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In den zwei Jahren, in denen wir zusammenlebten, hat mein
früherer Freund ein einziges Mal Staub gesaugt. Dabei fiel Jesus
vom Kreuz und ging zu Bruch, was deswegen beeindruckend war,
weil Jesus zu diesem Zeitpunkt an einer Wand hing und sich der
Staub zwei Meter unter ihm sammelte. Ich habe keine Fragen
gestellt, den nunmehr dreiteiligen Jesus in eine Kiste gepackt und
diese irgendwo verräumt. Im Rahmen eines Umzugs im Jahr 2012
tauchte die Kiste mit dem mittlerweile gevierteilten Jesus wieder
auf. Kurzzeitig erwog ich ihn wegzuwerfen. Da ich allerdings
grundsätzlich Schwierigkeiten damit habe Dinge zu entsorgen und
aus der Befürchtung heraus, dass ich eine vergleichbar kitschige
Christusdarstellung nie wieder in meinen Besitz bringen würde,
entschied ich, ihn zu behalten. Ich nagelte Jesus in seinen vier
Einzelteilen an eine frisch geweißte Wand. Dabei nahm ich mir
die Freiheit, seine anmutig übergeschlagenen Beine etwas versetzt
zu seinem Rumpf anzubringen und einen der abgebrochenen
Arme senkrecht nach oben weisen zu lassen. Da die Hand dieses
Armes zu einer Faust geballt ist, hängt Jesus jetzt in Einzelteilen
und Siegerpose neben meinem Bett.

Ich habe einige Jahre Bildende Kunst studiert. Man könnte geneigt
sein zu glauben, dass meine Gewohnheit, sakrale Gegenstände zu
verunstalten, vielleicht in einer Art Nitsch’scher Tradition zum
Dekorgebrauch stehen könnte, aber ich bin ja nicht blöd. Als
sich Marina Abramovi¢ auf dieses Kreuz aus Eisblöcken legte
und sich den Stern in ihren Bauch ritzte, waren die Siebziger.
Mittlerweile tragen nicht mal mehr Pop-Stars Dornenkronen.
Ich denke, dass sich spätestens seit Ende der Achtziger aus der
ganzen Christus-Ikonographie nichts mehr rausholen lässt. Juckt
einfach keinen mehr.

Ich habe es trotz zwei Jahre dauernder Tätigkeit als Ministrantin
und acht Jahren an einem katholischen Gymnasium geschafft, die
Existenz Gottes nie ernsthaft in Betracht zu ziehen. Die Geschichten
aus der Bibel fand ich langweilig, die Annahme eines Himmels
absurd, Sonntagsmessen grotesk. Ich wollte weder jemandes Leib
essen, noch sein Blut trinken, und wenn es schon sein musste, dann
sollte derjenige währenddessen zumindest nicht in Unterhosen
über mir hängen. Mir gefiel dieses Arrangement als Ganzes nicht.
Besonders das ständige Beichten, Entschuldigen und Buße-Tun
empfand ich als außerordentlich lästig. Was ich damit zu tun
haben sollte, dass man irgendwann einmal verbotenerweise einen
Apfel gegessen hatte, wollte sich mir auch nie ganz erschließen.

Ich war an einer katholischen Privatschule der Ursulinen. Zweimal
im Jahr wurde dort gefeiert: Einmal zu Ehren Angela Mericis, die
als Gründungsmutter des Ordens gilt, und ein weiteres Mal zum
Gedenktag der Heiligen Ursula. Im Jahr 1998 und in Hinblick auf
irgendeinen dieser Festtage wurde meine Klasse dazu aufgefordert,
die Gestaltung eines Gottesdienstes zu übernehmen. Wir muss¬
ten Ihemen vorschlagen, die in diesem Gottesdienst behandelt
werden sollten, am besten etwas, das anrege, Fragen zu stellen,
das man auch mit nach Hause nehmen könne und vielleicht
cher selten in Gottesdiensten vorkomme. Mein Vorschlag war,
auf diese verhungernden Kinder mit den Wasserbäuchen und
den Fliegen in den Augen zu sprechen zu kommen. Es waren
die Neunziger. Damals zeigte man das noch im Fernsehen. Die
Fragestellung könnte lauten, warum Gott in seiner unendlichen
Güte so etwas zulässt. Meine Lehrerin meinte, das sei zu komplex,
und wir haben dann ein anderes Thema genommen. Drei Jahre

später habe ich mir die ganze Sache mit der Theodizee einmal
angesehen. Ganz so einfach ist das wirklich nicht.

Im Herbst desselben Jahres habe ich angefangen zu studieren. Da
ich hinsichtlich meiner Studienwahl noch unentschlossen war,
habe ich Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie inskri¬
biert. In einer der ersten Philosophie-Vorlesungen, die ich besucht
habe, formalisierten wir Gottesbeweise und überprüften sie auf
ihre aussagenlogische Folgerichtigkeit. Damit hatte sich die Ange¬
legenheit erledigt. Anders als in einem katholischen Gymnasium,
ist es im Philosophie-Studium vollkommen in Ordnung zu sagen,
man sei Atheist. Ein Kommilitone hat mich einmal gefragt, ob
man, wenn man nicht an Gott glaubt, an den Menschen glauben
müsse. Ich verstand die Frage nicht.

In einer Vorlesung über die Genealogie des Gottesbegriffes sprach
ein Professor über den jüdisch-christlichen Diskurs hinsichtlich
des Messiasglaubens und der Frage, welche Rolle Jesus dabei
zukäme. Der Professor zitierte in diesem Zusammenhang den
jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber: „Wir warten alle
auf den Messias. Sie glauben, er ist bereits gekommen, ist wieder
gegangen und wird einst wiederkommen. Ich glaube, dass er bis¬
her noch nicht gekommen ist, aber dass er irgendwann kommen
wird. Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag: Lassen Sie uns
gemeinsam warten. Wenn er dann kommen wird, fragen wir ihn
einfach: Warst du schon einmal hier? Und dann hoffe ich, ganz
nahe bei ihm zu stehen, um ihm ins Ohr zu flüstern:,Antworte

cw

nicht‘.

Gemäß meines Glaubensbekenntnisses gehöre ich zu denjenigen,
die eine Rückkehr Jesu erwarten. 2004 tauchten in den Medien
die ersten Fotos aus Abu Ghraib auf. Eines davon zeigt einen
irakischen Gefangenen, sein Kopf ist mit einem Plastiksack, sein
Körper mit einem Umhang verhüllt. Er steht auf einem Papp¬
karton. Seine Arme wurden mit Elektroden verdrahtet, um ihm
Stromstöße zu verabreichen. Er hält sie seitlich weggestreckt. Ich
erinnere mich damals gedacht zu haben — da ist er also wieder.
Ich wusste, dass dieser Gedanke ziemlich pietätlos war, aber nicht
genau, wem gegenüber.

Wenn ich in meinem Schlafzimmer den vermeintlichen Sohn
Gottes in vier Teilen an die Wand hänge, liegt das in erster Linie
daran, dass mich nichts daran hindert. Ich empfinde keinerlei
Ehrfurcht gegenüber religiösen Darstellungen, weil ich nicht reli¬
gids bin. Ich glaube generell an sehr wenig. Ich weiß nicht, woher
das kommt, aber ich möchte einfach nicht naiv sein. Daraus hat
sich ergeben, dass alle meine Erwartungen so etwas wie einer
Unterbietungslogik folgen. Letztlich ist das ein Glaube an das
Scheitern. Jesus von Nazareth hätte der endzeitliche Heilsbringer
aus dem Hause David sein sollen. Er endete als ein zum Tode ver¬
urteilter Verbrecher. Mag sein, dass ich falsch liege, aber für mich
sieht das stark nach dem aus, was man unter einem gescheiterten
Lebensentwurf versteht.

In der erwähnten Vorlesung über den Gottesbegriff wurde auch
von naturreligiösen Ritualen früher Wildbeutergesellschaften
gesprochen. Wenn ein Bär getötet wurde, veranstaltete man ein
Festmahl als dessen Ehrengast der Bär selbst galt. Man feierte und
verspeiste ihn. Bei dem Versuch, mir ein solches Festessen vorzu¬
stellen, musste ich lachen, weil es mir so barbarisch erschien. Ich

November 2014 13