändernden Masken. Kein Wunder also, daß ihn die Gäste des
Opern-Cafes, selbst wenn sie Filmfreaks waren, nicht erkannten.

Sobald er sich in Hollywood als Charakterdarsteller etabliert und
finanziell abgesichert hatte, ging Haas das Wagnis ein, als sein
eigener Produzent, Drehbuchautor und Regisseur Filme zu drehen:
Schließlich war er vor der Emigration in seiner Heimat einer der
bekanntesten und erfolgreichsten Regisseure und Hauptdarsteller
am Theater und im Film. 1937 hatte er dort seinen letzten Film
vor dem Einmarsch der Deutschen gedreht, „Die weiße Krank¬
heit“, nach dem Stück von Karel Capek, das er bereits auf dem
Theater inszeniert und gespielt hatte. Der mit ihm befreundete
Capek arbeitete am Drehbuch mit und das utopische Drama —
in dem der sich pestilenzartig ausbreitende Faschismus kaum
verschlüsselt thematisiert wurde — löste zweifellos Betroffenheit
aus, und machte Haas zur Persona non grata.

Ein Jahr später wurde er vom Prager Nationaltheater entlassen
und erhielt Berufsverbot. 1939 gelang es Hugo Haas zu emig¬
rieren, sein Bruder Pavel — der sich als Komponist einen Namen
gemacht hatte — und andere Familienmitglieder wurden in den
folgenden Jahren in deutschen Konzentrationslagern ermordet.

Alles das — die traumatischen Ereignisse, die sein eigenes Leben
und das seiner Familienangehérigen vor 1939 betreffen — hat er
mir gegenüber nie erwähnt. Ich habe davon erst später und von
anderen Leuten erfahren.

Nur einmal kam er, cher beiläufig, auf sein Asthmaleiden zu
sprechen, das ihm schon so lange sein Leben und die Ausübung
seines Berufes als Schauspieler erschwere: Es sei 1944 erstmals auf¬
getreten, unmittelbar nachdem er erfahren hatte, daß sein Bruder

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