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irgendeines Menschen Jahre, eines beliebigen Menschen, der in
Wien geboren und herangewachsen war, in einer Zeit der Fülle,
der das deutlicher werdende Zerfallen des Liebgewordenen, des
Gewohnten erleben musste, eines Menschen, der schon in jungen
Jahren hineingerissen wurde in den Malstrom eines endenden
Jahrtausends und eines neuen, das unter argen Krämpfen geboren
wurde. Es waren die Aufzeichnungen eines Menschen, der, als die
klein gewordene Heimat eine Beute der Eindringlinge geworden,
als Heim und Familie zerbrachen, lieber in die Fremde gegangen
war, als würdelos dem Feind zu dienen. Fines Menschen, der sich
das reine Bild der Heimat gerettet hatte und es in den langen
Jahren der Verbannung erhalten und aus Heimweh und liebem
Erinnern immer schöner geschmückt hatte. Irgendein Mensch,
einer von vielen, dessen Leben nicht mehr war als ein Teil des
Schicksals, das sein Land betroffen hatte...

Gustl Hornbacher legte die Mappe mit den Aufzeichnungen
auf den Grund des Koffers. Später einmal, wenn der Fernblick
klärend das Bild der Erinnerung geformt haben wird, dann erst

Helmut G. Asper

soll dieses Buch aus der Verborgenheit hervortreten, um den Weg
zu finden in die Verborgenheit aufnahmebereiter Herzen. Spater...

Vom Wohnzimmer herauf riefen liebe Stimmen seinen Namen.
Das Fenster stand offen. Aus dem Abend war eine milde Som¬
mernacht geworden. Vom großen, alten Birnbaum trépfelte leise
das Wasser in den steinernen Brunnentrog. Erinnerungsschwer
lag wie schlafend der Garten, unter den Lidern der Blütenblätter
standen traurige Tränen des Abschieds.

Gegen Osten zu, wo orangefarben die große Scheibe des Mondes
aufstieg, ratterte ein Zug...

Bis heute liegt das Manuskript Carry Hausers in Laden und Koffern
und wartet auf sein Später... Die lieben Freunde waren Margarete
Schell-Noé und Hermann Ferdinand Schell, eines der beiden Mädchen
Maria Schell... Denn Gustl ist Carry und Carry Gustl bzw. irgendein
beliebiger Mensch, der in Wien geboren und herangewachsen ist.

Die Theodor Kramer Gesellschaft wird in Zusammenarbeit mit
Adolf Opel Carry Hausers Exil-Roman und andere Schriften 2016
herausgeben.

Los Angeles, 18.6.1945
Liebe Kollegen,

ich war glücklich erregt, als ich von Ihrem Aufruf im „Aufbau“
hörte. Damit hat mein leidenschaftlicher Wunsch, beim Wiederaufbau
des deutschen Theaters — unter allen Umständen — mitzumachen,
seine erste Adresse gefunden. Dasselbe gilt auch von meiner Frau!
Wir hoffen, bald mehr von Ihnen zu hören! Mit den besten Grüfßen
Fritz Kortner'

Mit diesen enthusiastischen Zeilen antwortete Kortner aufeinen
„Aufrufan deutschsprachige Schauspieler in aller Welt“ von En¬
semblemitgliedern des Zürcher Schauspielhauses?, der am 1. Juni
1945 in der deutsch-jüdischen Zeitschrift Aufbau erschienen war:

Wer von der Notwendigkeit der Wiedererrichtung unserer alten,

freien Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger überzeugt ist,
wer trotz drohender Hungersnot, Wohnungsnot, Seuchengefahr und
anderer unvorstellbarer materieller und geistiger Schwierigkeiten
bereit ist, auf den Trümmerstätten der deutschen Theater an der
Wiedererweckung deutschen Bühnenlebens tätig mitzuwirken, oder
- sofern er dazu nicht in der Lage ist — bereit ist, dieses Werk vom
Ausland her zu unterstützen

— wer diese Wiedererweckung nicht dem Zufall, der Willkür oder
getarnten faschistischen Kräften überlassen will, sondern nach seinem
besten Wissen und Können für eine möglichst planvolle Wiederauf¬
bauarbeit eintritt, für die Säuberung unserer eigenen Reihen von
allen faschistischen Elementen etc., den bittet der unterzeichnete
Lokalverband um eine Zustimmungs- oder Beitrittserklarung mit
kurzer Angabe seiner Daten.

Gez. Wolfgang Langhoff, Angelika Arndts, Paul Baschwitz, Maria
Becker, Irene Brunner, Therese Giehse, Ernst Ginsberg, Dr. Kurt
Hirschfeld, Kurt Horwitz, Teo Otto, Erwin Parker, Hortense Raky,
Leonard Steckel.?

In seiner verständlichen Freude über diesen Aufrufübersah Kort¬
ner freilich, dass die Mehrheit der Unterzeichner selber Exilanten

waren, und dass es keineswegs eine oflizielle deutsche Stelle war,
die zur Rückkehr der exilierten Bühnenkünstler aufrief.
Kortner wollte trotz aller Schwierigkeiten und Probleme, die
auch in dem „Aufruf“ angesprochen wurden, so schnell wie mög¬
lich nach Deutschland zurückkehren, um wieder als Schauspieler,
Regisseur und Autor im deutschen Theater und Film zu arbeiten,
denn seine geistige Heimat war auch im Exil stets die deutsche
Sprache, Literatur und das Theater geblieben. Schon im Jahr zuvor
hatte Kortner die Deklaration des von zahlreichen prominenten
Exilanten gegründeten Council for a Democratic Germany vom
3. Mai 1944* unterzeichnet und sich dazu bekannt, an der „geis¬
tigen und kulturellen“ Erneuerung Deutschlands mitzuarbeiten.

Rückkehr-Pläne

Seine Rückkehr nach Deutschland bereitete Kortner seit Kriegs¬
ende systematisch vor. Er streckte seine Fühler sowohl zum deut¬
schen Theater als auch zum deutschen Film aus und trug auch
Sorge, einer eventuellen Einladung schnell folgen zu können.
So handelte er mit der 20th Century Fox, bei der er seit März
1946 langfristig unter Vertrag war, die Möglichkeit einer Beur¬
laubung für Gastspiele in Deutschland und Österreich aus, weil
er mit einer zumindest befristeten baldigen Rückkehr rechnete.°
„Ich wuerde ungeheuer gern zunaechst nach der Schweiz gehen
und gastieren. Dann nach Oesterreich und Deutschland — wenn
moeglich“, schrieb er Anfang Februar 1947 an den befreundeten
Schriftsteller Curt Goetz und seine Frau Valerie von Martens, die
schon 1946 in die Schweiz zurückgekehrt waren und sich dort
nach Möglichkeiten für Gastspiele Kortners erkundigten.° Im
Frühjahr 1946 hatte er Carl Zuckmayer, der bereits im Novem¬
ber 1946 nach Deutschland reisen konnte, seine Stücke Nacht
und Nebel und Donauwellen’ geschickt und ihn gebeten, sie an
Dramaturgen und Intendanten in Deutschland weiterzugeben,

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